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Krieg in der Ukraine: Was sich Erdogan davon verspricht, die Nato-Erweiterung zu stören

Krieg in der Ukraine

Was sich Erdogan davon verspricht, die Nato-Erweiterung zu stören

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    Zu welchem politischen Preis lässt sich Recep Tayyip Erdogan (hier bei einem Nato-Treffen 2019) die Zustimmung zum Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens abkaufen?
    Zu welchem politischen Preis lässt sich Recep Tayyip Erdogan (hier bei einem Nato-Treffen 2019) die Zustimmung zum Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens abkaufen? Foto: Matt Dunham, dpa (Archivbild)

    Die Türkei knüpft ihr Ja zu einem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens an Bedingungen und bedroht damit die Geschlossenheit des Bündnisses im Auftreten gegenüber Russland. Bei einem Treffen der Außenminister der 30 Bündnisstaaten in Berlin forderte das Land am Wochenende Unterstützung im Kampf gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Kurdenmiliz YPG in Syrien. Zudem kritisierte Ankara, dass mehrere Länder wegen des türkischen Kampfes gegen diese Gruppierungen die Lieferung von Rüstungsgütern an die Türkei eingeschränkt haben. Außenminister Mevlüt Cavusoglu bezeichnete die Beschränkungen am Sonntag in Berlin als „inakzeptabel“ und forderte deren Aufhebung. Zuvor hatte er bereits gesagt, die Mehrheit der türkischen Bevölkerung sei wegen der Restriktionen gegen eine Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato, „und sie rufen uns dazu auf, diese zu blockieren“. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte skandinavische Länder als „Gasthäuser für Terrororganisationen“ bezeichnet.

    Mit seinem öffentlichen Widerstand gegen einen Nato-Beitritt von Finnland und Schweden hat der türkische Präsident Erdogan die Allianz aufgeschreckt. Die beiden skandinavischen Länder böten anti-türkischen Organisationen wie der kurdischen PKK Unterschlupf, beschwert er sich immer wieder. Mit ihrem Veto als Nato-Mitglied kann die Türkei die Aufnahme neuer Mitglieder verhindern, doch Erdogans Widerstand hielt gerade einmal 24 Stunden. Ein Berater des Präsidenten stellte klar, dass Ankara die Tür für Helsinki und Stockholm nicht zugeschlagen habe. Dieses Dementi sprach er nicht zufällig gegenüber ausländischen Medien aus. Denn zu Hause in der Türkei will Erdogan mit seiner Kritik an den Skandinaviern als Verteidiger des Vaterlandes punkten.

    Putin versuchte, auf Finnland einzuwirken

    Auf den ersten Blick bieten die Nato-Bewerbungen von Finnland und Schweden für Erdogan die ideale Chance, sich vor den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr als starker Mann in Szene zu setzen. Er kann innenpolitisch auf die Pauke hauen, ohne außenpolitisch viel zu riskieren. Die Vermittlerrolle der Türkei im Ukraine-Krieg hat den Westen beeindruckt; niemand in Europa oder den USA wird die Nato-Mitgliedschaft der Türken wegen Erdogans Sprüchen infrage stellen. Finnland und Schweden werden die PKK-Aktivitäten in ihren Ländern möglicherweise etwas eindämmen, um Erdogan zu besänftigen. Vielleicht bekommt Erdogan sogar endlich seinen lang ersehnten Termin bei US-Präsident Biden, der den türkischen Staatschef bisher auf Distanz hält. Auch das könnte er dann innenpolitisch als Triumph verkaufen.

    Langfristig tut Erdogan seinem Land aber mit seiner Politik vermutlich keinen Gefallen. Zwar haben sich die Partner seit langem an Erdogans verbale Querschüsse und Provokationen gewöhnt. Im Jahr 2009 stemmte sich Erdogan gegen die Wahl des damaligen dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen zum Nato-Generalsekretär, bevor er nach viel Getöse dann doch zustimmte. Doch die türkischen Aussagen überschatteten am Sonntag die offizielle Ankündigung Finnlands, einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft zu stellen.

    Finnlands Schritt gilt als historisch, da das Nachbarland Russlands jahrzehntelang großen Wert auf seine Neutralität legte. Präsident Wladimir Putin hatte bis zuletzt noch versucht, Finnland von dem Schritt abzuhalten. In einem Telefonat mit Finnlands Präsidenten Sauli Niinistö bezeichnete er die Beitrittspläne als Fehler. Finnlands Abkehr von der traditionellen Neutralität werde zu einer Verschlechterung der bislang guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen.

    Unter den Nato-Partnern sorgten die indirekten Veto-Drohungen der Türkei deswegen für erheblichen Unmut. Deutschland und die meisten anderen Alliierten begrüßen es, dass Finnland und Schweden in Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine mit Vorbereitungen für einen Nato-Beitritt begonnen haben. Ihre Aufnahme würde die Nato als Verteidigungs-, aber auch als Wertebündnis stärken, betonte Außenministerin Annalena Baerbock.

    Deutschland sichert Finnland und Schweden schnelle Ratifizierung zu

    Ähnlich wie die deutsche Grünen–Politikerin äußerte sich auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der wegen einer Corona-Infektion nur per Videokonferenz an der Abschlusspressekonferenz teilnahm. Der Norweger sagte mit Blick auf Finnland und Schweden: „Wenn sie sich für einen Antrag entscheiden, wäre das ein historischer Moment.“ Baerbock wollte sich nach dem Nato-Treffen nicht zu Details des Streits mit der Türkei äußern. Sie betonte, dass die Bundesregierung eine schnelle Zustimmung Deutschlands zur möglichen Aufnahme Finnlands und Schwedens anstrebt. Sollten sich beide Länder für eine Mitgliedschaft entscheiden, sei ihr sehr wichtig, dass man „in diesem wirklich historischen Moment keine Hängepartie erlebe“, sagte sie. Es sei alles für einen schnellen Ratifizierungsprozess vorbereitet.

    Dieser Schritt würde nach dem Abschluss des Nato-internen Prozesses für die Aufnahme der beiden nordischen Länder erfolgen – in Deutschland ist für die Ratifizierung eine Zustimmung des Bundestages notwendig. Baerbock sagte, die Bundesregierung habe dazu bereits mit allen demokratischen Parteien im Parlament gesprochen und kündigte einen Kabinettsbeschluss in kürzester Zeit sowie Sondersitzungen des Bundestages an.

    Nach Angaben aus Regierungskreisen könnte Deutschland den Ratifizierungsprozess sogar noch vor der parlamentarischen Sommerpause abschließen, wenn die Türkei das Aufnahmeverfahren nicht blockiert. (mit dpa)

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