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Krieg in der Ukraine: Warum ein Deutscher in der Ukraine gegen Putins Truppen kämpft

Krieg in der Ukraine

Warum ein Deutscher in der Ukraine gegen Putins Truppen kämpft

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    Auch belarussische Kämpfer unterstützen das ukrainische Militär. Sie tragen im Vergleich zu russischen Soldaten ein gelbes Klebeband um den Arm, russische Soldaten ein rotes.
    Auch belarussische Kämpfer unterstützen das ukrainische Militär. Sie tragen im Vergleich zu russischen Soldaten ein gelbes Klebeband um den Arm, russische Soldaten ein rotes. Foto: Efrem Lukatsky, AP/dpa

    1200 Kilometer sind nicht weit. Sie trennen etwa die Fuggerei in Augsburg vom Partystrand in Lloret de Mar. Oder den Münchner Marienplatz vom Vesuv in Neapel. 1200 Kilometer trennen auch Dominiks Heimatstadt Essen von einem Krieg, in dem russische Truppen Streumunition auf Wohngebiete abfeuern. Dieser Krieg findet nicht in Aleppo oder gar Kabul statt, das 7000 Kilometer weit weg ist. Die Stadt, von der Dominik gerade telefoniert, liegt nahe der geografischen Mitte Europas. Sie trägt historisch bedingt sogar einen deutschen Namen: Lemberg.

    Oft hört man dieser Tage, Europas Freiheit werde in der Ukraine verteidigt. Das trifft auch den Kern der Frage, warum der Reitlehrer aus Essen nun 1200 Kilometer entfernt eine Waffe trägt. „Ich glaube nicht, dass Russland nach der Ukraine stoppen wird. Hitler hat nach Polen auch nicht aufgehört“, sagt der 32-Jährige, der in seiner jetzigen Situation nur seinen Vornamen veröffentlicht sehen will. Er kämpfe lieber jetzt, als mitansehen zu müssen, wie

    Dominik ist einer von schätzungsweise mehreren tausend Freiwilligen, die sich den ukrainischen Streitkräften angeschlossen haben. Russland meldet auf seiner Seite 16.000 freiwillige Kämpfer allein aus dem Nahen Osten.

    20.000 Freiwillige aus 52 Ländern sollen sich bereits bei der ukrainischen Armee beworben haben

    Es ist der erste Mittwoch nach Putins Überfall, als Dominik in den Krieg zieht. Zurück lässt er seine Eltern, seine Freundin und die gemeinsame siebenjährige Tochter. Auf Bildern sieht er sportlich aus – groß, athletisch gebaut, schmales Gesicht, nachdenklicher Blick. Wirklich verstehen können seine Eltern Dominiks Entscheidung nicht, machen sich große Sorgen und ihm Vorwürfe – im Gegensatz zu seiner Freundin. „Die bleibt gefasst. Sie versteht, dass dieser Krieg die ganze Welt betrifft“, sagt Dominik.

    Über Warschau und die ostpolnische Stadt Lublin fährt der Essener mit einem Ehrenamtlichen, der Hilfsgüter transportiert, an die Grenze und übertritt sie schließlich am Nachmittag allein – zu Fuß. „Da haben die polnischen Grenzbeamten doof geguckt. Die konnten das gar nicht glauben“, sagt er. Doch auf der anderen Seite wird er dankend mit dem Ruf „Slava Ukraini“ (Ruhm der Ukraine) empfangen. Kurz darauf unterschreibt er einen Vertrag, bekommt einen Militärausweis sowie Ausrüstung und Waffen: Für zwei Jahre ist er fortan Teil der ukrainischen Armee.

    Knapp zwei Wochen ist es her, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine internationale Legion zur Verteidigung seines Landes aufstellte und Freiwillige aus aller Welt in die Ukraine einlud – visafrei. Kurz darauf rief das Außenministerium eine Internetseite ins Leben, die Informationen und sieben Schritte zur Vorbereitung für die Freiwilligen bereithält. Teils martialische Videos fordern in den sozialen Medien auf: „Schließt euch dem Kampf für Freiheit, die Menschenrechte, die freie Welt an.“

    Etwa 20.000 aus 52 Ländern sollen sich laut Außenminister Dmytro Kuleba bereits bei den Streitkräften beworben haben. Wie viele von diesen tatsächlich aus ihren Ländern ausgereist sind, ist allerdings unklar. Offizielle Zahlen werden nicht veröffentlicht. Kacper Rekawek, der in Oslo am Zentrum für Extremismusforschung zu diesem Thema forscht und viele ausländische Kämpfer im seit 2014 stattfindenden Ostukrainekrieginterviewt hat, schätzt, dass etwa ein Fünftel bis ein Zehntel der Bewerber tatsächlich kämpfen. Die zirkulierenden Zahlen seien deshalb mit großer Vorsicht zu genießen. Vor allem aus den USA seien aber wohl Veteranen in Kompaniegröße in die Ukraine ausgereist. Einer der besten Scharfschützen der Welt, ein 40-jähriger Kanadier, soll sich dem Kampf angeschlossen haben, ebenso ein ehemaliger georgischer Verteidigungsminister und ein Abgeordneter des lettischen Parlaments.

