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Krieg in Israel: Sicherheitsexperte Masala: Auch Deutschland hätte den Hamas-Angriff nicht abwehren können

Krieg in Israel

Sicherheitsexperte Masala: Auch Deutschland hätte den Hamas-Angriff nicht abwehren können

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    In seinem neuen Buch attestiert der Sicherheitsexperte Carlo Masala Deutschland schonungslos eine sicherheitspolitische Naivität.
    In seinem neuen Buch attestiert der Sicherheitsexperte Carlo Masala Deutschland schonungslos eine sicherheitspolitische Naivität. Foto: Sven Hoppe

    Die Welt ist erschüttert von dem neuen Krieg, der im Nahen Osten ausgebrochen ist. Der Kampf zwischen der islamistischen Terrororganisation Hamas und dem Staat Israel hat das Potenzial, in die fragile Region auszugreifen und andere Parteien hineinzuziehen. „Dieser Konflikt wird länger dauern. Das wird kein Ding sein, das in drei oder vier Tagen vorbei ist“, erwartet Deutschlands bekanntester Sicherheits- und Militärexperte Carlo Masala.

    Er hat ein neues Buch auf den Markt gebracht, das sich mit den Lektionen beschäftigt, die Deutschland aus dem Ukraine-Krieg gezogen hat. Es ist ein langes Interview auf 200 Seiten, das die Lektoren des Verlages C.H. Beck mit ihm geführt und aufgeschrieben haben. Der Titel lautet vielsagend: „Bedingt abwehrbereit“. Es ist ein Zitat aus der Spiegelaffäre von 1962, als ein Bericht des Nachrichtenmagazins über die mangelnde Kampfkraft der Bundeswehr eine Staatsaffäre ausgelöst hatte. 

    Deutschland: Ein Land gefangen in sicherheitspolitischer Naivität

    Masala sieht die Truppe heute wieder in einem Zustand der mangelnden Wehrhaftigkeit. Sie erstreckt sich aber nicht nur auf die Armee, sondern auf das ganze Land. Den massiven Angriff der Hamas hätte Deutschland seiner Einschätzung nach nicht abwehren können. „Die Antwort würde lauten: Nein“, sagt Masala am Dienstag bei der Buchvorstellung in Berlin, als er danach gefragt wird. Seine Bilanz der Zeitenwende, die nach dem russischen Überfall vor über anderthalb Jahren von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufen wurde, fällt mager aus. „Wir sind noch immer nicht als Staat kaltstartfähig. Wir sind als Gesellschaft immer noch nicht resilient“, meint der Professor für Politikwissenschaft von der Universität der Bundeswehr.

    Eigentlich sei Deutschland wieder in den Modus zurückgefallen, wie in Friedenszeiten zu agieren. Um die Widerstandsfähigkeit zu erreichen, hält er es für notwendig, dass zum Schutz des Landes Institutionen geschaffen oder gestärkt werden. Dazu zählen klassischerweise Organisationen wie das Technische Hilfswerk, Rotes Kreuz, Feuerwehren, aber auch eine leistungsfähige Reserve der Streitkräfte und Rüstungsbetriebe, die die Armee mit Munition und Waffen ausreichend versorgen können.

    Ein israelischer Soldat steht auf dem Gelände des Musikfestivals Supernova nach dem tödlichen Angriff islamistischer Hamas-Kämpfer, bei dem 260 Menschen starben und mehr als 100 Menschen als Geiseln genommen wurden.
    Ein israelischer Soldat steht auf dem Gelände des Musikfestivals Supernova nach dem tödlichen Angriff islamistischer Hamas-Kämpfer, bei dem 260 Menschen starben und mehr als 100 Menschen als Geiseln genommen wurden. Foto: Ilia Yefimovich, dpa

    Das dysfunktionale System Bundeswehr

    Die Gesellschaft aber trägt weiter Scheuklappen, findet Masala, um sich nicht mit der neuen rauen Wahrheit des Krieges in der Ukraine auseinanderzusetzen. Als Beispiel nennt er die nationale Sicherheitsstrategie, die nach ihrer Vorstellung wieder in der Versenkung verschwunden sei. „Seitdem redet da kein Mensch mehr drüber. (…) Mit dem Geld, was sie da zur Verfügung stellen, können sie wenig machen“, meint der Sicherheitsexperte. 

    Regelrecht schwarz sieht er für die Bundeswehr. „100 Milliarden Euro auf ein dysfunktionales System zu schmeißen, macht das System nicht funktional“, sagt er über das Sondervermögen und seine Wirkung. Weil die Ampelkoalition den regulären Rüstungsetat nicht, wie der Nato zugesagt, aufstockt, könnte es seiner Einschätzung nach in einigen Jahren dazu kommen, dass die Armee neues teures Kriegsgerät auf dem Kasernenhof stehen hat, aber nicht das Geld, um die Betriebsausgaben zu finanzieren. 

    Zwei Leopard-2-Panzer der Bundeswehr im Manöver. Die Truppe, sagt Masala, sei noch immer dysfunktional.
    Zwei Leopard-2-Panzer der Bundeswehr im Manöver. Die Truppe, sagt Masala, sei noch immer dysfunktional. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Zur Vorstellung seines Buches hat sich der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev angesagt, der der Diskussion aufmerksam folgt. Er ist dankbar für die von Deutschland geleistete Hilfe, teilt aber die Analyse Masalas, wonach die Deutschen noch nicht in der neuen Realität angekommen seien. „Mir persönlich fehlt, dass die Deutschen begreifen, dass es im deutschen Interesse ist, wenn die Ukraine den Krieg gewinnt“, sagt er unserer Redaktion. Er will daran glauben, dass die Solidarität Berlins Bestand haben wird, auch wenn ein weiterer Krieg Aufmerksamkeit von seinem Land abzieht. 

    Masala hingegen sieht genau das Gegenteil kommen. Europa solle sich darauf einstellen, dass es noch mehr für die Ukraine tun müsse. Der Grund: Die USA könnten Geld, Waffen und Munition Israel zur Verfügung stellen, anstatt es der Ukraine zu geben. „Eigentlich müsste jetzt Europas Stunde schlagen. Da kommt Deutschland eine führende Rolle zu.“ Doch er ist skeptisch, weil die Stunde Europas schon zehnmal geschlagen habe in den zurückliegenden Jahrzehnten, ohne dass es auf die USA bei der Garantie der eigenen Sicherheit verzichten könne. 

    Er rät der Bundesregierung, jetzt bei der israelischen Regierung nachzufragen, „ob sie was brauchen“. Masala kann sich vorstellen, dass es bei der Versorgung Verwundeter und Verletzter Bedarf gibt. Für die anstehenden Kämpfe im Gazastreifen rechnet er mit zwei Varianten. Entweder bombardiert die israelische Luftwaffe die Stadt über einen längeren Zeitraum, um die Hamas zu zerschlagen. Oder die Armee beginnt eine Bodenoffensive, die bei hohem Risiko für die eigenen Soldaten mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. 

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