Während die israelische Armee tiefer in die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vorrückt, planen die USA als wichtigster Verbündeter Medienberichten zufolge eine neue milliardenschwere Waffenlieferung an den jüdischen Staat. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "entsetzt" über die israelische Militäroffensive.
"Diese Entwicklungen erschweren den Zugang für humanitäre Hilfe weiter und verschlimmern die ohnehin schon schlimme Situation. Gleichzeitig feuert die Hamas weiterhin wahllos Raketen ab", sagte sein Sprecher Stéphane Dujarric.
Der in Israels Kriegskabinett sitzende Ex-General Benny Gantz rief zu mehr internationalem Druck auf die Hamas auf. Dieser Forderung habe er bei einem Telefonat mit dem nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, Ausdruck verliehen, schrieb Gantz auf X.
Armeesprecher: Berichte über Geiseln in Rafah
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen wegen des Vorrückens der israelischen Armee in Rafah will Sullivan dem Nachrichtenportal "Axios" zufolge an diesem Wochenende nach Saudi-Arabien und Israel reisen. Die USA als wichtigster Verbündeter hatten Israel insbesondere wegen der befürchteten Konsequenzen für die Zivilbevölkerung immer wieder vor einer großen Bodenoffensive in der an Ägypten grenzenden Stadt gewarnt.
Israel will in Rafah die letzten Bataillone der Hamas zerschlagen. Nach Erkenntnissen des Militärs befinden sich in dem Gebiet auch israelische Geiseln. Das hätten Offiziere Israels Generalstabschef Herzi Halevi bei dessen Truppenbesuch im östlichen Teil von Rafah berichtet, sagte Armeesprecher Daniel Hagari.
Die US-Regierung erwartet von Israel, sich aktiv an der Entwicklung eines "klaren und konkreten Plans" für die Zukunft des Gazastreifens zu beteiligen. US-Außenminister Antony Blinken sagte in Kiew, die USA arbeiteten mit arabischen Partnern und anderen seit Monaten intensiv daran, aber es sei "zwingend erforderlich", dass auch Israel diese Arbeit leiste und sich darauf konzentriere, wie diese Zukunft nach dem Ende des israelischen Militäreinsatzes gegen die islamistische Hamas aussehen könne.
Die US-Regierung unterstütze eine israelische Besetzung des Gazastreifen nicht und werde diese auch in Zukunft nicht tun, sagte Blinken. Gewiss befürworte man aber auch keine Kontrolle durch die islamistische Hamas, so wie in den Jahren zuvor. Es dürfe keine Anarchie und kein Vakuum geben, das "wahrscheinlich durch Chaos" gefüllt werde, mahnte er. "Es muss also einen klaren, konkreten Plan geben. Und wir erwarten von Israel, dass es seine Ideen einbringt."
Der US-Außenminister ging auch auf die israelische Militäroperation gegen die Hamas in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens ein. Die Auswirkungen auf die Lieferung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung bereite der US-Regierung große Sorgen, weil die beiden wichtigen Grenzübergänge im Süden durch den resultierenden Konflikt beeinträchtigt worden seien. Er sprach von "negative Auswirkungen".
Israelische Armee rückt tiefer in Rafah ein
Israelische Truppen waren nach Augenzeugenberichten mit Panzern tiefer in die Stadt vorgedrungen, die sich am Dienstag von Osten aus in weiter westlich gelegene Viertel bewegten. Hagari ging auf die Berichte nicht ein. Wie die Armee am Mittwochmorgen mitteilte, wurde bei Kämpfen ein weiterer 19-jähriger Soldat getötet. Es war laut der "Times of Israel" das erste Mal, dass bei Israels Vorstoß in Rafah ein Soldat der Armee fiel. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit Kriegsbeginn vor mehr als sieben Monaten mehr als 35.100 Palästinenser im Gazastreifen getötet. Die unabhängig kaum zu verifizierende Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.
US-Präsident Biden hatte Israel vergangene Woche damit gedroht, dass eine größere Bodenoffensive in der mit Binnenflüchtlingen aus anderen Teilen des Gazastreifens überfüllten Stadt Konsequenzen für US-Waffenlieferungen haben könnte. Nach einer großen Bodenoffensive sehe es aber gegenwärtig nicht aus, sagte eine Sprecherin. US-Medien zufolge plant die US-Regierung nun eine neue Waffenlieferung an Israel im Volumen von mehr als einer Milliarde US-Dollar (rund 924 Millionen Euro). Sie enthalte Panzermunition, taktische Fahrzeuge und Mörsergranaten, hieß es unter Berufung auf nicht genannte Quellen. Die US-Regierung habe den Genehmigungsprozess im Kongress angestoßen.
Israel ruft zu Evakuierungen im Norden des Gazastreifens auf
Das israelische Militär hat am Mittwoch weitere Palästinenser im Norden des Gazastreifens aufgerufen, sich vor einem größeren Militäreinsatz gegen die islamistische Hamas in Sicherheit zu bringen. Ein Armeesprecher veröffentlichte auf der Plattform X eine Karte mit den Gebieten der Stadt Dschalabia, die sofort verlassen werden müssten. In diesen Bereichen feuerten die Hamas und andere Terrorgruppen Raketen auf israelische Städte ab, hieß es. Die Einwohner sollten in Schutzeinrichtungen im Westen der Stadt Gaza Zuflucht vor den bevorstehenden Militäroperationen suchen.
