Nach dem tödlichen Angriff auf Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran hat der Iran Israel mit einem Vergeltungsschlag gedroht. „Das kriminelle zionistische Regime hat unseren Gast in unserem Haus ermordet“, betonte der oberste Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, in einer Erklärung und fügte hinzu: „Es wird eine harte Bestrafung geben.“ Auch die Verhandlungen über die Freilassung weiterer israelischer Geiseln geraten nun offenbar ins Stocken. Er frage sich, wie er erfolgreich vermitteln solle, wenn eine Partei den Vermittler auf der anderen Seite ermorde, betonte der Ministerpräsident von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani. Das Emirat ist der wichtigste Vermittler in den Gesprächen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg.
„Die Geiselverhandlungen sind jetzt erst einmal auf Eis gelegt“, schätzt auch der Terrorforscher Peter Neumann, der am renommierten Kings College in London lehrt. Das aber sei weniger schlimm, als es klinge, denn die Verhandlungen liefen bereits seit Monaten schlecht und es habe nur wenige Anzeichen für eine bevorstehende Übereinkunft gegeben. Nach Einschätzung des Nahost-Experten Stephan Stetter von der Universität der Bundeswehr in München treten hier beide Seiten bewusst auf der Stelle. „Die israelische Regierung hat kein Interesse an einem Waffenstillstand und Geiselabkommen“, sagt Stetter gegenüber unserer Redaktion. „Sie gibt es nur öffentlich vor, weil sie international und vor der eigenen Bevölkerung Gesicht wahren will.“ Auch die Hamas wolle kein Abkommen. „Deshalb ändert die Tötung Hanijas an der momentanen Lage nichts.“
Hisbollah tötet in Israel zwölf Kinder und Jugendliche
Israel sieht in Hanija einen der Hauptdrahtzieher für die Massaker vom 7. Oktober. Nach Angaben der Hamas wurde er in der Nacht zum Mittwoch bei einem israelischen Angriff in der iranischen Hauptstadt getötet, in die er zur Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian gereist war. Wenige Stunden zuvor hatte die israelische Armee nach eigenen Angaben bei einem Luftangriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut bereits Fuad Schukr getötet, einen ranghohen Kommandeur der Schiitenmiliz Hisbollah, die wie die Hamas mit dem Iran verbündet ist. Er soll für einen Angriff auf den Norden Israels verantwortlich sein, bei dem am Wochenende zwölf Kinder und Jugendliche ums Leben kamen. In einem Brief an Dutzende von Amtskollegen in aller Welt verteidigte Außenminister Israel Katz die Tötung von Schukr. Israel habe damit eine klare Botschaft geschickt: „Wir werden mit großer Macht gegen jeden vorgehen, der uns Schaden zufügt.“
Der gewaltsame Tod Hanijas sei durchaus ein Erfolg für die israelische Führung, betont Nahost-Experte Stetter. Zwar müsse Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit einem Vergeltungsschlag des Iran und auch der Hisbollah rechnen, doch auch Teheran habe allen verbalen Drohgebärden zum Trotz kein Interesse an einem unkontrollierbaren Konflikt. „Die iranische Führung, aber auch die Hisbollah im Libanon werden nun erst einmal darüber brüten, wie sie vorgehen“, sagt Stetter. „Es wird ihnen schwerfallen, eine gleichwertige Antwort auf den Angriff zu finden, die nicht zu einer weiteren Eskalation führt.“ Dass Hanija ausgerechnet in Teheran getötet worden sei, wertet der Terrorforscher Neumann als gezielte Provokation. „Das Tabu, die andere Seite direkt und auf dem eigenen Territorium anzugreifen, ist ganz offensichtlich gefallen.“
Die Bundesregierung warnte vor einer weiteren Eskalation der Lage im Nahen Osten. „Wir rufen alle Akteure zu maximaler Zurückhaltung auf. Die Logik gegenseitiger Vergeltungsschläge ist ein Irrweg“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. „Auch die Chance auf einen Geiselabkommen und einen Waffenstillstand in Gaza darf jetzt nicht verspielt werden..“ Die Türkei verurteilte den Angriff und warf Israel vor, damit einen regionalen Krieg anzetteln zu wollen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte, es habe sich um einen „hinterhältigen“ Anschlag auf seinen „Bruder“ Hanija gehandelt. (mit dpa)
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