Es ist die längste Schlacht dieses Krieges: Seit neun Monaten schon stehen sich ukrainische und russische Truppen in der Stadt Bachmut gegenüber. Der Ort im Osten der Ukraine hat sich zum Epizentrum der Kämpfe entwickelt. Der Blutzoll auf beiden Seiten ist hoch. Tausende Männer und Frauen sind inzwischen in der Region gefallen. Ein Sprecher der im Osten stationierten ukrainischen Truppen erklärte Anfang der Woche im Fernsehen, allein in den letzten 24 Stunden seien „115 Besatzer getötet und 197 unterschiedlich schwer verletzt“ worden.
Die Zahlen lassen sich kaum unabhängig überprüfen. Insbesondere der gefürchteten russischen Privatarmee Wagner wird aber ein brutales Vorgehen vorgeworfen, auch hohe Verluste in den eigenen Reihen würden billigend in Kauf genommen. Tatsache ist: Es ist ein Abnutzungskampf – für beide Seiten. Und doch will weder der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch Russlands Wladimir Putin die eigenen Soldaten zurückziehen. „Die ukrainischen Streitkräfte verteidigen jeden Teil der Ukraine und werden dies auch weiterhin tun“, sagte Selenskyj. Es werde die Zeit kommen, da jede Stadt, jedes Dorf des ukrainischen Staates befreit sein werde. Doch zumindest in Bachmut stehen seine Chancen schlecht.
Die vor dem Krieg gut 70.000 Einwohner zählende Stadt im Gebiet Donezk ist weitgehend zerstört und verlassen. Luftaufnahmen zeigen zerbombte Straßen und Gebäude, die dem Erdboden gleichgemacht wurden. Soldaten liefern sich einen Häuserkampf. Rund 4000 Zivilisten harren in dem Trümmerfeld aus, das einst das Zentrum der ukrainischen Salzindustrie war. Der strategische Wert Bachmuts ist nach der Vertreibung der russischen Truppen aus dem Gebiet Charkiw gering, da nun nach dem Fall keine Einkesselung des Ballungsraums zwischen Slowjansk und Kramatorsk droht. Selenskyj versucht dennoch, die Bedeutung der Schlacht hochzuhalten. „Uns ist klar, dass sie nach Bachmut noch weiter gehen könnten“, sagte Selenskyj in einem Interview mit dem US-Sender CNN. Die russischen Truppen hätten dann „freie Bahn in andere ukrainische Städte, in Richtung Donezk“.
Experten sehen in der ukrainischen Stadt Bachmut eher symbolischen Wert
Beobachter ordnen die Lage anders ein. „Bachmut ist nach Einschätzung aller Militärexperten für die Gesamtlage nicht entscheidend“, sagt Joachim Krause, Chef des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel. Dass beide Kriegsparteien dennoch an Bachmut festhalten wollen, hat für ihn einen anderen Grund: Russland konnte in den vergangenen Monaten kaum Fortschritte vorweisen. „Die Kontrolle über die Stadt hat für Putin hohen symbolischen Wert, denn er braucht unbedingt einen Erfolg; dass Selenskyj inzwischen genauso denkt, macht mir Sorge“, sagt Krause. Für den Ukrainer ist Bachmut ein Symbol des Widerstandes. Doch sollte Selenskyj dafür wortwörtlich über Leichen gehen?
Das war bislang vor allem die Taktik des Kreml und von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. „Die Russen ziehen sich nicht zurück, weil sie trotz der hohen Verluste glauben, diese Stadt erobern zu müssen“, sagt Krause. „Putin drängt sie dazu.“ Es könne aber auch sein, dass die russische Seite so viele Kräfte gegen Bachmut einsetzt, um ukrainische Truppen zu binden, die ansonsten für eine Offensive an anderer Stelle vorgesehen waren. Ein Schachzug, den auch die ukrainische Armee in diesem Krieg immer wieder einsetzt: Scheinbar aussichtslose Gefechte werden in die Länge gezogen, weil jeder Soldat, der hier kämpft, an anderen Fronten fehlt.
Krieg in der Ukraine: Verluste der Russen in Bachmut sind gewaltig
Doch auch Selenskyj braucht seine Kräfte, um auf eine mögliche Offensive der Russen im Frühjahr reagieren zu können. Kiew könnte laut Militärbeobachtern deshalb zumindest einen Teil seiner Leute aus Bachmut abziehen. „Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen“, schreibt das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW).
Zuletzt wurde darüber spekuliert, dass Selenskyj diesen Schritt auch deshalb nicht geht, weil er den russischen Truppen möglichst großen Schaden zufügen will. Denn die Gefechte sind zwar für beide Seiten verlustreich, aber die Verluste auf russischer Seite dürften deutlich höher sein als die auf ukrainischer Seite. „Es ist in solchen Gefechten immer die angreifende Seite, die ihre Soldaten einem hohen Verlustrisiko aussetzt“, sagt Sicherheitsexperte Krause. „Man kann davon ausgehen, dass Russland seit Beginn dieses Jahres etwa 30.000 Soldaten durch Tod oder Verwundung vor Bachmut verloren hat.“ Auch die Nato schätzt, dass Russland für jeden gefallenen Ukrainer in Bachmut mindestens fünf eigene Kämpfer verloren hat. Deshalb prognostiziert das ISW: Die Verteidigung von Bachmut sei so lange strategisch vernünftig, „wie dies russische Kräfte und Ausrüstung verzehrt und solange die ukrainischen Kräfte nicht exzessive Verluste erleiden“.