Zehn Friedhöfe in der Ukraine stehen auf der Liste des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Einer davon liegt 20 Kilometer südwestlich von Kiew. Auf dem eingezäunten Gelände sind bislang 26.558 Deutsche begraben, die im Zweiten Weltkrieg in der Region getötet wurden. Das Areal bietet Platz für etwa 40.000 Tote, es sollte eigentlich Mahnmal genug sein, dass sich Kriege nicht wiederholen. Das Gegenteil ist bekanntlich gerade der Fall. Die Nachrichten der vergangenen Tage hätten „alle Hoffnungen zunichte gemacht hat, dass diese Form der Austragung staatlicher Gegensätze in Europa für immer der Vergangenheit angehört“, sagt Wolfgang Schneiderhan, Ex-General und seit einigen Jahren Präsident des Volksbundes.
Der Verein betreut den Angaben zufolge 832 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten. Auf ihnen sind rund 2,8 Millionen Kriegstote begraben, die Nachforschungen gehen immer weiter. So sollen in den nächsten Jahren noch weitere 500.000 Namen in die Datenbank aufgenommen werden, die über den Verbleib vermisster oder getöteter Angehöriger Auskunft geben kann.
Schneiderhan verurteilt das russische Vorgehen scharf. „Man kann die jüngste Verächtlichmachung von gemeinsam beschlossenen Vereinbarungen und internationalen Verträgen nur ablehnen“, sagt der General a.D.. Die staatliche Souveränität eines jeden Landes sei zu achten und die historische Wahrheit dürfe nicht verfälscht werden.
Krieg in der Ukraine: Schock wegen des Angriffs auf Gedenkstätte
Berichten zufolge ist bei einem russischen Angriff ein Gebäude in unmittelbarer Nähe der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar in Kiew beschädigt worden. „Ein russischer Angriff in Babyn Jar, dem größten Massengrab des Holocaust, das hat große Symbolkraft“, zitierte die Nachrichtenagentur dpa den Gedenkstättenleiter Nathan Scharanski. Volksbund-Sprecherin Diane Tempel-Bornett drückt es ähnlich aus. „Wir sind über die Zerstörungen an der Gedenkstätte Babyn Jar auch sehr betroffen. Das hat eine symbolische Aussage, die fast unerträglich ist“, sagt sie.
Ob und in welchem Ausmaß vom Volksbund betreute Einrichtungen betroffen sind, ist offen. „Darüber verschaffen wir uns gerade über Luftaufnahmen Gewissheit“, erklärt Tempel-Bornett. Eigentlich dürfte es Angriffe gar nicht geben, Friedhöfe und Mahnmale fallen unter den Kulturgutschutz der UNESCO. Russland ist in diesem Zusammenhang neben vielen anderen Ländern der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten beigetreten. Verstöße können Folgen haben. Im September 2017 sprach der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den Rebellenführer der Terrormiliz Ansar Dine, Ahmad al-Faqi al-Mahdi, der Zerstörung von neun Mausoleen und einer Moschee in Timbuktu schuldig. Einstimmig bewertete der Strafgerichtshofseine Taten als Kriegsverbrechen und verurteilte ihn zu neun Jahren Haft.
Derzeit keine Projekte für Russland geplant: Fahrt nach St. Petersburg abgesagt
Die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Ukraine ruht, wie Tempel-Bornett bestätigt. „Wir machen uns große Sorgen um unsere Kolleginnen und Kollegen und sind daran, Kontakt aufzunehmen. Den Familien der Mitarbeitenden haben wir Unterstützung zugesagt und gewährt“, erklärt sie und betont: „Die Pflegefirmen wollen weiterarbeiten, auch weil die Leute dort ihren Lebensunterhalt damit verdienen.“
Für die Russische Föderation seien im Moment keine neuen Projekte geplant, sagt die Sprecherin. Der Besuch einer internationalen Jugendgruppe in St. Petersburg werde ebenso abgesagt wie ein geplantes Workcamp.
Deutschland und die Ukraine haben 1996 ein Kriegsgräberabkommen geschlossen, das den Umgang mit den letzten Ruhestätten der getöteten Soldaten regelt. „Wir arbeiten seit fast 30 Jahren dort, haben nicht nur Arbeitsbeziehungen, sondern auch freundschaftliche Beziehungen zu vielen Menschen dort aufgebaut, in der Ukraine ebenso wie in der Russischen Föderation“, erklärt Tempel-Bornett. Allein in Osteuropa seien in den letzten drei Jahrzehnten mehr als 950.000 Kriegstote geborgen und beigesetzt worden. „Der Gedanke, dass jetzt dort wieder Menschen sterben müssen, ist kaum zu fassen.“
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