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Krieg in der Ukraine: Wie ukrainische Soldaten um die Stadt Bachmut kämpfen

Ukrainische Soldaten in einem Erdbunker: Wie nahe sind die Einschläge der russischen Granaten?
Krieg in der Ukraine

Wie ukrainische Soldaten um die Stadt Bachmut kämpfen

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    Der Boden bebt und aus dem Kanonenrohr der Panzerhaubitze schießt Qualm. Eine dunkle Wolke. Sie umschließt in Sekundenbruchteilen das Rohr und verläuft sich dann als grauer Schleier zwischen den Bäumen der Stellung. Die

    Igor sitzt rund 50 Meter entfernt am Eingang eines Erdbunkers. Ein kurz geschnittener Bart rahmt sein freundliches Gesicht mit den hellen und traurigen Augen ein. Die Panzerhaubitze Paladin ist hier, hinter Stämmen, kaum zu sehen. Doch der Hall, der entsteht, wenn sie abgefeuert wird, klingt so nahe, als gäbe es nur wenige Meter entfernt Explosionen. Ein Knall, das Augenlid des 44-Jährigen zuckt kurz. Dann erzählt Igor von Karma und Kara, seinen beiden Französischen Bulldoggen. Igor holt nun sein Tablet aus dem Bunker, um Fotos der beiden Hunde zu zeigen. "Hunde sind zuverlässig und treu", sagt er. Und schon wieder kracht ein Schuss. Dessen Ziel: die russischen Stellungen nahe Bachmut.

    Bachmut wurde bereits mit Verdun verglichen

    Bachmut ist zum Symbol für die Brutalität dieses Krieges geworden, mit dem der russische Machthaber Wladimir Putin seit mehr als eineinhalb Jahren die Ukraine überzieht. In einem Wikipedia-Eintrag steht, dass die Stadt seit Mai 2022 "Schauplatz schwerer Kämpfe" ist, dass der Osten der Stadt, Stand Ende März 2023, "beinahe vollständig zerstört" wurde. "Schwere Sinnlosigkeit des Krieges. Das Onlinelexikon Wikipedia schreibt, sie habe "zu den blutigsten Materialschlachten des Ersten Weltkrieges" gezählt.

    Frontsoldat Igor tut es sichtlich gut, einen Zuhörer zu haben. Unbeirrt vom Lärm der Waffen erzählt er jetzt von seiner Mutter, die am Tag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion geboren wurde. "Am 22. Juni 1941. Ist das nicht verrückt?" Dann schweigt er einen Moment, bevor er sagt, dass nach dem Tod seiner Mutter die Familie zerfiel. Auf hässliche Weise. "Das war ein Grund, mich zur Armee zu melden. Und natürlich, um die Ukraine zu verteidigen." Andere seiner Kameraden vermissen Frau und Kind. Igor hat lediglich seine beiden Hunde. "Hoffentlich vergessen sie mich nicht", sagt er.

    Frontsoldat Igor: Er vermisst seine beiden Hunde.
    Frontsoldat Igor: Er vermisst seine beiden Hunde. Foto: Till Mayer

    Russische Granaten pfeifen über die Bäume und schlagen rund 300 Meter entfernt von Igors Stellung ein. Er zieht sich in den Unterstand zurück. "Der Tod kann jeden Augenblick kommen. Einfach aus der Luft und zack", erklärt er. Vor wenigen Tagen ging eine Granate ein paar Meter von ihm herunter. "Da hing eine Kalaschnikow. Sie hat mir vielleicht das Leben gerettet", erzählt er. "Ein Splitter ging in die Waffe. Ich war direkt dahinter." Igor deutet auf einen dicken Holzstecken vor dem Unterstand.

