Seit fast vier Monaten wartet Talia Berman bereits auf ihre Söhne. Die Zwillinge Ziv und Gali wurden nach den Massakern vom 7. Oktober von den Terroristen der Hamas aus dem Kibbuz Kfar Aza in den Gazastreifen entführt. Berichte, nach denen nun ein weiterer Austausch von Geiseln bevorstehe, verfolgt die Mutter der beiden 26-Jährigen allerdings mit der Vorsicht einer Frau, die in den vergangenen Monaten wenig Grund hatte, optimistisch zu sein. "Wir wissen nichts", schreibt sie in einer E-Mail an unsere Redaktion. "Nur das, was im Fernsehen läuft." Am Ende fügt sie noch ein kleines Bild mit zwei gefalteten Händen hinzu: "Wir beten."
Im November kamen bereits 105 Hamas-Geiseln in Gaza frei
Seit Donnerstagabend allerdings verdichten sich die Hinweise auf eine bevorstehende Feuerpause, während der dann der größte Teil der mehr als 130 israelischen Geiseln freikommen könnte, darunter auch noch mehrere mit deutschen Vorfahren oder deutschen Wurzeln wie Ziv und Gali Berman. Die Hamas habe ihre Zustimmung zu einer Übereinkunft im Prinzip gegeben, berichteten mehrere israelische Medien unter Berufung auf das Außenministerium des Emirats Katar, das zwar einerseits als Finanzier der Hamas gefürchtet ist, gleichzeitig aber in die Rolle des vielleicht wichtigsten Vermittlers geschlüpft ist. Auch der Sprecher von US-Außenminister Anthony Blinken, Matthew Miller, macht Angehörigen wie Talia Berman Hoffnung: Die Verhandlungen über eine Freilassung aller Geiseln seien deutlich intensiviert worden, sagt er. "Wir treiben das voran." Ende November waren bei einer ähnlichen Übereinkunft während einer siebentägigen Waffenruhe bereits 105 Gefangene gegen 240 in israelischen Gefängnissen inhaftierter Palästinenser freigekommen.
Ob tatsächlich noch alle Geiseln am Leben sind, ist unklar. Angeblich sollen bis zu 30 von ihnen bereits in der Gefangenschaft gestorben sein, drei wurden von israelischen Soldaten aus Versehen erschossen. Ein weiterer Austausch nach dem Muster von November könnte allerdings deutlich größere Dimensionen haben. Bei einem von den USA angestrengten Treffen in Paris, an dem auch Unterhändler aus Katar und Ägypten teilnehmen, war am vergangenen Wochenende von einer Feuerpause von bis zu zwei Monaten und einer deutlichen Ausweitung der humanitären Hilfe für Gaza die Rede. Ob die Hamas dort via Katar noch immer den Abzug aller israelischen Truppen zur Voraussetzung für ein Abkommen gemacht hat, ist unklar. Allerdings weiß auch Hamas-Chef Ismail Haniyya, dass die Regierung von Benjamin Netanjahu sich darauf sicher nicht einlassen wird.
Israel werde den Krieg nicht beenden, seine Truppen nicht abziehen und für einen Geiseldeal auch nicht "Tausende Terroristen" aus seinen Gefängnissen freilassen, hat der Ministerpräsident in dieser Woche noch einmal betont. "Wir haben rote Linien." Man arbeite an einem neuen Rahmenabkommen zur Freilassung der Geiseln, bestätigte er, "aber ich betone – nicht um jeden Preis." Israelische Medien zitieren auch ein namentlich nicht genanntes Mitglied seines Kabinetts, das gesagt haben soll: "Von einem Abkommen sind wir noch weit entfernt, und es ist keineswegs sicher, dass wir tatsächlich eines bekommen."
Die USA und Katar dagegen sehen die Lage offenbar deutlich optimistischer. Nach allem, was bisher aus den Gesprächen von Paris durchgesickert ist, könnten in einer ersten Phase 35 weibliche, kranke, verletzte und ältere Geiseln freikommen – und für jede Freigelassene und jeden Freigelassenen bis zu drei Palästinenser aus israelischer Haft. Dazu sollen die Kämpfe für zunächst 35 Tage pausieren. Danach solle es offenbar eine weitere Feuerpause geben, in der die Unterhändler dann versuchen würden, auch junge Männer wie Ziv und Gali Berman sowie gefangen genommene israelische Soldaten freizubekommen. Unklar ist offenbar noch, wer im Falle eines Falles eigentlich entscheidet, welche Geiseln genau wann frei kommen – Israel oder die Hamas.
Noch geht Israel hart gegen die Hamas vor
Noch allerdings geht Israel hart gegen die Terrororganisation vor. Wie die Times of Israel berichtet, weitet die Armee ihre Kämpfe gerade auf den südlichsten Teil des Gazastreifens aus. Das Militär werde auch die Hamas-Brigade in Rafah an der Grenze zu Ägypten erreichen und zerschlagen, so wie derzeit mit den Hamas-Bataillonen im Gebiet der Stadt Chan Junis verfahren werde, zitierte die Zeitung Verteidigungsminister Yoav Galant. In Rafah und Umgebung sollen sich inzwischen mehr als 1,3 Millionen Menschen aufhalten. Das ist mehr als die Hälfte der insgesamt rund 2,2 Millionen Einwohner des Gazastreifens.