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Krieg in Nahost: Was bedeutet der Tod des Hamas-Vizes für den Krieg in Gaza?

Krieg in Nahost

Was bedeutet der Tod des Hamas-Vizes für den Krieg in Gaza?

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    Bei einer Explosion in Beirut soll der stellvertretende Leiter des Politbüros der islamistischen Hamas, Saleh al-Arouri, ums Leben gekommen sein.
    Bei einer Explosion in Beirut soll der stellvertretende Leiter des Politbüros der islamistischen Hamas, Saleh al-Arouri, ums Leben gekommen sein. Foto: Nariman El-Mofty, dpa

    Kurz nach dem Deal zur Befreiung des israelischen Soldaten Gilad Shalit 2011, den die Hamas fünf Jahre lang in Gaza gefangen gehalten hatte, gab der hochrangige Hamas-Mann Saleh al-Arouri Israels öffentlich-rechtlichem Sender Kan ein Interview. Im Gegenzug für die Befreiung Shalits hatte Israel über tausend palästinensische Häftlinge entlassen. Dass das Land bereit sei, so viel für einen einzigen Soldaten zu tun, sei „eine Stärke der israelischen Gesellschaft“, sagte al-Arouri damals. 

    Am Montagabend wurde al-Arouri, 57 Jahre alt, bei einer Explosion in Beirut getötet. Mit ihm kamen sechs weitere Hamas-Männer ums Leben. Wenngleich Israel mutmaßliche gezielte Tötungen gewohnheitsmäßig nicht kommentiert, ist anzunehmen, dass seine Sicherheitsdienste dahinterstecken: Seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober droht Israels Regierung deren Anführern mit dem Tod; und als stellvertretender Leiter des Hamas-Politbüros war al-Arouri einer der wichtigsten von ihnen. „Einen solchen Anführer zu töten, hat Symbolkraft“, sagt der Hamas-Experte Ronny Shaked von der Hebräischen Universität in Jerusalem, der al-Arouri selbst 2011 interviewt hat. „Es ist ein moralischer Sieg für Israel und ein moralisches Problem für die Hamas.“ 

    Al-Arouri koordinierte die terroristischen Aktivitäten der Hamas

    Al-Arouri, geboren in einem kleinen Dorf nahe Ramallah im Westjordanland, trat der Hamas Ende der 80er Jahre als Student an der Universität von Hebron bei. Wegen seiner Aktivitäten für die Terrororganisation wurde er Anfang der 90er mehrmals verhaftet und verbrachte insgesamt 15 Jahre in israelischen Gefängnissen, bis er 2010 freikam. Bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas um die Freilassung Gilad Shalits spielte er eine tragende Rolle. Unter den mehr als tausend Palästinensern, die im Gegenzug freikamen, war auch der heutige Chef der Hamas in Gaza, Jihia Sinwar, der als Planer der Massaker vom 7. Oktober gilt. Dass Israel 2011 bereit war, für einen einzigen Soldaten einen solch hohen Preis zu bezahlen, dürfte zu Sinwars Entscheidung beigetragen haben, auch bei dem Terrorangriff vom Oktober auf Geiselnahmen zu setzen

    In diesem Gebäude soll der zweithöchste Anführer der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Arouri, ums Leben gekommen sein.
    In diesem Gebäude soll der zweithöchste Anführer der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Arouri, ums Leben gekommen sein. Foto: Marwan Naamnai, dpa

    Al-Arouri zog nach seiner Freilassung zunächst nach Damaskus, später in die Türkei und schließlich in den Libanon. Aus der Ferne koordinierte er die terroristischen Aktivitäten der Hamas im Westjordanland. Zudem knüpfte er in seinen Gastländern hilfreiche politische Kontakte für die Hamas, unter anderem mit der schiitisch-islamistischen Hisbollah im Libanon und deren Förderer, dem iranischen Regime. „Er war die Verbindung zur Hisbollah“, sagt Ronny Shaked, „und deshalb eine sehr, sehr wichtige Person für die Hamas.“ Seine guten Drähte nach Teheran nutzte Al-Arouri, um seine Organisation mit Waffen und Munition aus dem Iran zu versorgen. 

    Weitere Geisel-Deals sind nun unwahrscheinlich

    Nicht zuletzt wegen al-Arouris enger Bande zur Hisbollah und ihrem mächtigen Förderer fürchten nun Beobachter in Israel, dass die Hisbollah die Tötung rächen könnte. Deren Raketenarsenal gilt als größer und schlagkräftiger als jenes der Hamas; und auch wenn Israels Armee sich seit Beginn des Gazakrieges auf eine Eskalation im Norden vorbereitet, könnte ein Zwei-Fronten-Krieg sie stark unter Druck setzen. Die Hisbollah-Miliz im Libanon drohte am Dienstagabend Vergeltung an: "Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen." 

    Vor allem bei den Angehörigen der noch immer gefangen gehaltenen israelischen Geiseln wächst die Sorge. Nach der mutmaßlichen Tötung von al-Arouri sind die Verhandlungen über ein mögliches neues Geisel-Abkommen zwischen den Kriegsparteien laut der Zeitung Haaretzzum Stillstand gekommen. Die Gespräche konzentrierten sich nun darauf, eine Eskalation zwischen Israel und dem Libanon zu verhindern.

    Frankreich warnt vor Eskalation

    Israels Sicherheitsberater ist unterdessen um Entschärfung bemüht. "Wer auch immer das getan hat, es muss klar sein, das dies keine Attacke auf den libanesischen Staat war. Es war nicht einmal eine Attacke auf die Hisbollah", sagte Mark Regev dem US-Fernsehsender MSNBC. Der mutmaßliche Angriff habe allein der Hamas gegolten.

    Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte die israelische Regierung auf, "jedes eskalierende Verhalten, insbesondere im Libanon, zu vermeiden". Das teilte der Élysée-Palast in Paris nach einem Telefonat Macrons mit Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, mit. Frankreich werde diese Botschaften der Zurückhaltung weiterhin an alle direkt oder indirekt beteiligten Akteure in dem Gebiet weitergeben, hieß es.

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