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Krieg in der Ukraine: Warum der Konflikt in der Ukraine auch ein Desinformationskrieg ist

Krieg in der Ukraine

Warum der Konflikt in der Ukraine auch ein Desinformationskrieg ist

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    Wladimir Putin wendet sich in eine TV-Ansprache an die russische Nation. Doch auch andere Kanäle werden zu Propagandazwecken und Desinformation genutzt.
    Wladimir Putin wendet sich in eine TV-Ansprache an die russische Nation. Doch auch andere Kanäle werden zu Propagandazwecken und Desinformation genutzt. Foto: Russian Presidential Press Service, dpa

    Putin wiederholte sich in den vergangenen Tagen mehrfach. In seinen Reden sprach er davon, die Ukraine habe Pläne zur Herstellung eigener Atomwaffen. Die Nato unterstütze Nationalisten und Neonazis in der das ist auch nicht sein Ziel. Es zeigt sich: Schon lange vor dem Einmarsch tobte ein Informationskrieg zwischen Russland und dem Westen. Darin unternimmt Putin mit seiner Propaganda-Maschinerie jeden Versuch, den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Der Westen stemmt sich dagegen. Im Kampf um die Deutungshoheit sollen Putins Behauptungen widerlegt werden - und aufgezeigt: Wir wissen genau, was ihr vorhabt und wie eure wahren Motive aussehen.

    Die Verbreitung von Falschinformationen ist dabei nichts wesentlich Neues. Doch die vielen Kommunikationskanäle und somit der Einfluss auf unterschiedlichste Gruppen im Inland und auf der gegnerischen Seite haben eine neue Stufe erreicht. Ralph Rotte ist Professor für internationale Beziehungen an der RWTH Aachen. Er hat sich wissenschaftlich mit den Themen Desinformation und Informationskriegen auseinandergesetzt. Rotte erklärt, dass Putin in den vergangenen Tagen hauptsächlich das klassische Instrument im Informationskrieg nutze: die Propaganda. "Er versucht, mit Bildern und Aussagen zu arbeiten, die man nicht widerlegen oder überprüfen kann", so Rotte. Das gilt etwa für die Äußerungen, dass russische von ukrainischen Soldaten beschossen worden seien.

    Putin wählt verschiedene Instrumente für seine Desinformationspolitik

    Dass er zugleich auch offensichtliche Lügen verbreitet, gehört zum Kalkül. Ob diese im Ausland sofort widerlegt und verurteilt werden, ist für Putin nicht wichtig. "Die Wahl des Instruments hängt vom Publikum ab", sagt Rotte. Die Hauptzielgruppe sei für Putin die eigene Bevölkerung. Und genau diese erreiche er mit seinen Reden und Fernsehansprachen. Auf diesem Weg wolle Putin die Nato als den Aggressor darstellen, einen Anschein von Notwehr erwecken - und somit den Krieg auch im eigenen Land legitimieren.

    Dass Putin direkte Ansprachen an das Volk hält, zeigte bereits früh den Ernst der Lage. Diesen Kanal wähle er bei fundamentalen Angelegenheiten, sagt Rotte. Doch auch auf anderen Ebenen wird aktiv Desinformationspolitik betrieben. Über soziale Medien werde versucht, die eigene Rechtfertigung zu verbreiten, erklärt Rotte. Dabei nutze Putins Machtapparat aus, dass auf Facebook, Twitter, Telegram und Co. "anfällige Gruppen" - auch im Ausland - für die russische Propaganda leicht zu erreichen seien. Das sind etwa rechte und linke Verschwörungstheoretiker sowie verschiedene Gruppen, die im Westen ohnehin schon mit den demokratischen Institutionen gebrochen haben. Moskau nutzt dafür die schon bestehenden Filterblasen, in denen sich diese im Internet bewegen. Webseiten und soziale Medien zeigen den Nutzerinnen und Nutzern durch entsprechende Algorithmen hauptsächlich die Informationen und Meinungen, die mit ihren bisherigen Interessen und Ansichten übereinstimmen.

