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Krieg in Nahost: Weihnachten im Heiligen Land: "In den Herzen der Menschen ist keine Freude"

Krieg in Nahost

Weihnachten im Heiligen Land: "In den Herzen der Menschen ist keine Freude"

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    Weihnachten in Betlehem, in Zeiten des Krieges: In einer Kirche liegt das Jesuskind, inmitten von Trümmern.
    Weihnachten in Betlehem, in Zeiten des Krieges: In einer Kirche liegt das Jesuskind, inmitten von Trümmern. Foto: Mahmoud Illean, AP/dpa

    Ein paar dürre Büsche, ein paar geparkte Autos, ein paar Passanten, die vorbeischlendern: Der Manger-Platz in Bethlehem vor der Geburtskirche gibt in diesen Tagen einen eher faden Eindruck ab. Das Rathaus

    Bethlehem im südlichen Westjordanland – der Überlieferung nach Geburtsort von Jesus Christus – ist einer der heiligsten Orte für Christen. Üblicherweise ziehen gerade in der Weihnachtszeit Massen an Touristen durch die Altstadt und zur weltbekannten Geburtskirche. Vor dem Rathaus strahlt und glitzert zu dieser Zeit sonst ein üppig geschmückter großer Weihnachtsbaum, in diesem Jahr gibt es ihn nicht. Bereits im November hatten die kirchlichen Autoritäten jedoch dazu aufgerufen, auf festliche Dekorationen zu verzichten – wie auch anderswo in Israel und in den Palästinensergebieten. 

    Die Zahl der Christen in den palästinensischen Gebieten sinkt seit Jahrzehnten

    Es ist ein schwieriges Weihnachtsfest, das die Christen im Heiligen Land in diesem Jahr erwartet – wo auch immer sie leben, wo auch immer sie politisch stehen. 

    In den palästinensischen Gebieten sinkt die Zahl der Christen seit Jahrzehnten: Bei knapp 50.000 steht sie derzeit, etwa einem Prozent der Bevölkerung. In Israel wiederum leben rund 180.000 Christen, knapp zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die meisten gehörten der arabischen Minderheit an, viele bekleiden hohe Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft. Zugleich bringt die Stellung als Minderheit innerhalb der Minderheit besondere Herausforderungen mit sich.

    Bischof William Shomali aus Jersualem sagt: "Es gibt viel Frust unter den Chisten."
    Bischof William Shomali aus Jersualem sagt: "Es gibt viel Frust unter den Chisten." Foto: William Shomali

    Bischof William Shomali weiß, wie schwierig die Lage ist. Shomali wurde in Beit Sahour bei Bethlehem geboren und mit 22 Jahren zum Priester geweiht. Seit 2021 ist er Generalvikar im Lateinischen Patriarchat und Patriarchalvikar für Jerusalem und Palästina. „Mindestens 30 Christen haben es geschafft, während des Krieges aus Gaza auszureisen, und weitere könnten ihnen folgen, wenn sie Visa für andere Länder bekommen“, sagt der 73-Jährige. Im Westjordanland und in Jerusalem wiederum litten viele Christen unter der ökonomischen Lage. Die meisten arbeiten in der Tourismusbranche. „Aber alle Pilgergruppen haben ihre geplanten Reisen abgesagt, und wir wissen nicht, ob sie bis Ostern zurückkommen“, erklärt der Bischof. Nach der Corona-Pandemie sei das ein weiterer Rückschlag für den christlichen Tourismus. 

    Dazu kommt die unruhige Lage im Westjordanland: Jede Nacht dringen israelische Soldaten in Städte wie Jenin, Tulkarem und Nablus ein, um gesuchte Personen zu verhaften. „Das erzeugt eine Atmosphäre der Angst. Manchen Christen, die einen starken Glauben haben, gelingt es, Freude in der spirituellen Botschaft von Weihnachten zu finden“, sagte Bischof Shomali. „Doch viele andere leiden, weil sie kein Geld haben, um zu feiern, kein Geld, um ihren Kindern Geschenke zu kaufen. Es gibt viel Frust.“

    Jerusalem: Angehörige und Freunde von Geiseln, die im Gazastreifen von der Hamas festgehalten werden, halten Kerzen und fordern ihre Freilassung.
    Jerusalem: Angehörige und Freunde von Geiseln, die im Gazastreifen von der Hamas festgehalten werden, halten Kerzen und fordern ihre Freilassung. Foto: Leo Correa, dpa

    Nicht nur in Bethlehem, auch in der Jerusalemer Altstadt mit ihren kleinen Läden fehlen in diesem Jahr die beleuchteten Weihnachtsbäume, die Weihnachtsdekoration und die sonst üblichen Massen an Weihnachtstouristen. Die Menschen werden Weihnachten im kleinen Kreis feiern. Alles, was religiös ist, findet statt, das Drumherum nicht. 

    „Wir hoffen auf einen Waffenstillstand", sagt der Bischof

    Dass die Bischöfe von Jerusalem und die Oberhäupter der Kirchen in diesem Jahr dazu aufgerufen haben, sehr zurückhaltend zu feiern und auf festliche Dekoration und Musik zu verzichten, ist für Shomali nur folgerichtig. Das gebe zum einen schon die Situation nicht her: „In den Herzen der Menschen ist keine Freude. Zweitens zeigen wir auf diese Weise Solidarität mit den Armen, die sich kein ausschweifendes Fest leisten können.“ 

    Die Hoffnung, sagt der Bischof, die komme von Gott. „Wenn Menschen ihre Hoffnungen auf Politiker richten, werden sie in der Regel frustriert. Deshalb müssen wir Gott vertrauen, der die Erde und den Himmel erschaffen hat.“ Und dann betont er noch. „Wir hoffen auf einen Waffenstillstand, damit die Menschen in Gaza nachts schlafen können, und darauf, dass sie mehr humanitäre Güter erhalten, die sie so dringend brauchen. Dafür beten wir.“

    Shadi Khalloul sagt: "Ich feiere Weihnachten, aber ich bin traurig dabei."
    Shadi Khalloul sagt: "Ich feiere Weihnachten, aber ich bin traurig dabei." Foto: Shadi Khalloul

    Der 7. Oktober hat das Heilige Land für immer verändert. Mindestens 1400 Menschen ermordeten die Terroristen der Hamas an diesem Tag – Alte und Junge, Männer und Frauen, Kinder und Babys. Mehr als 200 Menschen entführten sie in den Gazastreifen. Das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, es hat die Menschen traumatisiert. Shadi Khalloul sagt heute: „Für mich war der 7. Oktober eines der schockierendsten Ereignisse meines Lebens. Nicht die Brutalität der Terroristen hat mich überrascht, sondern das Scheitern der israelischen Armee, die Tatsache, dass sie uns Bürger nicht beschützen konnte.“ 

    „Ich feiere Weihnachten, aber ich bin traurig dabei", sagt Khalloul

    Khalloul ist Gründer der Assoziation für israelisch-aramäische Christen und der Keneret-Akademie in Galiläa, an der junge Christen und Juden gemeinsam für den Armeedienst vorbereitet werden. Arabische Bürger sind in Israel von der Wehrpflicht ausgenommen; Khalloul hat jedoch freiwillig in der israelischen Armee gedient. Ende der 1990er hat er als Offizier der Fallschirmspringer im Libanon-Krieg gedient. Und nicht einmal dort, im Süden Libanons, habe er Angst davor gehabt, dass es der Hisbollah gelingen könnte, in die Basis einzudringen. „Und nun das, im Süden Israels, mit all der Technologie, dem Sicherheitszaun – wie konnte das passieren?“ 

    Seit Jahren ermutigt Khalloul junge Christen aus seiner Gemeinde, es ihm gleichzutun und in der israelischen Armee zu dienen. Der Angriff habe die Gemeinde schockiert, ebenso die Jugendlichen in seiner Akademie. Dort unterrichtet er die christlichen Studenten in christlich-maronitischer Identität. „Als ich nach dem 7. Oktober zum ersten Mal in den Klassenraum kam, waren die Jugendlichen in Kampfstimmung. Sie hatten das Gefühl, das Land ist in Schwierigkeiten, und sie wollten etwas tun, um es zu beschützen.“ 

