Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich als erster westlicher Regierungschef aktiv vor Ort in die diplomatischen Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts zwischen Israel und der Hamas eingeschaltet. Bei seinem Besuch am Dienstag in Tel Aviv sicherte der SPD-Politiker dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach einem Vier-Augen-Gespräch die unverbrüchliche Solidarität Deutschlands zu. „Herr Ministerpräsident, die Sicherheit Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger ist deutsche Staatsräson“, bekräftigte der Kanzler. Diese Haltung werde vom Deutschen Bundestag „parteiübergreifend“ unterstützt. Gleichzeitig machte Scholz seine Sorge um die von der entführten Geiseln und die humanitäre Lage der Menschen im Gaza-Streifen deutlich.
Der Kanzler zeigte sich tief betroffen über die Gräueltaten der Terrororganisation Hamas gegen Zivilisten jeden Alters. „All das lässt uns das Blut in den Adern gefrieren“, sagte er, um gleichzeitig zu betonen, dass Israel jedes Recht habe, sich gegen diesen „barbarischen Überfall“ zu verteidigen.
Netanjahu bezeichnete den Hamas-Terroranschlag in Israel als "schlimmstes Verbrechen gegen Juden seit dem Holocaust". Menschen seien enthauptet worden, Kinder mit hinter dem Rücken verbundenen Händen oder vor den Augen ihrer Eltern erschossen worden. Auch Holocaust-Überlebende seien von Hamas-Terroristen in den Gazastreifen verschleppt worden. Dies sei eine Grausamkeit, die man nur von den Nazi-Verbrechen während des Holocausts kenne. "Die Hamas sind die neuen Nazis", sagte Netanjahu. Er verglich die Organisation auch mit dem Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS). Die Welt müsse Israel dabei helfen, die Hamas zu zerstören, forderte Netanjahu. Es gehe um den Sieg der Zivilisation über die Barbarei.
Der israelische Präsident Izchak Herzog nannte den Besuch des Kanzlers "eine große Botschaft der Hoffnung" und einen "enormen Ausdruck an Solidarität". Israel erwartet aber auch Rückendeckung für ihre Militärschläge gegen die Hamas.
Unter den von der Hamas im Gaza-Streifen verschleppten Menschen sind auch Deutsche. Scholz versicherte, dass ihnen wie auch allen anderen Geiseln das besondere Augenmerk gelte. „Wir bemühen uns nach Kräften, ihre Freilassung zu erreichen.“ Am Abend sollte es noch ein Gespräch mit Angehörigen deutscher Entführungsopfer geben. Deren Befürchtung ist groß, dass die Geiseln der militärischen Taktik geopfert werden könnten. Viele Angehörige hoffen deshalb auf die Vermittlerrolle Deutschlands. Israel bemüht sich seinerseits um eine Befreiung der Entführten. „Wir werden nicht eher ruhen, bis die Geiseln wieder zu Hause sind“, sagte Jonathan Conricus, Sprecher der israelischen Streitkräfte. Doch die Möglichkeiten sind eingeschränkt.
Krieg in Israel nach Angriffen der Hamas: Sorge vor einem Flächenbrand
Scholz bekräftigte das Bemühen der deutschen Regierung, einer Eskalation des Konflikts entgegenzuwirken. „Es gilt, einen Flächenbrand in der Region zu verhindern“, sagte er und ergänzte, dass es „kein Akteur“ für eine gute Idee halten sollte, von außen in diesen Konflikt einzugreifen. Dies wäre ein „schwerer Fehler“. Beim Besuch des jordanischen Königs Abdullah II. am Vormittag in Berlin war der Kanzler noch deutlicher geworden und hatte namentlich die Hisbollah und den Iran genannt. Letzterer unterstützt die Hamas, die Hisbollah ist eine in Deutschland und anderen Ländern verbotene Terrororganisation, die vom Libanon aus gegen Israel operiert.
Der Kanzler betonte die Notwendigkeit, den Menschen in Gaza Hilfe zukommen zu lassen. Er habe mit Netanjahu über die Möglichkeit „eines verbesserten humanitären Zugangs“ zum Gaza-Streifen gesprochen, sagte Scholz. Abdullah II. hatte beim Treffen mit Scholz in Berlin darauf hingewiesen, dass Hunderttausende dort keinen Zugang zu Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten und Dienstleistungen hätten. „Wir arbeiten alle daran, diese extrem tragische und gefährliche Situation im Nahen Osten zu bewältigen“, betonte der König.
Scholz betont Schutz von jüdischem Leben
Scholz blickte von Tel Aviv aus auch auf sein eigenes Land. Antisemitismus habe in Deutschland keinen Platz, er sei abscheulich, verboten und werde bestraft. „Jüdisches Leben in Deutschland ist ein Geschenk. Jüdische Einrichtungen werden wir schützen“, betonte der Kanzler.
Am Abend wollte Scholz nach Ägypten reisen, um dort seine Krisendiplomatie fortzusetzen. Seine Delegation musste vor dem Abflug von Tel Aviv nach Kairo wegen eines Raketenalarms schlagartig das Flugzeug verlassen. Scholz wurde mit einem Auto in ein Gebäude gefahren, die anderen Passagiere wurden aufgefordert, sich auf dem Flugfeld auf den Boden zu legen. Es wurden zwei Flugabwehrraketen abgefeuert, die auf dem Flugfeld deutlich zu hören waren. Nach wenigen Minuten konnten die Passagiere wieder in das Flugzeug steigen. Schon zuvor hatte Scholz sich wegen eines Raketenalarms in einen Schutzraum der deutschen Botschaft begeben müssen.
Am Mittwoch wird US-Präsident Joe Biden in der Krisenregion erwartet. (mit dpa)