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Krieg in Nahost: Für deutsche Juden kommt zur Angst die Enttäuschung

Krieg in Nahost

Für deutsche Juden kommt zur Angst die Enttäuschung

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    Bei der verbotenen Demonstration in Neukölln wird Pyrotechnik abgebrannt.
    Bei der verbotenen Demonstration in Neukölln wird Pyrotechnik abgebrannt. Foto: Paul Zinken, dpa

    Für viele deutsche Juden kommt zur wachsenden Sorge um ihre Sicherheit jetzt die Enttäuschung, dass die Solidarität der Zivilgesellschaft Risse bekommt. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sagte unserer Redaktion: "Jüdinnen und Juden in Deutschland erleben gegenwärtig einen psychischen Terror." Seit der brutalen Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat es in vielen deutschen Städten Ausschreitungen und antisemitische Vorfälle im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Demonstrationen gegeben. Fanatische Mobs skandieren Parolen, die Israel das Existenzrecht absprechen, in Berlin wurde ein Brandsatz auf eine Synagoge geworfen, Häuser, in denen Juden leben, wurden mit Davidsternen "markiert". 

    Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
    Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Foto: Pia Bayer, dpa

    Das Bundeskriminalamt hat bereits mehr als 2000 entsprechende Straftaten registriert, Körperverletzungen, Landfriedensbrüche, Volksverhetzungen und Sachbeschädigungen. Zwar hat die Bundesregierung den Schutz jüdischer Einrichtungen weiter verschärft und Israel die deutsche Solidarität versichert, doch Josef Schuster warnt, dass sich die Stimmung im Land zu drehen beginnt: "Sehr schnell hört man von vielen Seiten der Gesellschaft jedoch bereits das berühmte 'Ja, aber'". Auch die

    Sind jüdische Kinder in der Schule noch sicher?

    Dass Solidaritätsadressen und zusätzliche Wachleute vor Synagogen und koscheren Restaurants ausreichen werden, um jüdisches Leben in Deutschland zu sichern, daran wachsen die Zweifel. Hermann Simon, Gründungsdirektor der Stiftung Centrum Judaicum in der berühmten Berliner Synagoge in der Oranienburger Straße, sagte unserer Redaktion: "Bei fast allen Familien in der Gemeinde geht es gerade darum, ob etwa die Kinder noch sicher sind in der Kita oder Schule." Gebäude könnten bewacht werden, aber nicht alle Juden im Alltag. Dass es in bestimmten, muslimisch geprägten Vierteln Berlins gefährlich sei, als Jude erkennbar zu sein, sei zwar nicht neu, doch die Situation habe sich noch einmal drastisch verschärft. Der Historiker, dessen Mutter im Berliner Untergrund den Holocaust überlebt hatte, sagte: "Ja, ich habe Angst. Nicht um mich, aber um die Generationen nach uns. Angst habe ich auch um ein Land, dessen Bürger ich bin und in dem ich mich bisher gut aufgehoben fühlte." Simon, Jahrgang 1949 und für seine Verdienste "um die Förderung jüdischen Lebens sowie für Verständigung und Versöhnung" frisch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, fügte hinzu: "Die Betonung liegt auf 'bisher'."

    Sergej Lagodinsky ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
    Sergej Lagodinsky ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Foto: Paul Zinken

    Auch der grüne Europaabgeordnete Sergej Lagodinsky sagte: "Es herrscht eine grundsätzliche Verunsicherung." Er wolle zwar nicht von Angst sprechen, sondern eher von Enttäuschung, vom "Abschied von der Zuversicht, dass eine jüdische Zukunft in Europa oder in Deutschland möglich ist". Gleichzeitig sehe er in den öffentlichen Solidaritätsadressen und der klaren Linie aller demokratischen Parteien auch "eine Chance, dass wir die jüdische Zukunft hier sichern können". Lagodinsky, 1993 als junger jüdischer Kontingentflüchtling aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen, nannte dafür eine Voraussetzung: "Die Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendienste und Polizei zu befähigen, auf die erhöhte Gefahrenstufe angemessen zu reagieren."

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