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Krieg in der Ukraine: Selenskyjs Sehnsucht nach dem Tag am Meer

Krieg in der Ukraine

Selenskyjs Sehnsucht nach dem Tag am Meer

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    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während einer Mahnwache anlässlich des Tages der Menschenrechte.  An einen Frieden mit Putin glaubt der 44-Jährige nicht.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während einer Mahnwache anlässlich des Tages der Menschenrechte. An einen Frieden mit Putin glaubt der 44-Jährige nicht. Foto: Ukrainian Presidential Press Off, Planet Pix Via Zuma Press Wire

    „Ich will einfach ans Meer und mal ein Bier trinken“, bekennt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem jetzt vorab veröffentlichten Interview mit dem US-Star-Moderator David Letterman. Das, so fügt er hinzu, werde aber erst nach einem Sieg für die Ukraine möglich sein. Das klingt nach Sehnsucht – fast hört man im Hintergrund die Musik der deutschen Hip-Hop-Band Die Fantastischen Vier, die 1993 einen Traumtag am Strand besungen hat. Es klingt aber auch nach Erschöpfung – annähernd zehn Monate nach Beginn des russischen Einmarsches in die

    Was entscheidet Kriege? Natürlich Waffen und Taktik. Aber auch Propaganda und Psychologie. Im Falle des militärischen Überfalls Russlands auf die Ukraine scheint eines klar: Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung des angegriffenen Landes ist trotz Tod, Leid und einer zum Teil zerstörten Infrastruktur nicht gewillt, dem Aggressor zu weichen. Gleichzeitig scheint in Russland auch angesichts der schweren militärischen Rückschläge und der vielen toten, jungen Soldaten Kriegsmüdigkeit um sich zu greifen. Gerade in dieser Situation stehen die politischen Führer der beiden kriegführenden Staaten in den Fokus. 

    Wie gehen Selenskyj und Putin mit dem gewaltigen Druck um?

    Wie gehen die Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin mit dem gewaltigen Druck, der sich seit dem Einmarsch russischer Truppen im Februar aufgebaut hat, um? Die ganz persönliche Ausgangslage spricht für Putin. Der 70-Jährige kann sich frei bewegen, alle Annehmlichkeiten seines Amtes in Anspruch nehmen. Selenskyj hingegen verbringt viel Zeit in Bunkern. Präsent ist er in täglichen Ansprachen an die Ukrainer und Ukrainerinnen per Video, aber auch per Direktschaltungen auf internationalen Konferenzen. Schon bald nach der Invasion konnte die Weltöffentlichkeit beobachten, dass die Strapazen des Krieges, die zuvor fast jugendlich wirkenden Gesichtszüge des 44-Jährigen wie in Zeitraffer verhärteten. Da schaute man einem Mann in die Augen, der mental und körperlich an den brutalen Folgen des Krieges für seine Bevölkerung leidet. 

    Sollte Putin tatsächlich Empathie für die toten oder verwundeten russischen Soldaten empfinden, kann er sie perfekt verstecken. Sein Credo von Anfang an: nie Schwäche zeigen. Dass kann der frühere Geheimdienst-Mann ja bekanntlich ausgezeichnet. Doch ausgerechnet jetzt werden Brüche sichtbar. Skurril sein Auftritt bei einem Sektempfang für Veteranen im Kreml vor einigen Tagen. 

    Zu viel Sekt? Der russische Präsident Wladimir Putin sorgte bei einem Empfang für Veteranen für einen irritierenden Auftritt.
    Zu viel Sekt? Der russische Präsident Wladimir Putin sorgte bei einem Empfang für Veteranen für einen irritierenden Auftritt. Foto: Mikhail Metzel, Pool Sputnik Kremlin, AP, dpa

    Dass er die Luftangriffe auf die ukrainische Infrastruktur mit dem verdrehten Hinweis verteidigte, Kiew habe mit solchen Angriffen angefangen, ist wenig überraschend. Doch wie er das sagt, irritiert auch seine Anhänger. Fahrig, ja entrückt spricht der Präsident. Zu viel Sekt? Die Gerüchte schießen ins Kraut. Zumal jetzt auch noch bekannt wird, dass Putins traditionelle gigantomanische Pressekonferenz für nationale und internationale Medien für dieses Jahr abgesagt ist. Angst vor kritischen Fragen nach der aus dem Ruder gelaufenen „militärischen Spezialoperation“? Die gewöhnlich sehr gut informierten britischen Geheimdienstexperten haben jedenfalls eine wachsende Anti-Kriegs-Stimmung in Russland registriert. 

    Auch Selenskyj setzt alles daran, Entschlossenheit zu demonstrieren. „Bis zu unserem Sieg werde ich Präsident sein“, sagte er in dem Letterman-Interview. Gleichzeitig räumt er Momente der Schwäche ein, wenn er verrät, dass „Lachen“ helfe, „nicht verrückt zu werden“ und dass er sich eben nach einem Bier am Meer sehne. Eine Metapher für Frieden. 

    Selenskyj hält ein schnelles Ende des Krieges nur für möglich, wenn Putin plötzlich stirbt

    Ein Ende des Krieges, da gibt sich Selenskyj überzeugt, wird mit dem Ende Putins verknüpft sein. Daran, dass die Russen und Russinnen den Diktator stürzen, glaubt er nicht. Dafür habe die Gehirnwäsche des Regimes die Bevölkerung schon zu stark deformiert: Es gebe zwar auch „jene, die die Wahrheit kennen“, doch die hätten „einfach Schiss“. Also sei ein schnelles Ende des Krieges nur dann möglich, wenn Putin plötzlich sterben würde. Schließlich sei das ganze System auf den Kreml-Chef zugeschnitten: „Wenn dieser Mensch geht, dann stehen die Institutionen still. Eine solche Zeit war in der Sowjetunion. Alles blieb stehen.“ 

    Hass empfinde er trotz der russischen Kriegsverbrechen gegen den Feind nicht. Dies mache den Unterschied aus, ob man im Krieg Mensch bleiben könne oder zum Tier werde, sagt Selenskyj zu Letterman.

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