Ein Armeesprecher hatte am Vormittag von einer Intensivierung der Militäreinsätze im Gebiet von Dschabalia seit Dienstagnacht gesprochen. Es habe unter anderem Luftangriffe gegen Ziele gegeben, von denen am Dienstag die südisraelische Stadt Sderot beschossen worden sei. Auch am Mittwochmorgen wurden den Angaben zufolge Raketen aus dem Gebiet von Dschalabia abgefangen, ehe sie israelische Ziele erreichen konnten.
UN: Tödliche Schüsse auf UN-Auto wohl von israelischem Panzer
Die Vereinten Nationen gehen unterdessen nach dem Tod eines indischen Mitarbeiters davon aus, dass sein Auto von einem israelischen Panzer beschossen wurde. Das teilte UN-Sprecher Farhan Haq in New York mit. "Wir sind im Gespräch mit Israel, um genau herauszufinden, wie es zu diesem Vorfall kam", sagte Haq. Eine weitere verletzte Jordanierin werde in einem Krankenhaus behandelt.
In Rafah hatten bis vergangene Woche rund eine Million Menschen Schutz vor Kämpfen im übrigen Gazastreifen gesucht. Inzwischen haben laut UN-Schätzungen binnen einer Woche fast 450.000 Menschen die an Ägypten grenzende Stadt wieder verlassen.
Armee: Luftangriff auf Hamas-Kommandozentrum in Schule
Das israelische Militär meldete unterdessen die Tötung von mehr als zehn Hamas-Mitgliedern bei einem gezielten Luftangriff auf ein Kommandozentrum der Islamistenorganisation in einer Schule. Die Räumlichkeiten seien vom militärischen Flügel der Hamas genutzt worden, um Angriffe auf das israelische Militär im Gazastreifen zu planen, sagte ein Armeesprecher.
Die Hamas habe den "Kriegsraum" mitten in einer Schule des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) eingerichtet. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bei dem Angriff 15 Binnenflüchtlinge getötet. Keine der Angaben konnte zunächst unabhängig geprüft werden.
Es brauche unbedingt mehr internationalen Druck auf die Hamas, schrieb der israelische Minister Gantz nach seinem Telefonat mit Sullivan auf X. Zugleich bleibe der militärische Druck auf die Terrororganisation nötig, "um eine Vereinbarung zur Rückgabe der Geiseln zu erreichen und die Bedrohung durch die Hamas zu beseitigen", schrieb er. Die Bemühungen um eine Waffenruhe sind dem Vermittlerstaat Katar zufolge nahezu zum "Stillstand" gekommen. Es gebe grundlegende Unstimmigkeiten zwischen der Hamas und Israel, sagte Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani am Dienstag in Doha.
Israels Armee: Hisbollah-Kommandeur im Südlibanon getötet
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben bei einem Luftangriff im Südlibanon am Dienstagabend einen ranghohen Kommandeur der Hisbollah-Miliz getötet. Die proiranische Miliz bestätigte den Tod eines ihrer Kämpfer, ohne aber den Rang zu nennen. Nach Angaben des israelischen Militärs soll der Mann für die Planung und Durchführung zahlreicher Terroranschläge gegen israelische Zivilisten und israelisches Territorium verantwortlich gewesen sein. Libanons staatliche Nachrichtenagentur NNA meldete, bei einem israelischen Drohnenangriff sei am Dienstagabend ein Auto getroffen worden. Dabei seien zwei Personen getötet worden.
Die Hisbollah im Libanon hat nach Angaben des israelischen Militärs am Mittwoch rund 60 Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert. Die Miliz selbst teilte mit, Dutzende Raketen auf das Hauptquartier der Luftüberwachungseinheit bei Meron abgefeuert zu haben. Der Angriff sei eine Reaktion auf das "Attentat des israelischen Feindes" vom Dienstagabend gewesen. Die proiranische Schiitenmiliz teilte darüber hinaus mit, weitere Standorte der israelischen Armee angegriffen zu haben.
Irland will Palästina noch diesen Monat als Staat anerkennen
Die irische Regierung will Palästina noch im Mai als eigenen Staat anerkennen. Das sagte Irlands Außenminister Micheál Martin in einem Interview des irischen Radiosenders Newstalk. Das genaue Datum stehe noch nicht fest, sagte Martin, weil man sich noch mit anderen Ländern abstimmen wolle. Es werde aber mit Sicherheit vor Ende des Monats geschehen. Irland hatte zuletzt Gespräche unter anderem mit Spanien über eine gemeinsame Anerkennung Palästinas als Staat geführt. Deutschland erkennt Palästina nicht als Staat an.
Martin begründete den geplanten Schritt mit der Unterstützung Dublins für eine Zweistaatenlösung. Das sei die einzige Lösung, durch die Israelis und Palästinenser friedlich Seite an Seite leben könnten, so der konservative Politiker. Die islamistische Hamas, die noch immer Teile des Gazastreifens kontrolliert, und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu lehnen eine Zweistaatenlösung jedoch ab.
Netanjahu lehnt Resolution der UN-Vollversammlung ab
Die israelische Regierung lehnt die in der vergangenen Woche von der UN-Vollversammlung angenommene Empfehlung einer Vollmitgliedschaft der Palästinenser in dem Gremium einhellig ab. "Wir werden das schreckliche Massaker vom 7. Oktober nicht belohnen", sagte Regierungschef Benjamin Netanjahu nach dem Beschluss seines Kabinetts, die Resolution zurückzuweisen. "Wir werden ihnen nicht erlauben, einen Terroristenstaat zu gründen, von dem aus sie uns angreifen können."
Weder die UN-Vollversammlung noch eine andere Organisation werde Israel davon abhalten, von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch zu machen, fügte er hinzu.
(dpa)