Wenn der Bundesrat am Freitag zusammentritt, hat er es mit einem Antrag zu tun, dem es an Deutlichkeit nicht mangelt. „Mit dem russischen Überfall beginnt ein neues Zeitalter“, heißt es in dem Papier, das von der Bayerischen Staatsregierung geschrieben wurde und wohl auf breite Zustimmung stoßen dürfte. Nötig sei, heißt es darin weiter, nicht nur die Renaissance einer paneuropäischen Friedensordnung. „Auch die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik muss neu konzipiert werden.“ SPD, FDP und große Teile von Union und Grünen tragen diesen Anspruch mit, der durch ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro finanziert werden soll. Eine Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage unserer Redaktion lässt die Hoffnungen auf eine schnelle Aufrüstung der Truppe allerdings schwinden.
Wie viel von den 100 Milliarden Euro in bereits bestehende Rüstungsprojekte investiert werden müsse, war die Frage an das Haus von Ministerin Christine Lambrecht (SPD). Hintergrund ist, dass der aktuelle Rüstungsbericht eine Vielzahl von Projekten auflistet, die noch nicht durchfinanziert sind. Das gilt etwa für einige Fregatten oder auch den Schützenpanzer Puma, der ständig teurer wird. Gut möglich also, dass das Sondervermögen gar nicht komplett für neue Anschaffungen zur Verfügung steht, weil mit dem Geld zunächst bestehende Bestellungen bezahlt werden müssen.
Was passiert mit den 100 Milliarden? Dobrindt fordert "Beschaffungsturbo"
Die Verteidigungsministerin verweist darauf, dass die Bundesregierung „zeitnah über den Haushalt 2022 und den Gesetzentwurf für das Sondervermögen beraten und die Vorhaben in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einbringen“ werde. Lambrechts Beamte betonen zudem, dass die Federführung bei dem von Christian Lindner (FDP) geführten Finanzministerium liege. „Zudem bitte ich zu beachten, dass die aktuelle Ausplanung der konkreten Projekte auf dieses zusätzliche Geld nicht ausgelegt ist und nun eine neue Priorisierung vorgenommen werden muss“, erklärte eine Sprecherin weiter. Was bedeutet, dass die bisherige Rüstungsplanung über den Haufen geworfen und neu gestartet wird.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schwant bereits, dass die Truppe mit der Umsetzung wieder länger brauchen könnte, und forderte im Gespräch mit unserer Redaktion einen „Beschaffungsturbo für die Bundeswehr mit maximalem Tempo und minimaler Bürokratie“. Der wesentliche Teil der angekündigten 100 Milliarden Euro müsse in kurzfristige Beschaffungen investiert werden, um akute Ausrüstungsmängel zu beheben. „Dafür ist eine Aufstellung der Sofortverfügbarkeit der europäischen Verteidigungsindustrie nötig und das Bekenntnis der Bundesregierung, alles verfügbare Material unverzüglich zu beschaffen“, sagte Dobrindt und machte Druck. Beschaffungszeiten von zehn Jahren oder mehr seien einfach nicht mehr drin, erklärte er. „Um schnellstmögliche Prozesse organisieren zu können, sollte eine Taskforce Sofortbeschaffung beim Verteidigungsministerium eingerichtet werden.“
Herrmann schlägt Bundessicherheitsrat vor
Interne Planung und die Abstimmung mit dem Parlament kosten erfahrungsgemäß sehr viel Zeit. Sollten die Planungen jedoch tatsächlich zügig voranschreiten, wäre das noch immer keine Garantie für eine schnelle Aufrüstung. Die Indienststellung des Airbus A400M beispielsweise verzögerte sich wegen technischer Probleme unter anderem mit dem Propellergetriebe um elf Jahre. Die Kosten für den Transportflieger erhöhten sich um rund 1,5 Milliarden Euro.
Der bayerische Staatsminister Florian Herrmann (CSU) forderte mit Blick auf den Entschließungsantrag für den Bundesrat die Regierung dazu auf, im Kanzleramt einen „Bundessicherheitsrat“ einzurichten, der „als eigene Behörde die Außen- und Sicherheitspolitik mit den Bundesministerien und den Bundesländern koordiniert“. Langfristig müsse „die Sicherheitsarchitektur strukturell reformiert werden“, erklärte der CSU-Politiker.
Das jedoch ist wohl Zukunftsmusik. Die Ampel wäre derzeit schon froh, wenn sie das Projekt Sondervermögen ohne größere Schäden über die Bühne brächte.
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Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. Die Augsburgerin Tanja Hoggan-Kloubert spricht über die Angst um ihre Eltern in der Ukraine – und die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung.