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Krieg in Nahost: Die Palästinenser – ein gespaltenes Volk

Krieg in Nahost

Die Palästinenser – ein gespaltenes Volk

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    Milizen der palästinensischen islamistischen Hamas bei einer Militärparade. Einen derart minutiös geplanten Terrorakt hatte kaum jemand der Gruppe zugetraut.
    Milizen der palästinensischen islamistischen Hamas bei einer Militärparade. Einen derart minutiös geplanten Terrorakt hatte kaum jemand der Gruppe zugetraut. Foto: Mohammed Talatene, dpa (Archiv)

    Israel, die USA, der ganze Westen wurden von der beispiellosen Terrorattacke der Hamas überrascht. Was sind die Ziele der Hamas? Stehen die Palästinenser geschlossen hinter den mörderischen Aktionen und wie ist die Situation im Westjordanland? Die islamistische Terrorgruppe Hamas kann nicht für sich beanspruchen, für ganz Palästina zu sprechen. Denn die Palästinenser sind gespalten – räumlich und politisch.

    Die Hamas, gegründet Ende der 80er Jahre von Islamisten, hat die PLO-Kämpfer samt der Fatah-Partei 2006 nach einem Bruderkrieg aus Gaza vertrieben. Unterstützt wird die Hamas vom Iran sowie von mehreren arabischen Staaten. Sie duldet in Gaza die ebenfalls vom Iran finanzierten Milizen des Islamischen Dschihad. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und die Autonomiebehörde haben ihren Sitz in der Stadt Ramallah im Westjordanland.

    Der Hamas hat diesen Terrorakt kaum jemand zugetraut

    Der Hamas sei der Überraschungsangriff auch deshalb gelungen, da sie „solch anspruchsvolle Operationen bisher nie versucht, geschweige denn durchgeführt hat“, sagte der frühere Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Conrad, unserer Redaktion. Nahostexperte Conrad, der mehrfach mit Hamas-Vertretern verhandelt hat, geht davon aus, dass der Überfall „ein bis zwei Jahre systematisch und konspirativ vorbereitet“ wurde. „2012 und 2014 hat Hamas ihre Kampfkraft und Selbstbehauptungsfähigkeit mit Raketen auf Israel demonstriert. Lageverändernde Erfolge ließen sich so jedoch nicht erreichen. Dann scheint das Nachdenken begonnen zu haben, einen großen Schlag vorzubereiten, um zu zeigen, dass sie an der Spitze der Bewegung gegen Israel stehen. Sonst sind sie ja nur die Verwalter eines Armenhauses, das Gaza heißt.“

    Auffällig ist, dass die Terroristen in ihrem Blutrausch nur innehielten, wenn es darum ging, Menschen zu verschleppen. „Die Hamas hat mit der Entführung von Gilad Shalit 2006 und seiner Freipressung gegen 1027 palästinensische Häftlinge im Herbst 2011 einen großen Erfolg erzielen können.“ Conrad war damals maßgeblich daran beteiligt, dass Shalit freikam. „Mit der Verschleppung von bis zu 150 israelischen Geiseln verfügen sie nun über ein maximales Erpressungspotenzial, um endlich die 4500 palästinensischen Kämpfer und Aktivisten, die in Israel in Gefängnissen sitzen, freizubekommen.“ Doch dies könne sich für die Hamas als „Milchmädchenrechnung“ erweisen. 

    Sein Ansehen ist auch unter den Palästinensern längst verblasst: Der palästinensische Mahmud Abbas fällt mit schrillen, bisweilen antisemitischen Äußerungen auf.
    Sein Ansehen ist auch unter den Palästinensern längst verblasst: Der palästinensische Mahmud Abbas fällt mit schrillen, bisweilen antisemitischen Äußerungen auf. Foto: Alex Brandon, AP, dpa

    Als weiterer Grund dafür, dass die israelischen Sicherheitskräfte zu spät auf den Angriff aus Gaza reagierten, gilt, dass die Regierung eher mit Attacken im Westjordanland gerechnet hatte. Im Sommer 2023 eskalierte die Lage, als israelische Siedler palästinensische Orte, die sie für Hochburgen des Widerstandes gegen Israel hielten, verwüsteten. Zuvor war es zu einem tödlichen palästinensischen Anschlag auf Israelis gekommen. Bis Ende August 2023 starben mehr als 30 Kinder und Jugendliche bei Einsätzen des israelischen Militärs, das Anfang Juli eine großangelegte Offensive startete. 

    Aktuell ist es im Westjordanland relativ ruhig. Abbas hat am Donnerstagabend bei einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in Amman Angriffe auf Zivilisten „auf beiden Seiten“ verurteilt. „Nach einem Generalstreik, der anderthalb Tage dauerte, kehrte eine gewisse Normalität in den Alltag zurück. Die Schulen und die Geschäfte haben wieder geöffnet, die Leute gehen zurück an ihre Arbeitsplätze“, sagte der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, Steve Höfner, unserer Redaktion.

    Im Westjordanland gibt es nach dem Terrorakt der Hamas immer wieder kleinere Jubelfeiern

    Im Westjordanland kommt es seit dem Terrorakt immer wieder zu kleineren Jubelfeiern und Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften. „Abbas hat die Brutalität des Terrorangriffs nicht verurteilt, die Hamas aber auch nicht erwähnt. Insofern ist dort eine gewisse Zurückhaltung zu spüren“, sagte Höfner. Die Situation sei sehr angespannt, dies würden Hamsterkäufe in den Supermärkten zeigen. Der Rückhalt der Fatah in der Bevölkerung werde immer schwächer. Sie gelte als korrupte Kraft, „die nur noch verwaltet, die mit allen Mitteln versucht, an der Macht zu bleiben, und Teile der Bevölkerung unterdrückt“. Mit einem greisen, oft irrlichternden Präsidenten an der Spitze.

    Die Hamas hingegen gewinne im Westjordanland immer dann an Sympathien, wenn sie sich als aktiver Akteur darstelle. Höfner: „Die jüngsten Ereignisse könnten die Zustimmung weiter ansteigen lassen.“ Doch der Terror hat nicht nur Befürworter. „In der palästinensischen Zivilgesellschaft, gerade unter Menschenrechtlern und Nichtregierungsorganisationen, gibt es viele, die den brutalen Hamas-Angriff auf israelische Zivilisten verurteilen.“ Schließlich seien 30 bis 40 Prozent der Menschen in den Autonomiegebieten weder Anhänger der Hamas noch der Fatah.

    BND-Mitarbeiter Conrad: "Was bleibt am Ende von der Hamas übrig?"

    Ob die Hamas ihre Pläne, im Westjordanland schrittweise die Kontrolle zu übernehmen, überhaupt in Angriff nehmen kann, ist angesichts der Ankündigung Israels, die Terrorgruppe auszulöschen, ungewiss. „Was bleibt am Ende von der Hamas übrig?“, fragt sich nicht nur Gerhard Conrad. Aber auch: „Was bleibt von den Geiseln übrig?“ 

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