Wladimir Putins knapp dreiminütiger Auftritt läuft immer und immer wieder. In den Nachrichtensendungen des russischen Staats-TV, in den Talk-Shows. „Auf Anregung des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs erfolgte heute morgen ein Massenschlag auf die Ukraine“, sagt Russlands Präsident am Montagmittag vor seinem Sicherheitsrat. Es ist seine menschenverachtende Erklärung der Zerstörung und des Tods im Nachbarland, seine Rechtfertigung der „gesetzten Ziele“.
Angriffe als Vergeltungsschlag für Zerstörung der Krim-Brücke
Er spricht einmal mehr von „hochpräzisen Luft-, See- und landgestützten Langstreckenwaffen“, die die „Energieinfrastruktur, militärische Kommandosteuerungen und Kommunikationseinrichtungen“ vernichtet hätten. Und er droht wieder einmal: „Wenn die Terroranschläge auf dem Territorium Russlands fortgesetzt werden, werden die Antworten hart sein und in ihrem Ausmaß dem Niveau der Bedrohung für die Russische Föderation entsprechen.“ Irgendeinen Zweifel daran, so sagt Putin, solle niemand haben.
Die Hardliner feiern. „Lauter gute Nachrichten seit diesem Morgen“, schreibt etwa Sergej Axjonow, der sich mit dem Titel schmückt, Gouverneur der Krim zu sein. „Die Russen kommen! Endlich!“, teilt Kirill Stremoussow, Putins Statthalter im besetzten Cherson, in sozialen Netzwerken mit. „Ich hoffe ja, dass es keine einmalige Aktion war, sondern ein neues System der Kampfführung. Weiter so!“, feuert der Militärberichterstatter der staatlichen Zeitung Komsomolskaja Prawda, Alexander Koz, in seinem Telegram-Kanal geradezu an.
Putins Vergeltungsschlag gerade erst zum Generaloberst ernannt hatte. Der Chef der Partei „Gerechtes Russland“, Sergej Mironow, schreibt: „In der Ukraine müssen sie in Angst leben. Wir dürfen die Terroristen nicht betüddeln. Sieben Monate haben wir sie verschont. Das reicht!“ Und Tigran Keossajan, Ehemann von Putins Chef-Propagandistin Margarita Simonjan, sieht durch die Ernennung des Generals Sergej Surowikin zum Chef der russischen Truppen in der Ukraine einen „echten goldenen Herbst gekommen“. Dem einstigen Syrien-Kommandeur Surowikin warfen russische Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler bereits in Tschetschenien Kriegsverbrechen vor.
, deren Verantwortung dieser beim „Terrorregime in Kiew“ sieht, stimmen die russischen Kriegstreiber zufrieden. „Lauf, Selenskyj, lauf. Wir haben dich gewarnt, dass wir noch nicht richtig begonnen hätten“, höhnt Tschetschenienführer Ramsan Kadyrow, den PutinRussische Staatsmedien greifen die Angriffe auf
Noch in den Morgenstunden, als in Kiew, Odessa, Lwiw und anderswo in der Ukraine, Bomben auf Straßen und Menschen niedergehen, gibt sich das russische Staatsfernsehen stumm. Kein Wort von „lang erwarteten Antwort-Schlägen zur Vernichtung des terroristischen Nazi-Regimes“ in der Ukraine, wie es wenige Stunden später auf allen Kanälen zu hören ist. Die Mittagsnachrichten zeigen dann verwackelte Aufnahmen, brennende Autos, viel Rauch. Die Nachrichtensprecherin weist auf Bilder der Zerstörung in der Ukraine hin – und spricht mittels Passivkonstruktionen. „In Kiew donnerte es“, „Seit den Morgenstunden kam in der Ukraine etwas angeflogen“, „Es gab Einschläge hier, Einschläge dort, wirklich ernsthafte Treffer“. Dass russische Truppen dafür verantwortlich sind, sagt sie nicht. Es klingt, als seien Kiew und andere Städte von Außerirdischen überfallen worden. Als seien russische Bomben eine Art Wetterphänomen, das für verheerende Zerstörungen sorge.
In einer späteren „Sondersendung“ der Talk-Show „Die Zeit wird es zeigen“ im Ersten Kanal freuen sich die beiden Moderatoren über die „beeindruckenden Aufnahmen“ aus der Ukraine. „Wir haben schon oft gesagt, dass die Terroristen zu vernichten seien, nun hat auch der Präsident ein Machtwort gesprochen“, sagt der Moderator. Sein Gast, ein „Politologe“, beschuldigt – ganz in Putin-Manier – den Westen für die Eskalation. Die USA könnten lediglich „zündeln und verraten“, Europa sei das „Schicksal der Ukraine absolut egal“. Eine angebliche Journalistin aus Frankreich erklärt, wie europäische Medienmacher „Pakete von ideologischen Handbüchern“ erhielten und die Ereignisse in Russland und der Ukraine „nicht wahrheitsgemäß an ihre gutgläubigen Leser und Zuschauer“ weitergäben.