    Wie viele Deutsche Staatsbürger bereits in der Ukraine kämpfen, ist unklar

    In Deutschland ist die Zahl jedoch deutlich geringer, sagt auch Dominik. Bei der Botschaft in Berlin haben sich laut einer Sprecherin innerhalb der ersten Woche „nicht weniger als 500“ Leute beworben. „Wir machen aber nur Aufklärungsgespräche, die Freiwilligen müssen dann selbst an die Grenze fahren und werden dort ausgerüstet“, sagt sie. Nach Ansicht des Hamburger Völkerrechtlers Stefan Oeter macht sich die ukrainische Regierung nicht strafbar. Das im deutschen Strafgesetzbuch verbotene Anwerben für fremden Wehrdienst setze laut ihm voraus, dass Freiwillige einzeln angeworben werden, etwa durch einen Agenten. „Die allgemeine Werbung im Internet fällt nicht unter den Tatbestand“, sagt Oeter.

    Ruhig schlafen kann Dominik in seiner ersten ukrainischen Nacht nicht – nur vier Stunden. Bereits am nächsten Tag geht es los. In Deutschland bekam er bei der Feuerwehr eine medizinische Notfallausbildung und so wird er in der Ukraine als Sanitäter Teil einer internationalen Gruppe. Es sind etwa 20 Männer, zwei Deutsche, vier Ukrainer, viele US-Amerikaner und Engländer. Dominik trägt eine Kappe, auf der ein Rotes Kreuz abgedruckt ist und eine entsprechende Weste. Von Lemberg aus, in dem der Krieg bisher nur in Gestalt von Flüchtlingen und weniger durch russische Bomben ankommt, fährt die Gruppe an die Orte, an denen sie gebraucht wird – Geld haben die Freiwilligen noch nicht bekommen.

    Es sind die Regionen, deren Namen in Deutschland für den Schrecken des Krieges stehen: Charkiw, Donbass, Kiew. „Es gibt ja keine richtige Frontline, deshalb sind wir immer unterwegs und planen abends, was wir am nächsten Tag machen“, sagt Dominik. Der Rucksack auf seinen Schultern ist schwer. Darin: Infusionen, Verbandszeug, Medizin. Gebraucht wird seine Ausrüstung noch kaum, noch hat seine Gruppe Glück.

    Obwohl sie mehrmals unter Beschuss stehen, muss Dominik nur einen Streifschuss versorgen. Er selbst muss aber immer öfter Schüsse abgeben, auch auf Menschen. „Ich weiß aber nicht, ob ich jemanden getroffen habe, das fühlt sich komisch an“, sagt er. Überhaupt verändern die täglichen Bilder zerstörter Gebäude und verletzter und getöteter Menschen seine Einstellung zu militärischer Gewalt. Immer eher ist er bereit, seine Waffe auch einzusetzen.

    Experten warnen vor einem großen Eskalationspotenzial bei Freiwilligen – auch Rechtsextremisten reisen in die Ukraine

    Explizit hat die ukrainische Regierung auch nicht militärisch ausgebildete Freiwillige eingeladen. Die Recherche unserer Redaktion und die Einschätzung mehrerer Experten zeigt, dass auch militärische Laien aus Deutschland ausreisen möchten. Aus Sicht eines angegriffenen Landes, das noch dazu militärisch in Unterzahl ist, mag das sinnvoll sein. Doch „niemand kommt so zurück vom Krieg, wie er reingegangen ist“, sagt Alexander Ritzmann vom Counter Extremism Project in Berlin, einer Organisation, die Extremismus untersucht und bekämpft. Russische Angriffe auf Wohngebiete und Geburtskliniken ließen vermuten, dass die Brutalität in diesem Konflikt steigen wird, und so seien insbesondere Laien gefährdet für posttraumatische Belastungsstörungen – sie stellen damit eine mögliche Belastung für ihre Umgebung nach der Rückkehr dar.