    Und wie soll man sich unter diesen Bedingungen auf die Festtage freuen? „Ich feiere Weihnachten, aber ich bin traurig dabei“, sagt Khalloul. „Ich denke an die Soldaten und die Geiseln, an die Frauen und die Älteren unter ihnen, die meine Eltern sein könnten, und nun irgendwo in dunklen Tunneln im Gazastreifen sitzen.“ Der 47-Jährige weiß, dass auch die Menschen im Gazastreifen leiden. Aber wer trägt daran Schuld? „Die Menschen in Gaza leiden wegen der Hamas.“

    Vivian Rabia sagt: "Wir Palästinenser in Israel haben Angst, offen zu sprechen."
    Vivian Rabia sagt: "Wir Palästinenser in Israel haben Angst, offen zu sprechen." Foto: Vivian Rabia

    An vielen Orten im Land ist es still. Die Menschen sind still, sagt Vivian Rabia. Die 56-Jährige leitet das Offene Haus in Ramle, eine Begegnungsstätte für jüdische und arabische Bürger unter dem Dach des Rossing Center, einer Nichtregierungsorganisation für Dialog und Bildung. „Es ist eine sehr schwierige Zeit. Wir Palästinenser in Israel haben Angst, offen zu sprechen“, sagt sie. Niemand sage mehr seine Meinung, selbst ein „Like“ unter einen Text in den sozialen Medien zu setzen, der vom Leid der Menschen in Gaza spricht, könne gefährlich sein. „Man könnte verhaftet werden, schikaniert, bedroht werden oder Probleme auf der Arbeit oder an der Uni bekommen. Selbst wenn man nur darauf hinweist, dass auf der anderen Seite, in Gaza, auch Kinder sind.“ Jede solche Meinungsäußerung könne ganz schnell als „Unterstützung von Terrorismus“ hingestellt werden, sagte Rabia. Dabei unterstütze sie keinen Terror: „Was am 7. Oktober geschehen ist, ist nicht akzeptabel für mich. Ich habe Empathie für die Menschen, denen Leid zugefügt wurde. Und zur gleichen Zeit tut es mir sehr, sehr weh für all die Palästinenser, die in Gaza getötet werden.“ 

    Weihnachten in Betlehem: Menschen besuchen die Grotte unter der Geburtskirche, die traditionell als Geburtsort von Jesus Christus gilt, in der Stadt Bethlehem im Westjordanland.
    Weihnachten in Betlehem: Menschen besuchen die Grotte unter der Geburtskirche, die traditionell als Geburtsort von Jesus Christus gilt, in der Stadt Bethlehem im Westjordanland. Foto: Mahmoud Illean, AP/dpa

    Im Offenen Haus arbeitet Rabia normalerweise mit jüdisch-arabischen Studentengruppen. Nach dem 7. Oktober wurden die Gruppen vorübergehend voneinander getrennt. „Die Nerven liegen blank, jede Verletzung kann irreparabel sein“, erklärt die Leiterin. Auch sie bestätigt, dass es für die jüdisch-israelische Gesellschaft ein großer Schock war, was am 7. Oktober passiert ist. Dort habe es ein Gefühl von Sicherheit gegeben, das Gefühl, dass eine starke Armee das Land beschützt, und diese Gewissheit ist nun zusammengebrochen. „Ich selbst habe nie darauf gebaut, dass die Armee mich beschützt, insofern bin ich auch nicht geschockt. Wir Palästinenser sind dieses Gefühl von Hilflosigkeit gewohnt, mit all dem Schmerz, den das mit sich bringt.“ 

    Im letzten Jahr haben sie hier, im Offenen Haus in Ramle, noch einen großen Weihnachtsbaum aufgestellt, haben ihn geschmückt, Gebäck verteilt. Ein großes Fest eben. „Dieses Jahr gibt es hier keine einzige Spur von Weihnachten“, sagt Rabia. In Ramle wurden alle Feierlichkeiten abgesagt, mit Ausnahme der Gottesdienste, Rabia aber ist nicht gläubig, sie geht nicht in die Kirche. Was ihre eigene Wohnung betrifft, ist sich Vivian Rabia noch nicht ganz sicher. Eigentlich wollte sie keinen Baum aufstellen und auch nicht dekorieren. „Aber neulich habe ich mit meiner Schwester gesprochen, die eine kleine Tochter hat, und wir haben uns gesagt: Lasst uns Licht ins Haus bringen.“

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