Lächelnd, Seite an Seite mit Wolodymyr Selenskyj. So präsentiert sich Boris Johnson aktuell auf seinem Hintergrundbild auf Twitter. Die beiden Premiers tragen ihre politische Freundschaft seit einigen Wochen ostentativ zur Schau. In einem Interview beschrieb Johnson Selenskyj als einen „absolut charmanten Kerl“, der sich „als Inspiration und heldenhafter Kriegsführer erwiesen“ habe. Selenskyj wiederrum bezeichnete das Vereinigte Königreich als „mächtigen Verbündeten".
Die enge Freundschaft sei seit dem Beginn des Krieges „erblüht“, berichten britische Medien. Seitdem sollen die beiden Staatschefs jeden Tag telefonieren. Doch wie konnte es so weit kommen angesichts der Tatsache, dass sich zahlreiche Akteure in London durch schmutziges russisches Geld finanziert haben sollen – mal ganz abgesehen von dem vergleichsweise restriktiven Umgang Großbritanniens mit Geflüchteten aus der Ukraine?
Johnson zählt zu den größten Unterstützern der Ukraine
Die Antwort ist einfach und vielschichtig zugleich. Denn Großbritannien bietet für die ukrainische Regierung etwas, das aus Sicht von Experten wichtiger ist als Sanktionen für Oligarchen oder ein Obdach für Vertriebene: Waffen.
Tatsächlich lieferte das Vereinigte Königreich früher als andere Länder militärisches Equipment, darunter 10.000 Panzerabwehrwaffen. Darüber hinaus bildete das britische Militär schon seit 2015 Streitkräfte in der Ukraine aus. Damit halfen sie vor den Franzosen, ganz zu schweigen von den Deutschen. Dass Selenskyj Johnson als eine Art Vorbild für die EU heranzieht ergibt deshalb Sinn. Nach dem Motto: Schaut her und tut es ihm gleich.
Großbritannien steht Russland schon länger skeptisch gegenüber
Doch wieso verfolgten die Briten eine andere Strategie? Anand Menon von der Denkfabrik UK in A Changing Europe hat hierfür eine Erklärung. „Für das Vereinigte Königreich stand anders als für Länder wie Deutschland schlicht nicht so viel auf dem Spiel", sagte er unserer Redaktion. Schließlich sei die Insel deutlich weniger abhängig von russischem Öl und Gas. Zudem war man in Großbritannien über die Invasion Russlands Beobachten zufolge weniger überrascht. Dort stehen Politik und Medien dem Kreml schon seit Jahren skeptisch gegenüber. Gründe dafür sind unter anderem die Nähe der Briten zu den USA sowie die Gift-Anschläge auf die russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko sowie Sergej Skripal auf britischem Boden, die mutmaßlich durch Moskau verübt wurden.
An die These, dass die Briten besser informiert gewesen seien als andere Länder, glaubt Menon allerdings nicht: „Die Information zu den möglichen Plänen Russlands waren aus meiner Sicht allen gleichermaßen zugänglich.“ Sie seien aber von den Nationen sehr unterschiedlich gedeutet worden. Menon glaubt überdies nicht daran, dass Großbritannien wegen des Brexit schneller in der Lage gewesen sei, militärisch zu helfen. „Wir haben schon Truppen und Ausrüstung in die Ukraine geschickt, als wir noch Mitglied in der EU waren. Das hat also nichts mit dem Brexit zu tun.“
Der Krieg lenkt die Briten von Johnsons Pandemie-Partys ab
Die Schrecken des Krieges, in denen die Wähler oft keinen Wechsel wünschen, kam für Johnson wie eine Art Rettungsanker daher, bestätigte Menon. Denn seit Kriegsbeginn habe sich der Ruf des Premiers deutlich verbessert. Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigen außerdem, dass 71 Prozent der Briten stolz darauf sind, dass das Königreich laut Selenskyj mehr tut als andere Länder.
Dieser Ruhm färbt auch auf Johnson ab. Beobachter verstehen dies jedoch eher als eine Art Schonfrist. Denn selbst wenn der Krieg länger andauern sollte, gewöhnen sich die Menschen irgendwann an die Situation, die Bilder, den Konflikt, erklärte Menon. Dann wende sich der Blick wieder nach innen und damit zu den zahlreichen Partys in der Downing Street während der Pandemie zu Zeiten des Lockdowns.
Besteht die Freundschaft von Selenskyj und Johnson weiter?
Menon zweifelt überdies daran, dass der Schulterschluss mit dem britischen Premier für Selenskyj aufgeht. „Ich glaube nicht, dass er damit in Brüssel besonders gut ankommt." Denn auch wenn der Krieg das Image der britischen Regierung in den Reihen der EU etwas aufpoliert habe, so sei Johnsons Ruf dennoch weiterhin nicht gerade glänzend. Auch weil der britische Premierminister kürzlich den Kampf der Ukrainer mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU verglich. Ein Umstand, der die strategische Freundschaft der beiden Regierungschefs womöglich auf eine erste Probe stellen könnte.