    "Es scheint, wir haben sie vertrieben", sagt Frontsoldat Wadym

    An der Front sterben die meisten Soldatinnen und Soldaten nicht durch Schüsse, sondern durch Splitter von Granaten und Raketeneinschlägen. Jeder weiß das. Darum sitzen die Soldaten von Igors Einheit wann immer möglich in ihren Unterständen. Sie wissen auch: Drohnen am Himmel sind die Augen des Todes. Sie zeigen den Feuerleitstellen die Positionen des Feindes an. Dann werden diese unter Beschuss genommen. Igors Aufgabe ist es, die

    Einige Kilometer weiter, eine andere Artilleriestellung der ukrainischen Armee. Wieder ein Waldstück mit Erdbunkern und einer Panzerhaubitze unter einem gespannten Tarnnetz. Es ist eine Gvodzika-Panzerhaubitze aus sowjetischer Produktion. Sie soll die russischen Soldaten zurückdrängen, die hier gerade versuchen vorzurücken. Wadym macht ein zufriedenes Gesicht, nachdem er von seiner Leitstelle Nachricht erhalten hat. "Es scheint, wir haben sie vertrieben." Wadym diente bereits 1986 als junger Rekrut in der Roten Armee während der Afghanistan-Invasion. "Das war nicht mein Krieg. Dieser ist es schon", sagt der 56-Jährige. Wie er ist die Panzerhaubitze ein Veteran, sie war zu Zeiten des Afghanistan-Kriegs im Einsatz. "Die deutsche M 2000 oder die polnische Crab, das wäre etwas", meint der Frontkämpfer. Aber die Gvodzika sei eine zuverlässige Arbeiterin. "Wenn wir nur endlich mehr Munition hätten. Dann würde es mit der Offensive schneller vorangehen."

    Eine Gvodzika-Panzerhaubitze der ukrainischen Armee feuert an der Bachmut-Front.
    Eine Gvodzika-Panzerhaubitze der ukrainischen Armee feuert an der Bachmut-Front. Foto: Till Mayer

    Die ukrainische "Frühjahrsoffensive" schleppte sich durch das Jahr, durch den Sommer, inzwischen hat der Herbst begonnen und es geht mühsam voran. Aber es geht voran, rund um Bachmut. Am vergangenen Montag hieß es in Medienberichten: Die ukrainischen Truppen hätten den russischen schwere Verluste zugefügt. Zitiert wurde ein "russlandtreuer Regionalbeamter", der sagte, dass die Stadt selbst "unter chaotischem Beschuss" stehe. "Wir werden Bachmut von Okkupanten befreien", kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich im Gespräch mit US-Medien an. 

    An der Front in Bachmut erreicht die Soldaten eine Drohnenwarnung, sie verschwinden im Erdbunker, über in die Erde gehackte Stufen. Drinnen wirft eine LED-Leuchte ein spärliches Licht auf die mächtigen Holzbalken, die die Wände und Decke bilden. Die Gesichter der Soldaten sind angespannt. Sie sitzen auf grob gezimmerten Hochbetten. Sie verschwinden fast vollständig in der Dunkelheit.

    Das Krachen der Artillerie ist an der Front ein Dauerbegleiter

    Der russische Gegenschlag kommt. Dumpfe Schläge in schneller Folge. "Kasetni", sagt einer der Soldaten, als er die detonierende Streumunition hört. Die Einschläge sind noch weit weg. "Nichts, um sich zu sorgen", meint Wadym. "Aber nicht leichtsinnig werden. Das kann tödlich sein. Immer die Ohren auf. Hören, ob das Summen einer Drohne in der Luft ist, ein Jet oder Hubschrauber fliegt. Hören, wie weit entfernt andere Einschläge sind" – das ist sein Rat, sein Tipp, um zu überleben.

