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Krieg in Nahost: Höchstes UN-Gericht richtet klare Warnung an Israel

Krieg in Nahost

Höchstes UN-Gericht richtet klare Warnung an Israel

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    Chan Junis ist heftig umkämpft. Die Stadt gilt als Hochburg der Hamas, die israelische Armee vermutet hier ein umfassendes Tunnelsystem.
    Chan Junis ist heftig umkämpft. Die Stadt gilt als Hochburg der Hamas, die israelische Armee vermutet hier ein umfassendes Tunnelsystem. Foto: Mohammed Dahman, dpa

    Schwarze Rauchsäulen steigen auf über Chan Junis. Der Heimatort des Hamas-Anführers Jahia Sinwar ist heftig umkämpft. Die israelische Armee versucht, die größte Stadt im südlichen Gazastreifen einzunehmen, sie gilt als Hochburg der Terrororganisation, Tausende Menschen sind zur Flucht gezwungen. Die Stadt war ohnehin schon zum Schmelztiegel der Verzweifelten geworden: 1,3 der insgesamt 2,2 Millionen Einwohner des Gazastreifens hatten dort Obdach gefunden, nachdem der Norden der Region von Israel eingenommen worden war.

    „Die Zivilisten können sich nicht einfach in Luft auflösen“, mahnte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf Twitter. „Deswegen reicht ein Aufruf zum Verlassen dieser Orte nicht, sondern es braucht endlich eine humanitäre Feuerpause.“ Die Sorgenfalten selbst der engsten Verbündeten werden tiefer, wie es im Gazastreifen weitergehen soll. Nun urteilte das höchste Gericht der Vereinten Nationen: Israel muss mehr unternehmen für den Schutz von Zivilisten. Aber: Den Militäreinsatz in Gaza muss die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht beenden.

    Israel dürfte von dem Urteil hart getroffen sein

    Trotzdem ist der Richterspruch ein klares Signal an Israel. Offenbar sehen die Juristen durchaus die Gefahr, dass die Völkermord-Konvention verletzt werden könnte. Israel soll das verhindern und die Rechte der palästinensischen Zivilisten schützen. Gerichtspräsidentin Joan Donoghue sagte: "Das Gericht ist sich sehr bewusst über das Ausmaß der menschlichen Tragödie, die sich in der Region abspielt und ist zutiefst beunruhigt über den andauernden Verlust von Leben und menschliches Leiden."

    Innerhalb eines Monats muss das Land nun Rechenschaft gegenüber den Vereinten Nationen ablegen. Die Anordnung ist Teil des Genozid-Verfahrens, das Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angestrebt hat. Es ist ein langwieriges Verfahren. Die Entscheidung vom Freitag ist bislang nur ein Nebenaspekt, das eigentliche Urteil des Hauptverfahrens wird wohl erst in einigen Jahren fallen. Und doch dürfte Israel hart getroffen sein. Nicht nur, dass sich das Land nach der Attacke der Hamas vom 7. Oktober 2023 im Verteidigungsmodus sieht. Israel wurde selbst als Folge eines Völkermordes an Juden in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. 

    Südafrika jubelt über den Richterspruch

    In der 84 Seiten langen Klageschrift beschreibt Südafrika die Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen als Taten mit dem Charakter eines Völkermordes. Israel töte Palästinenser, „füge ihnen schweren geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen“. Das südafrikanische Außenministerium sieht die Entscheidung des Gerichtshofes in Den Haag entsprechend auch als „entscheidenden Sieg für die internationale Rechtsstaatlichkeit“. Der Außenminister der palästinensischen Autonomiebehörde, Riad Malki, schrieb: „Die Richter des Internationalen Gerichtshofes sind von den Fakten und Gesetzen ausgegangen. Sie urteilten zugunsten der Humanität und des internationalen Rechts.“ 

    Joan Donoghue, Vorsitzende Richterin des Internationalen Gerichtshofs, sendet ein klares Signal an Israel.
    Joan Donoghue, Vorsitzende Richterin des Internationalen Gerichtshofs, sendet ein klares Signal an Israel. Foto: Patrick Post, dpa

    Netanjahu ist verpflichtet, die Vorgabe aus Genf umzusetzen. Allerdings haben die Richter auch keine Instrumente, um das durchzusetzen. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass Israel seine Kriegstaktik ändert. „Israels Respekt für das internationale Recht ist unerschütterlich“, teilte Netanjahu am Freitag in einer Videobotschaft mit. Zugleich werde sich Israel weiterhin „gegen die Hamas, eine völkermordende terroristische Organisation, zur Wehr setzen“. Die gegen Israel erhobenen Völkermord-Anschuldigungen seien „nicht nur falsch, sondern auch empörend“, führte Netanjahu aus. „Unser Krieg ist gegen Hamas-Terroristen, nicht gegen palästinensische Zivilisten.“ 

    Zahl der Opfer im Gazastreifen steigt weiter

    Das erklärte Ziel bleibt, die Hamas und ihre Strukturen zu zerstören. Da die Terrororganisation aber gezielt Schutz sucht in zivilen Einrichtungen oder sich bewusst dort platziert, wo viele Menschen leben, steigt die Zahl der Opfer immer weiter an. Nach palästinensischen Angaben – die sich nicht unabhängig überprüfen lassen – sind seit Kriegsbeginn 26.083 Palästinenserinnen und Palästinenser gestorben. 75 Prozent von ihnen seien Frauen, Kinder oder ältere Männer gewesen. 64.487 weitere Menschen wurden verletzt. Es ist zu erwarten, dass der internationale Druck auf Israel nach dem Richterspruch zunehmen wird.

    Auch innenpolitisch erlebt Netanjahu ungemütliche Zeiten. Die Angehörigen der Geiseln fordern ihn auf, sich stärker um deren Freilassung zu bemühen. Demonstranten verlangen zudem, dass die Kämpfe im Gazastreifen eingestellt werden. (mit dpa)

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