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Krieg in der Ukraine: Werden die Oligarchen Putin zum Verhängnis?

Krieg in der Ukraine

Werden die Oligarchen Putin zum Verhängnis?

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    Der Oligarch Roman Abramowitsch hat sich schon früh mit Wladimir Putin verbündet. Nach Putins Angriff auf die Ukraine geraten Menschen wie er verstärkt ins Visier westlicher Regierungen.
    Der Oligarch Roman Abramowitsch hat sich schon früh mit Wladimir Putin verbündet. Nach Putins Angriff auf die Ukraine geraten Menschen wie er verstärkt ins Visier westlicher Regierungen. Foto: Martin Meissner, dpa

    Es war eine illustre Runde, die der russische Präsident Wladimir Putin an jenem Abend zu sich in den Kreml geladen hatte. In den Morgenstunden hatte er der Ukraine den Krieg erklärt, für die russische Führung läuft der Angriff auf ihr Nachbarland freilich unter dem beschönigenden Begriff der „militärischen Spezialoperation“, eine gewissermaßen sterile und unblutige Angelegenheit, auch wenn das russische Verteidigungsministerium nun zum ersten Mal bekannt gab, wie viele Soldaten bereits gefallen sind.

    Putin also saß, wie üblich in den vergangenen Monaten, weit entfernt von seinen Gästen: 37 Unternehmer, die er um „solidarische Zusammenarbeit mit der Regierung“ bat und sie so in seinen Bann holte. Den Bann der Verantwortung für diesen Krieg. Das hatte er bereits mit seinen Ministern und Beratern einige Tage zuvor gemacht und Russland und der Welt vor laufenden Kameras vorgeführt, wie sein Herrschaftssystem funktioniert: Er allein entscheidet. Er allein bestraft, sollten die anderen ihm nicht nach dem Mund reden.

    Andrej Kostin saß da, der Chef der WTB-Bank, Pjotr Awen, einer der Chefs der Alfa Bank, Andrej Akimow, der Verwaltungsratspräsident der Gazprobank – Banken, die nun auf Sanktionslisten stehen. Miller, Setschin, Mordaschow, Potanin, Kerimow. Es sind Namen von Russlands reichsten Männern, alle mit der Verbindung zum engsten politischen Machtzirkel. Viele dieser Superreichen tummeln sich in den Metropolen des Westens: London, Paris, Genf und Berlin sind ihre Spielplätze und ihr Geld ist gerne gesehen. Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine wollen westliche Regierungen den Günstlingen und Oligarchen nun mit gezielten Sanktionen auf den Leib rücken und Putins Herrschaftssystem damit im Kern treffen.

    Alexej Mordaschow, Haupteigentümer des Stahlproduzenten Severstal, liefert nicht mehr in die EU uns ist selbst von Sanktionen betroffen.
    Alexej Mordaschow, Haupteigentümer des Stahlproduzenten Severstal, liefert nicht mehr in die EU uns ist selbst von Sanktionen betroffen. Foto: Yuri Kochetkov/EPA/dpa

    Wie eng aber ist diese Verbindung wirklich? Wie einflussreich sind sie? Tatsache ist wohl: Lediglich ein positiver Coronatest hätte die Großunternehmer von diesem Treffen im Kreml ferngehalten. Niemand von ihnen stand auf, niemand von ihnen wagte es, zu widersprechen, als Putin sein Mantra auch hier wiederholte: „Sie hatten uns keine Chance gelassen, anders zu reagieren, andere Maßnahmen waren unmöglich“ – „sie“, das sind die Regierungen des Westens.

    Russlands Oligarchen äußern leise Kritik an Präsident Putin

    Die Oligarchen blieben stumm. Bis sich dann Michail Fridman meldete, ein paar Tage später, in einer britischen Zeitung. Und Oleg Deripaska, zunächst in seinem Telegram-Kanal und auf einem Wirtschaftsforum in Krasnojarsk, Sibirien. Auch

    Es sind vorsichtige Worte der Kritik. Sehr vorsichtige. Denn Fridman, Deripaska und die anderen sogenannten Oligarchen sind ein Teil des Putinschen Herrschaftssystems, das den Kreis der Wirtschaftsmagnaten längst verstaatlicht hat. Sie lavieren vielmehr zwischen dem Westen und Russland. Ob die Oligarchen Putin zum Verhängnis werden können? Oder werden die Sanktionen deren Symbiose mit dem Kreml vielleicht sogar im Gegenteil noch verstärken?

