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Krieg in der Ukraine: Was der nahende Winter für den Krieg in der Ukraine bedeutet

Krieg in der Ukraine

Was der nahende Winter für den Krieg in der Ukraine bedeutet

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    Ein Kind betrachtet eine Ausstellung von zerstörten russischen Panzern und gepanzerten Fahrzeugen. Eine dünne Schneeschicht hat sich über die Militärfahrzeuge gelegt.
    Ein Kind betrachtet eine Ausstellung von zerstörten russischen Panzern und gepanzerten Fahrzeugen. Eine dünne Schneeschicht hat sich über die Militärfahrzeuge gelegt. Foto: Andrew Kravchenko, dpa

    In Kiew ist der erste Schnee gefallen. Nur ein paar Millimeter ist die weiße Decke dünn, doch sie kündet von einem neuen Gegner in diesem Krieg: Wenn der Winter Einzug hält in der Ukraine, werden sich auch die Kämpfe verändern.

    Schneefälle, Frost, aber auch Schlamm und Regen erschweren auch heute noch militärische Einsätze. Im Russischen gibt es ein Wort für diese Zeit: Rasputiza, die Zeit der Wegelosigkeit. „Veränderungen bei Tageslichtstunden, Temperatur und Wetter bedeuten einzigartige Herausforderungen für die kämpfenden Soldaten“, prognostiziert das Verteidigungsministerium in London, das seit Kriegsbeginn detaillierte Informationen über die aktuellen Entwicklungen liefert. Der Blick geht dabei vor allem auf die Kampfmoral der ohnehin angeschlagenen Russen: „Alle Entscheidungen, die der russische Generalstab trifft, werden teilweise vom Einbruch des Winters abhängig sein.“ Weil die Tageslichtstunden deutlich abnehmen, werde es weniger Offensiven und dafür mehr statische Verteidigungslinien geben.

    Die Winterbedingungen mit mehr Regen und starken Winden sowie Schneefall führten zu Kälteverletzungen und würden die ohnehin schon niedrige Moral der russischen Streitkräfte vor zusätzliche Herausforderungen stellen. Sie bedeuteten aber auch Probleme für die Wartung der Ausrüstung. „Grundübungen wie die Waffenreinigung müssen den Gegebenheiten angepasst werden, und das Risiko von Waffenfehlfunktionen steigt“, analysieren die Geheimdienstler. Gleichzeitig betonte die Behörde, dass auch ukrainische Soldaten von den Konditionen betroffen seien.

    Die Moral der Soldaten leidet, wenn sie permanent frieren

    Wem der Winter nutzt und wem er schadet, sei so einfach nicht auszumachen, warnt der Sicherheitsexperte Joachim Krause von der Universität Kiel. „Wenn Soldaten permanent frieren und nicht aus ihren nassen Socken herauskommen, dann hat das schon Auswirkungen auf die Moral, wenn Morast das Vorwärtskommen behindert, dann wird alles langsamer“, sagt er. Wenn der Frost den Boden hart werden lasse, könnten die Truppen aber auch jenseits der Straßen mit schwerem Gerät fahren. „Wenn die Logistik und die Moral der Russen tatsächlich so schlecht sind wie oft beschrieben, dann kann der Winter zum Desaster für die russischen Truppen werden“, sagt er, doch vieles bleibt im Ungewissen. „Wie es dort wirklich aussieht, wissen wir nicht. Auch nicht, wie gut die

    Schon mehrfach in der Geschichte hat das Wetter den Kriegsverlauf beeinflusst. Die deutsche Wehrmacht erlitt im eisigen Kessel von Stalingrad ihre schwerste Niederlage im Zweiten Weltkrieg. 150.000 deutsche Soldaten starben damals, viele davon verhungerten oder erfroren. 1943 musste die Armee dort kapitulieren: Der Winter hatte Hitlers Größenwahn ausgebremst.

    Schon im 19. Jahrhundert scheiterte Napoleon mit seinem Kampf um Moskau. Tausende Soldaten erfroren bei Temperaturen von bis zu minus 39 Grad. Seither hat sich allerdings auch die technische Ausrüstung der Armeen deutlich verändert. Doch über die schlechte Ausrüstung der russischen Soldaten wurde im Verlauf dieses Krieges mehrfach spekuliert. Die Ukraine wird von ihren westlichen Partnern unterstützt. Erst in dieser Woche gab da die Bundesregierung bekannt, dass sie unter anderem 116 Feldheizgräte in Richtung Osten liefert. Andere Nato-Staaten übergeben Winterstiefel und warme Uniformen. Die EU schickt weitere Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, Medizin und Stromgeneratoren.

    Ohne Strom gibt es in der Ukraine kein warmes Wasser und keine Heizung

    Doch nicht nur an den Kriegsfronten fürchtet man Väterchen Frost. Der Kreml ließ in den vergangenen Tagen gezielt ukrainische Infrastruktur bombardieren, darunter waren auch Strom- und Heizkraftwerke. Stundenlang sitzen die Menschen im Dunkeln, nun frisst sich auch noch die Kälte durch die Häuser und Wohnungen. In Kiew war den Behörden zufolge nach den massiven Raketenangriffen am Dienstag etwa die Hälfte der Stadt ohne Strom. Im westukrainischen Gebiet Ternopil waren nach Angaben der regionalen Behörden 90 Prozent der Verbraucher ohne Strom. In der Stadt Lwiw waren es 80 Prozent.

    „Die Lage ist erschütternd“, sagt Christine Kahmann, Sprecherin des Kinderhilfswerks Unicef. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ist sie aktuell in der Ukraine unterwegs. „Es kommt immer wieder zu Bombenalarm“, schildert sie. „Man merkt, was die Kinder und ihre Familien durchmachen. Weil wenn der Strom ausfällt, erleben die Kinder nicht nur Dunkelheit, es gibt dann auch keine Heizung, kein warmes Wasser.“ Die Temperaturen bewegten sich rund um den Gefrierpunkt. Aber auch Früh- und Neugeborenen-Stationen in den Kliniken seien von den Ausfällen betroffen: Dort, wo nicht genügend Generatoren zur Verfügung stehen, fallen die Brutkästen für die Säuglinge aus. Eine normale Kindheit sei in der Ukraine kaum mehr möglich, auch wenn viele von ihnen eine große Widerstandskraft ausgebildet hätten. „Aber natürlich werden diese Erfahrungen eine ganz tiefe Spur im Leben der Kinder hinterlassen“, sagt Kahmann. „Zumal der Winter nun neue Herausforderungen mit sich bringt. Das belastet die Familien mehr.“

    Rekordspenden für die Ukraine aus Deutschland

    Umso wichtiger sei humanitäre Hilfe, die zwar keinen Frieden bringen könne, aber zumindest das Leid etwas zu lindern vermag. Rund 17,7 Millionen Menschen in der Ukraine sind laut der Hilfsorganisation „Care“ derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Über sechs Millionen Menschen befinden sich innerhalb des Landes auf der Flucht. Aus Deutschland sind einer Auswertung zufolge so viele Spenden geflossen wie nie zuvor für Nothilfe. 862 Millionen Euro wurden laut den Erhebungen des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) bis Mitte Oktober für die Betroffenen gespendet, wie aus einer neuen Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervorgeht. Beziehe man die Inflation ein, werde die Summe aber etwas von den Spenden nach dem Tsunami in Südostasien im Dezember 2004 übertroffen (670 Millionen Euro). Und dennoch übersteigt der Bedarf das Angebot an Hilfe in der Ukraine bei weitem.

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