    Ritzmann unterteilt die Ausreisenden in drei Kategorien: Menschen mit einem ukrainischen Pass, internationale Freiwillige und als kleinste Fraktion gewaltorientierte Rechtsextremisten. Für Putin, der die Ukraine „entnazifizieren“ will, ist die dritte Gruppe ein willkommenes Propagandainstrument. Und das, obwohl auch die russische Seite seit Jahren internationale

    Die Zahl der auf der ukrainischen Seite kämpfenden deutschen Rechtsextremisten liegt jedoch laut Verfassungsschutz bisher im niedrigen einstelligen Bereich. Auch laut Kacper Rekawek, dem Forscher aus Oslo, kommen die Freiwilligen bisher aus allen Bevölkerungsschichten, der Anteil Rechtsextremer sei extrem gering. Er verweist zudem auf einen Unterschied zu anderen Konfliktländern, in die Freiwillige gereist sind, um zu kämpfen – etwa Syrien, wo sich Deutsche dem sogenannten IS und den kurdischen YPG angeschlossen haben: „Das hier ist eine staatliche Mobilisierung, es handelt sich nicht um Milizen. Die Legion ist fest integriert in die Kommandostrukturen der ukrainischen Armee und wird von ihr organisiert und kontrolliert.“

    Trotzdem warnt Ritzmann vor einem „großen Eskalationspotenzial“. Die rechtsextreme Szene in Deutschland sei zwar motiviert, Gewalt auszuüben. Doch es fehle bislang glücklicherweise noch an den militärischen Fertigkeiten, also der Kampferfahrung. „Aber die Wahrscheinlichkeit für einen brutalen Anschlag steigt dann, wenn Motivation auf Fähigkeit trifft“, sagt der Extremismusexperte. Er fordert deswegen eine bessere Überwachung der aus- und später wieder einreisenden Extremisten.

    Für Deutsche Staatsbürger ist es nicht per se strafbar, in der Ukraine zu kämpfen

    Dass die Gefahr für Laien groß ist, sagt auch Dominik: „Leute ohne Ausbildung sollen zu Hause bleiben.“ Er selbst ist vorbereitet. In der Grundausbildung in Deutschland lernte er zu schießen. Er spricht zwar wenig Russisch, geschweige denn Ukrainisch. „Das funktioniert aber gut mit Händen und Füßen.“ Ihm imponiert der Kampfeswille der Ukrainerinnen und Ukrainer, ihr Mut, ihre Mentalität. Die Anerkennung ist beiderseits. Viele bedanken sich bei ihm. „Von einigen bekomme ich sogar Angebote, die Tochter zu heiraten“, sagt er und lacht. Von der deutschen Außenpolitik ist er wie die meisten seiner Mitkämpfer enttäuscht. Die Sanktionen sind für ihn „scheinheiliges Getue für ein besseres Gewissen“. Er fordert stattdessen eine Flugverbotszone über der Ukraine und mehr Nato-Präsenz an der Grenze.

    International steht die Politik den Freiwilligen zumindest nicht ablehnend gegenüber. Sicher auch wegen der politischen Symbolwirkung und der internationalen Solidaritätswelle für die Ukraine. Während Russland bereits verkündet hat, dass für den Kreml die Freiwilligen nicht unter die Genfer Konvention fallen, also nicht als Kriegsgefangene, sondern als Kriminelle zu behandeln sind, haben etwa Dänemark, Lettland und auch Großbritannien ihren Bürgern explizit erlaubt, in den Krieg zu ziehen. Die britische Außenministerin Liz Truss hat ihre Aussage aber später relativiert.

    In Deutschland muss Dominik wohl keine strafrechtliche Verfolgung fürchten. Wie ein Sprecher des Bundesjustizministeriums mitteilt, mache er sich nur strafbar, wenn er gegen das Völkerrecht verstoße, also etwa Kriegsverbrechen begehe. Lediglich Extremisten wolle die Bundesregierung an der Ausreise ins Kriegsgebiet hindern.

    Wie auch immer dieser Krieg ausgeht, Dominik weiß noch nicht, was er danach machen will. Er ist sich bewusst, dass der Konflikt in den kommenden Tagen blutiger, brutaler und auch für ihn gefährlicher werden dürfte. „Es kann sein, dass wir bald wieder nach Kiew müssen“, sagt er. Seit Tagen rechnen Beobachtende damit, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Putins Truppen die ukrainische Hauptstadt stürmen werden.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. Die Augsburgerin Tanja Hoggan-Kloubert spricht über die Angst um ihre Eltern in der Ukraine – und die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung.

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