    Das Krachen der Artillerie ist an der Front ein Dauerbegleiter, Bachmut nah. Wenige Kilometer trennen die Front von der Stadt, die die russischen Truppen Ende Mai 2023 vollständig erobern konnten. Es war ihr einziger großer militärischer Erfolg auf dem Schlachtfeld im Jahr 2023: die rücksichtslose Eroberung einer Stadt, die am Ende eine Ruinenstadt war. Vermutlich Zehntausende Soldaten beider Seiten verloren hier bisher ihr Leben. Und noch ist das Kämpfen nicht vorbei. Im Gegenteil. Dieser Frontabschnitt bleibt einer der am härtesten umkämpften. Die ukrainischen Truppen versuchen, die Stadt einzuschließen und an den Flanken vorzurücken. Die Infanterie ist dabei auf den Feuerschutz der Artillerie angewiesen. Luftunterstützung ist kaum vorhanden. Was bedeutet: Es braucht strategisch gesehen die Artilleristen mit ihren Gvodzikas, Paladins, Crabs, Grad-Raketenwerfern, HIMARS und der Panzerhaubitze 2000 aus Deutschland.

    Wadym kämpfte schon im Afghanistan-Krieg der Sowjets. "Das war nicht mein Krieg, dieser ist es schon", sagt er.
    Wadym kämpfte schon im Afghanistan-Krieg der Sowjets. "Das war nicht mein Krieg, dieser ist es schon", sagt er. Foto: Till Mayer

    Jüngst meldete die ukrainische Armee die Rückeroberung der Dörfer Klitschtschijiwka und Andrijiwka. Aus dem letzten Ort gibt es ein Video, das sich unter ukrainischen Soldaten verbreitet hat: Aufgenommen mit der Body-Cam eines Soldaten sieht man alptraumhafte Zerstörung. Häuser, die nicht einmal mehr aus Grundmauern bestehen. Abgebrannte Bäume dazwischen.

    Während in der Weltöffentlichkeit das Interesse an dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine abflaut, die internationale Medienberichterstattung schwindet, nimmt die Brutalität des Krieges zu. Längs der Bachmut-Front sind die Siedlungen zu Geisterdörfern geworden. Keines, in dem der Krieg nicht Lücken in die Häuserreihen gerissen hat. Überall verkohlte Balken, die in die Höhe ragen. Geblieben sind wenige, meist alte Menschen. Sie leben in ständiger Angst. Jederzeit kann eine Granate einschlagen.

    "Jetzt holt uns der Krieg wieder ein", sagt die 68-jährige Irena

    Vom russisch besetzen Bachmut nach Kostjantyniwka sind es in Friedenszeiten 26 Kilometer. Jetzt liegt die Frontlinie dazwischen. An manchen Streckenstücken sieht man die Krater zahlloser Einschläge links und rechts der Fahrbahn, sie gleichen tiefen Dellen im Wiesengrün. Die Stadt selbst gilt als halbwegs sicheres Hinterland. Aber was ist sicher? Auch hier kann der Tod aus dem Nichts kommen. In den belebten Marktplatz schlug am 6. September eine Rakete ein. 16 Menschen starben. Es sei eine russische S 300 gewesen, erklärten ukrainische Offizielle. Die New York Timessprach dagegen von einem Unglücksfall durch eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehrrakete. Die Ukraine wies dies empört zurück. Die vielen anderen Einschläge in der Stadt rühren, und daran besteht kein Zweifel, von gezieltem russischen Beschuss von der nahen Front her. 

    Irena steht an diesem Tag auf dem Marktplatz. Hinter ihr sind noch die Folgen des Raketeneinschlags zu sehen. Bei einer Boutique hat die Druckwelle die Schaufenster zerspringen lassen. Blumen auf dem Gehsteig erinnern an die Opfer. "Selbst beim Einkaufen ist man nicht mehr sicher", sagt die 68-Jährige. Sie schüttelt traurig den Kopf. Mit ihrer pflegebedürftigen Mutter ist sie aus dem Donezker Kampfgebiet nach Kostjantyniwka geflohen. "Jetzt holt uns der Krieg wieder ein. Wieder fliegen die Granaten und Raketen", sagt sie. "Aber für meine Mutter und mich ist hier Endstation. Meine Mutter schafft es körperlich nicht, noch einmal zu fliehen. Sie würde es nicht überleben. So können wir nur hoffen und beten." Ihr kommen die Tränen. Sie geht hastig weiter. Kurz danach heult eine Sirene auf: Luftalarm.

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