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Analyse: Begrenzt solidarisch – warum viele Menschen zu Israel schweigen

Analyse

Begrenzt solidarisch – warum viele Menschen zu Israel schweigen

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    Solidarisch mit Israel, Palästina oder beiden? Der Nahost-Konflikt stellt viele Deutsche vor eine Gewissensfrage.
    Solidarisch mit Israel, Palästina oder beiden? Der Nahost-Konflikt stellt viele Deutsche vor eine Gewissensfrage. Foto: Paul Zinken, dpa/Monika Skolimowska, dpa

    Die Tage nach dem 24. Februar 2022 waren blau-gelb gefärbt. Blau-Gelb lackierte Fingernägel, blau-gelbe Ukraine-Fahnen an allen Fenstern, an Balkonen und an öffentlichen Gebäuden. Gleichzeitig öffneten sehr viele Menschen in ganz Europa Haus und Tür für Menschen, die ihr Land wegen Wladimir Putins Angriffskrieg verlassen mussten. 

    Israel-Flaggen an Balkonen findet man eher selten

    Heute, nach dem Angriff auf Israel zeigt sich ein ganz anderes Bild. Ja, in Berlin kamen zehntausend Menschen vor dem Brandenburger Tor zusammen, um Solidarität und Mitgefühl mit

    Woran liegt das? Diese Frage stellt sich erst recht, wenn man sich klarmacht, dass am 7. Oktober in Israel so viele Jüdinnen und Juden an einem einzigen Tag ermordet wurden wie noch nie seit dem Holocaust. Warum also fällt die Solidarität mit Israel geringer aus als jene mit der Ukraine, zumindest in den Anfangstagen nach dem Überfall der russischen Truppen? 

    Nicht wenige Menschen in Deutschland vertreten antisemitische Ansichten

    Ein Grund dafür liegt auf der Hand. Nicht wenige Menschen in Deutschland vertreten klar antisemitische und antiisraelische Ansichten – und das nicht nur innerhalb der arabischen Community. Auch in der deutschen Bevölkerung weisen zwischen 20 und 30 Prozent antisemitische Denkmuster auf, wie nun eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt. 

    Ein Viertel der Befragten gibt beispielsweise an, dass „Jüdinnen und Juden zu viel Einfluss auf der Welt“ hätten. Und jeder neunte ist überzeugt davon, dass Jüdinnen und Juden nicht zu Deutschland gehören. Unter den Anhängern der AfD sieht das Bild sogar noch düsterer aus. Wer Antisemitismus als importiertes Problem betrachtet, macht es sich also zu einfach. 

    Gleichzeitig sind anti-israelische Ansichten nicht nur rechts der Mitte zu finden. Auch einige sogenannte antikolonialistische Linke stellen sich an die Seite Palästinas. Prominentestes Beispiel dieser Denkrichtung ist die Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg

    Sie stellte ein Bild online, das sie und Mitstreiterinnen mit Demo-Schildern zeigt, auf denen „Free Palestine“ stand. Thunberg ist eine Ikone, ihr Beispiel für die jüngere Generation bedeutsam. Die deutsche Gruppe von Fridays for Future reagierte auf die Kritik an Thunberg, schrieb allerdings ausweichend, man sei solidarisch mit Jüdinnen und Juden, sehe aber auch das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza. Diese Positionen seien keine Widersprüche. Finden zumindest die Klimaaktivisten. 

    Es gibt weitere Beispiele aus dem politisch linken Spektrum. Während andere Medienhäuser in ihren Schlagzeilen „Krieg in Israel“ schreiben, titelt das kommunistische Magazin Junge Welt bewusst provokativ: „Krieg gegen Gaza“. 

    Viele Menschen blenden die Schreckensnachrichten lieber aus

    In der linken Öffentlichkeit schwankt der Diskurs zwischen dem Recht auf Verteidigung Israels und dem Vorwurf, Israel sei eine Kolonialmacht. Dass die öffentliche Anteilnahme am Leid der Israelis eher gedämpft ausfällt, hat aber womöglich auch mit der Erschöpfung der Gesellschaft zu tun. Corona, der Krieg in der Ukraine, Inflation, und nun die Gewalt in Israel – vielleicht ist das für manchen einfach zu viel, um sich aktiv damit befassen zu wollen. Ein Rückzug ins Private, raus aus dem Strudel schlechter Nachrichten. 

    Das belegen auch Studien: Jeder zehnte Deutsche versucht demnach, Nachrichten sogar aktiv zu meiden – im vergangenen Jahr waren es besonders jene zum Krieg in der Ukraine. Und jetzt steht der Nahe Osten eben am Abgrund eines weiteren. 

    Dazu kommt, auch das ist nicht zu unterschätzen, die Angst, etwas Falsches zu sagen. Denn der Nahost-Konflikt in all seinen Verästelungen ist kompliziert- und, auch wegen des Holocaust, ein besonders sensibles Thema. Stimmen Vorwürfe, um ein Beispiel zu nennen, dass die israelische Siedlungspolitik den Palästinensern die Möglichkeit nimmt, einen funktionstüchtigen Staat zu gründen? Sind die Toten in Gaza manchen Medien weniger wert als jene in Israel? Und relativiert man gleich den Terror der Hamas, wenn man solche Fragen stellt? Das kommt darauf an, wer solche Fragen stellt, in welchem Ton und mit welcher Intention. 

    Es sind also viele Faktoren – die Verworrenheit des Nahost-Konflikts, der weitverbreitete Antisemitismus rechts, links und unter Muslimen sowie eine Überforderung, die dazu führen, dass die Solidarität mit Israel in jenen Tagen weniger stark ausfällt als jene mit der Ukraine. 

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