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Krieg in Nahost: Fund toter Geiseln versetzt Israel in Aufruhr

Krieg in Nahost

Fund toter Geiseln versetzt Israel in Aufruhr

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    Der amerikanisch-israelische Staatsbürger Hersh Goldberg-Polin ist unter den toten sechs Geiseln.
    Der amerikanisch-israelische Staatsbürger Hersh Goldberg-Polin ist unter den toten sechs Geiseln. Foto: J. Scott Applewhite, AP/dpa

    Hersh Goldberg-Polin war 23 Jahre alt, als er am 7. Oktober auf dem Nova-Musikfestival im Süden Israels feierte. Bei dem Terrorüberfall der Hamas riss eine Granate ihm den Unterarm ab, dann verschleppten die Terroristen in nach Gaza. Letzte Woche traten seine verzweifelten Eltern auf dem Parteitag der US-Demokraten in Chicago auf. „Hersh, falls du uns hören kannst, wir lieben dich“, endete seine Mutter, Rachel Goldberg-Polin, ihre Ansprache. „Bleib stark. Überlebe.“

    Nach allem, was bislang bekannt ist, dürfte Hersh Goldberg-Polin zu jenem Zeitpunkt noch am Leben gewesen sein. Am Sonntagmorgen jedoch meldete Israels Armee, die IDF, dass ihre Truppen seine Leiche in einem Tunnel im Süden Gazas entdeckt haben, zusammen mit den Leichen fünf weiterer Geiseln. Bei den sechs Toten handelt es sich um zwei Frauen und vier Männer im Alter zwischen 23 und 40 Jahren. Für die Angehörigen besonders bitter: Erkenntnissen der Armee zufolge hatten Hamas-Männer die Geiseln erst getötet, als die Soldaten kurz davor waren, sie zu erreichen.

    Seit dem 7. Oktober hat die IDF in verschiedenen Einsätzen acht Geiseln befreit. Einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz zufolge hatten Vertreter der israelischen Sicherheitsdienste der Regierung erst jüngst mitgeteilt, dass die Hamas ihren Wächtern befohlen habe, Geiseln zu töten und zu fliehen, wenn israelische Truppen sich ihnen näherten.

    Netanjahu gibt der Hamas die Schuld am Scheitern eines Deals

    Das bedeutet auch: Hätten sich Israel und die Hamas bereits auf einen Deal geeinigt, dann wären die sechs Geiseln wohl noch am Leben. Dem Kompromissvorschlag zufolge, über den beide Seiten seit Monaten ringen, sollten in der ersten Phase zunächst weibliche, alte und verletzte Geiseln freikommen. Hersh Goldberg-Polin hätte zu dieser Gruppe gehört, ebenso wie die Eden Yerushalmi, 24, und Carmel Gat, 40, deren Leichen nun ebenfalls entdeckt wurden.

    Zu Carmel Gat äußerte sich auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert. Er schrieb auf X: „Wir alle wachen auf mit der schrecklichen Nachricht, dass sechs weitere tote Geiseln gefunden wurden, die von der Hamas getötet wurden.“ Namentlich nannte er Gat. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel habe sich die deutsche Botschaft an der Seite der Familie für ihre Freilassung eingesetzt. Das Auswärtige Amt bestätigte auf Anfrage nicht, ob Gat die deutsche Staatsbürgerschaft hatte. Bei den übrigen Toten handelt es sich um Alexander Lobanov, 32, Almog Sarusi, 27, und Ori Danino, 25.

    „Dass sich die Unterzeichnung eines Deals so lange verzögert, hat zu ihrem Tod und der vieler anderer Geiseln geführt“, hieß es in einer Mitteilung des Forums, in dem sich ein großer Teil der Geiselfamilien organisiert hat. Die Mitteilung schließt mit einem wütenden Appell an Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. „Hören Sie auf, sich zu verstecken. Rechtfertigen Sie sich vor der Öffentlichkeit für das fortlaufende Imstichlassen“ der Geiseln. Für den Sonntag sagte das Forum Proteste im ganzen Land an. Oppositionsführer Yair Lapid forderte gar einen Generalstreik. Und in Tel Aviv trugen am Sonntag auffallend viele Menschen Gelb – jene Farbe, die die Geiselfamilien zum Symbol ihres Kampfes gemacht haben.

    Der Regierungschef indes gibt nach wie vor der Hamas die Schuld am Stocken der Verhandlungen. „Seit Dezember weigert sich die Hamas, echte Verhandlungen zu führen“, sagte Netanjahu. „Wer Geiseln ermordet, will keinen Deal.“

    Verteidigungsminister Yoav Galant hat Rückendeckung der Armee

    Seine zahlreichen Kritiker dürfte er damit kaum überzeugen. Und mindestens einer von ihnen sitzt sogar in der Regierung: Verteidigungsminister Yoav Galant.

    Am Donnerstag hatte Israels Sicherheitskabinett mehrheitlich beschlossen, dass der Philadelphi-Korridor, ein schmaler Streifen entlang der 14 Kilometer langen Grenze Gazas zu Ägypten, unter israelischer Kontrolle bleiben müsse. Als Einziger stimmte Galant dagegen. Der Streit um den Korridor zählt zu den wichtigsten Hürden auf dem Weg zu einer Einigung mit der die Hamas, die auf den kompletten Abzug der israelischen Truppen aus Gaza besteht.  

    Am Sonntag forderte Galant nun öffentlich das Sicherheitskabinett auf, seine Entscheidung rückgängig zu machen. „Die Entführten, die in der Gefangenschaft der Hamas bleiben, müssen nach Hause gebracht werden“, schrieb er dazu auf der Plattform X. Die Chefs von Armee und Geheimdiensten sollen israelischen Berichten zufolge auf Galants Seite stehen.

    Ihre Chance darauf, Netanjahu umzustimmen, sind zweifelhaft: Zwei seiner Minister drohen, zurückzutreten und ihn seiner Mehrheit zu berauben, sollte er in der Philadelphi-Frage nachgeben. Doch mit dem Fund der sechs Leichen dürfte der moralische und politische Druck, nachzugeben, massiv steigen.

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