Es war eine jener Überraschungen, zu denen Olaf Scholz offenbar gerne greift, wenn er sich politisch in der Defensive fühlt. So wie er den verdutzten Abgeordneten seiner Koalition vor drei Monaten überraschend das Hundert-Milliarden-Paket für die Bundeswehr in seiner Zeitenwende-Rede ankündigte, hatte der Bundeskanzler jetzt nach heftiger Kritik der Opposition im Bundestag eine echte Nachricht in seiner Rede parat. Sie ploppte prompt als Eilmeldung auf hunderttausenden Smartphones auf: „Scholz sagt Ukraine Flugabwehrsystem und Ortungsradar zu“.
Nichts weniger als das modernste Flugabwehrsystem, das Deutschland zu bieten habe, werde die Bundesrepublik liefern, sagte Scholz. Die Raketen des Luftabwehrsystems Iris-T können angreifende Flugzeuge, Hubschrauber und Kampfflugkörper aus großer Entfernung in der Luft abschießen. „Damit versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen“, betonte der Kanzler.
Was ist das Luftwaffenabwehr-System Iris-T?
Ändert die Bundesregierung damit ihre im In- und Ausland kritisierte zögerliche Haltung bei der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine? Die Opposition bleibt weiterhin mehr als skeptisch: „Die angekündigte Lieferung des Luftabwehrsystems Iris-T ist eine militärisch sinnvolle Unterstützung und kann der Ukraine im Kampf gegen Putin sehr nützlich sein“, sagt der Unions-Verteidigungsexperte Florian Hahn zwar zustimmend. Er fügt aber postwendend hinzu: „Leider wird es noch Monate dauern, bis die Ukraine es einsetzen kann."
Genau dies sei das Hauptproblem der Ukraine-Politik des Bundeskanzlers: „Alles wird auf die lange Bank geschoben“, kritisiert der Münchner CSU-Politiker. „Man bekommt den Eindruck, dass Scholz den Einsatz schwerer Waffen aus Deutschland möglichst lang hinauszögern will.“ Wie Hahn ärgern sich nicht nur viele in der Unions-Fraktion, sondern auch zahlreiche Abgeordnete aus FDP und Grünen darüber, dass es seit dem Bundestagsbeschluss vom 28. April keine konkreten Fortschritte bei den Waffenlieferungen an die Ukraine gibt.
Union warnt vor Hinhaltetaktik: Irgendwann ist es zu spät für die Ukraine
Damals hatten die Abgeordneten der Koalition und der Union gemeinsam die Bundesregierung aufgefordert, schneller schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. „Irgendwann wird es zu spät sein“, warnt Unions-Verteidigungsexperte Hahn. „Deshalb ist es weiterhin absolut unverständlich, warum die Ampel nicht schneller schwere Waffen liefert“, kritisiert der Unions-Mann.
Offiziell hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht verkündet, nicht mehr über Waffenlieferungen Auskunft zu geben. Vorgeblich aus Sicherheitsgründen, wie die SPD-Ministerin mehrmals erklärte. Tatsächlich konnte die Bundesregierung aber auch im Verteidigungsausschuss des Parlaments keine Fortschritte außer Ankündigungen vermelden. Lambrechts SPD-Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller löste am Wochenende sogar internationale Irritationen aus, als sie im ZDF erklärte, es gebe eine gemeinsame Haltung, dass keine Schützen- oder Kampfpanzer westlichen Modells in die Ukraine geliefert werden.
Briten dementieren SPD-Äußerungen über Nato-Vereinbarung
Nicht nur die britische Außenministerin Liz Truss und Nato-Kreise dementierten dies, sondern auch SPD-Chefin Saskia Esken. „Es gibt keine Vereinbarung“, betonte die Parteivorsitzende, nachdem auch das Haus von Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock intern ungläubig nachgefragt hatte.
In Abgeordnetenkreisen heißt es, Kanzler Scholz persönlich verweigere die Zustimmung zu Lieferungen des alten Kampfpanzers Leopard I und des Schützenpanzers Marder an die Ukraine. Offenbar, um Deutschland nicht zu sehr in den Konflikt mit Russland hineinzuziehen.
Welche Nationen liefern schwere Waffen an die Ukraine?
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen vermutet dagegen, die SPD wolle ihre Gesprächs- und Verhandlungsfähigkeit mit Russland nicht beschädigen und spekuliere auf eine Vermittlerrolle in einem später möglichen Friedensverhandlungsprozess. „Das ist eine andere Priorität, als der Ukraine das zu geben, was sie braucht“, sagte der CDU-Außenpolitiker in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“.
Tatsächlich haben die Nato-Staaten USA und Litauen schon über 200 kleine Schützenpanzer vom Typ M 113 in die Ukraine geliefert. Polen hat zudem im Austausch gegen britische Kampfpanzer 240 modernisierte russische Kampfpanzer T-72 der ukrainischen Armee übergeben. Frankreich lieferte zwölf schwere Lkw-Haubitzen „Caesar“. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt rangieren die deutschen Hilfszusagen für die Ukraine laut des Kieler Instituts für Weltwirtschaft sogar hinter Ungarn und Luxemburg.