    Ralph Rotte ist Professor für Internationale Beziehungen an der RWTH Aachen und forscht in den Bereichen Sicherheitspolitik und strategische Studien.
    Ralph Rotte ist Professor für Internationale Beziehungen an der RWTH Aachen und forscht in den Bereichen Sicherheitspolitik und strategische Studien. Foto: Martin Lux

    Geheimdienstinformationen: Auch die USA gehen neue Wege

    Auch Auslandssender wie Russia Today (RT) oder die Nachrichtenagentur Sputnik verbreiten die Propaganda der russischen Regierung. Hinzu kommen zahlreiche Youtube-Kanäle und Internetportale, die in den vergangenen Jahren neu entstanden sind und beispielsweise von früheren RT-Mitarbeitern betrieben werden. Immer wieder komme es auch vor, dass westliche Sender, Zeitungen und andere Medien von Oligarchen aufgekauft werden, sagt Rotte. Moskaufreundliche Berichte werden praktisch direkt erkauft. Auch Cyberangriffe gehören zur Informationskriegsführung und werden genutzt, um an Informationen der Gegenseite zu gelangen. Ein Instrument, das die russische Regierung bereits in den vergangenen Jahren immer wieder eingesetzt hat - etwa um die US-Wahlen zu beeinflussen -, waren russische Troll-Armeen. Mithilfe von unzähligen falschen Identitäten werden dabei Fake-News in den sozialen Medien des Westens gestreut.

    Doch in diesem Informationskrieg gehen auch die USA neue Wege. In den vergangenen Tagen haben sie eigene Geheimdienstinformationen öffentlich gemacht - ein eher ungewöhnlicher Schritt. Ziel dürfte dabei gewesen sein, die russische Regierung noch zu beeinflussen oder für eine gewisse Zeit vom Einmarsch abzuhalten, sagt Rotte. Es sei aber auch eine Lehre aus der Krim-Annexion. Damals hatten die Vereinigten Staaten keine solchen Informationen herausgegeben. Dieses Mal sollte die Weltöffentlichkeit direkt über das Vorgehen in Kenntnis gesetzt und gegen Russland aufgebracht werden, so der Wissenschaftler. Letztlich kam es auch so, wie die amerikanische Regierung es vorausgesagt hatte. Es war ein kleiner strategischer Erfolg Joe Bidens, dass Putin beim Einmarsch nicht das große Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte.

    Informationskrieg für Demokratien praktisch nicht zu gewinnen

    Doch wirklich zu gewinnen ist der Informationskrieg für die USA und den Westen nicht. Das Ziel, die gegnerische Seite dazu zu bringen, ihr Verhalten zu ändern, und dass die Bevölkerung den Informationen aus dem Ausland Glauben schenkt, ist praktisch nicht zu erreichen. Zudem hätten Autokratien wie Russland bessere Voraussetzungen, um ihnen missliebige Informationen gar nicht erst zuzulassen, erklärt Rotte. Kritische Berichterstattung sei oft nicht möglich. In Russland wurden in den vergangenen Jahren viele unabhängige Medien zum Schweigen gebracht, in den besetzten Gebieten der Ostukraine gibt es praktisch gar keine unabhängigen Berichterstatterinnen und Berichterstatter mehr. Das macht es auch für deutsche Medien schwerer, an verlässliche Informationen zu kommen. Jede Meldung aus den Regionen muss umso gründlicher geprüft werden.

    Westliche, pluralistische Demokratien seien dagegen anfällig für Desinformationen, sagt Ralph Rotte, weil sie andere Medien und Meinungen zuließen. Was aus aufgeklärter, demokratischer Sicht wichtig und sinnvoll ist, sei im Informationskrieg "eine strukturelle Schwäche der Demokratie".

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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