    Oligarchen sollen sich nicht einmischen, genießen dafür wirtschaftliche Freiräume

    Die gesetzeslose Herrschaft der Reichen, die nur an ihrem Eigennutz interessiert sind, so Platons Verständnis von Oligarchie, hat im Russland der vergangenen Jahre an Bedeutung eingebüßt. „Oligarch“ ist ein Etikett, das an jedem russischen Magnaten klebt, der sein Vermögen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gemacht hat. Mit unfairen, aber nicht illegalen Methoden. Sie waren gerissen genug, aus den sich bietenden Möglichkeiten, die Gorbatschows Perestroika-Politik mit sich gebracht hatte, das für sie Beste herauszuholen. Die ersten Geschäfte machten sie – meist kannten sie sich aus der kommunistischen Jugendbewegung – durch verschiedene Formen der sogenannten Arbitrage-Modelle: Weil die Preise, die während der sowjetischen Planwirtschaft festgeschrieben waren, in den ersten Jahren der wirtschaftlichen Reformen nur allmählich freigegeben wurden, entstand ein Nebeneinander von niedrigen und hohen Preisen für ein und dieselbe Ware.

    Also kauften sie – Menschen wie Michail Chodorkowski, wie Boris Beresowski, wie auch Michail Fridman – Produkte bei Staatsbetrieben zu niedrigen Preisen und verkauften sie auf dem immer freier werdenden Markt zu hohen Preisen. Mit Privatisierungsprogrammen Mitte der 1990er Jahre nutzten sie die Intransparenz, kauften Staatsaktiva und machten ein Vermögen damit, vor allem im Rohstoffsektor. Zwischen 1994 und 1996 gelangten so die größten Industrieaktiva Russlands in private Hände. Boris Jelzin setzte immer mehr auf die Oligarchen, um die schwer angeschlagene russische Wirtschaft zu stabilisieren – und gab sich, von Alkohol angeschlagen, schließlich auch politisch in deren Hände. „Jelzins Familie“ entstand. Die Kapitalisten des neuen Systems finanzierten seinen Wahlkampf 1996 und teilten die Macht untereinander auf.

    Die Privatisierung gilt bis heute vielen Menschen im Land als das Böse schlechthin. Darauf baute auch Wladimir Putin, als er, kaum im Kreml, mit den Oligarchen abrechnete. Er nutzte die vermeintlich Mächtigen und ließ ihnen wirtschaftliche Freiräume – unter einer Bedingung: sich bitte nicht in die politischen Entscheidungen einzumischen.

    Alte Weggefährten Putins sind mittlerweile Oligarchen

    Letztlich aber war nicht die Privatisierung allein das Problem der 1990er Jahre, sondern vor allem das Fehlen unabhängiger staatlicher Institutionen, ohne die eine Marktwirtschaft nicht funktioniert. Als Chodorkowski, zu Reichtum gekommen, genau in diese Kerbe einschlug, war er weg vom Fenster. Konstruierte Gerichtsverfahren, Strafkolonie, Beschlagnahmung seines Unternehmens. Niemand im Oligarchenkreis hat das vergessen.

    Was für Jelzin seine „Familie“ war, sind für Putin seine Datschenfreunde von „Osero“ (See). In der Siedlung unweit von Sankt Petersburg legte der russische Präsident den Grundstein für seine Macht. Alte Weggefährten Putins, Regierungsmitglieder, Staatsangestellte sind mittlerweile die neuen Oligarchen, sie profitieren vom wenigen Wettbewerb innerhalb Russlands. Sie lieben Luxus, Kunst und gute Bildung für ihre Kinder. Ihre Namen: die Gebrüder Rotenberg, Roman Abramowitsch, Juri Kowaltschuk.

    Die Verflechtung von Macht und Kapital ist so eng, dass sie es nicht wagen würden, Putin zu widersprechen, selbst, wenn sie zu widersprechen hätten – was in Fragen der Ukraine unwahrscheinlich ist. Verschachtelte Strukturen machen sie letztlich zu Geiseln des Systems, das sie selbst erschaffen haben: eines nicht rechtsstaatlichen Systems, ohne funktionierende Institutionen. Die Verzahnung hat feudalistische Strukturen angenommen, und die nächste Generation – es sind vor allem Söhne von Putins Freunden – ist bereits nachgewachsen.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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