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Krieg in der Ukraine: Regierungschefs aus Ost-Europa reisen nach Kiew und zeigen Flagge

Krieg in der Ukraine

Regierungschefs aus Ost-Europa reisen nach Kiew und zeigen Flagge

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    Die Ost-Regierungschefs bezeugten in Kiew ihre Solidarität mit Wolodymyr Selenskyj und der Ukraine.
    Die Ost-Regierungschefs bezeugten in Kiew ihre Solidarität mit Wolodymyr Selenskyj und der Ukraine. Foto: Pressebüro des ukrainischen Präsidenten via AP, dpa

    Die Szenerie atmet Bunker-Atmosphäre. Es ist ein düsterer, fensterloser Raum, in dem Wolodymyr Selenskyj seine Gäste empfängt. Wasserflaschen und Plastikbecher stehen auf dem Tisch. Und doch ist der ukrainische Präsident feierlich gestimmt: „Sie sind hier mit uns, um uns zu unterstützen. Das ist ein machtvoller, mutiger Schritt. Mit solchen Partnern gewinnen wir.“

    Selenskyj meint den Krieg, der draußen tobt, am Stadtrand von Kiew, wo kurz zuvor wieder drei Raketen eingeschlagen sind. Es ist also zweifellos mutig, wenn der polnische Premier Mateusz Morawiecki und seine Kollegen aus Tschechien und Slowenien mitten im russischen Bombardement mit dem Zug durch die halbe Ukraine reisen, um in Kiew ihre Solidarität zu beschwören: „Diese Invasion muss enden. Wir werden euch niemals allein lassen.“ So formuliert es Morawiecki. Die Worte sind wichtig. Die Bilder erst recht. All das hat enorme Symbolkraft. Denn die Botschaft dieses Besuchs lautet: Es geht in der Ukraine um alles. Es geht um die Existenz der freien Welt.

    Polen fordert "Friedensmission der Nato"

    Bei Morawiecki klingt das so: „Europa muss verstehen, dass es nicht mehr dasselbe sein wird, wenn wir die Ukraine verlieren. Es wird dann nicht länger Europa sein, sondern eine geschlagene, gedemütigte Version seiner selbst.“ Der tschechische Premier Petr Fiala fasst es in diese Worte: „Ihr kämpft auch für unser Leben und für unsere Freiheit.“ Der Slowene Janes Jansa sagt: „Euer Kampf ist unser Kampf.“

    Bei so viel Sein-oder-Nichtsein-Rhetorik fällt es Beobachtern in Warschau und Washington, Berlin und Brüssel am Mittwoch nicht leicht, unter dem Symbolischen das Substanzielle dieser Reise freizulegen. Was genau meint etwa der polnische Vizepremier Jaroslaw Kaczynski, wenn er eine „Friedensmission der Nato“ fordert? Es sind teils verstörende Worte, die beim Kiew-Besuch der EU-Troika fallen, die in Wirklichkeit eine Quadriga ist. Denn neben Morawiecki, Fiala und Jansa ist Kaczynski als Vierter im Bunde mitgereist. Zu Hause im Kabinett ist er für Sicherheitsfragen zuständig. Vor allem aber ist der Chef der Regierungspartei PiS so etwas wie die graue Eminenz in Warschau. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in der polnischen Politik am Ende Kaczynski entscheidet. Und nun spricht er von einer „humanitären Mission“ der Nato, die „mit Waffen geschützt“ sein müsse.

    Folgt daraus, dass die östlichen EU-Staaten ein Eingreifen der westlichen Militärallianz in der Ukraine fordern? Das wäre der Schritt, vor dem US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron immer wieder warnen. Weil es der Schritt in den Dritten Weltkrieg sein könnte. Schließlich hat der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Kriegserklärung am 24. Februar gewarnt: „Wer auch immer versucht, uns zu hindern, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben.“ Die meisten Fachleute werten das als Drohung mit einem Atomschlag.

    Scholz schließt ein Eingreifen der Nato weiter aus

    Vor diesem Hintergrund urteilt ein Kommentator der regierungskritischen polnischen Gazeta Wyborcza am Mittwoch: „Kaczynski hat in Kiew Worte gesagt, die nicht hätten fallen dürfen.“ Noch größere Bedeutung erhält die Formel von der bewaffneten Nato-Mission, weil die ganze Idee der Ukraine-Reise wohl auf Kaczynski zurückgeht. Beobachter in Warschau mutmaßen, dass sich der 72-Jährige selbst auf einer Mission wähnt. Dass er vollenden will, was sein Zwillingsbruder im Kaukasuskrieg 2008 begonnen hat. Damals reiste Lech Kaczynski als polnischer Präsident nach Tiflis, während russische Panzer auf die Stadt zurollten, und erklärte: „Heute Georgien, morgen die Ukraine, und dann ist vielleicht auch mein Land an der Reihe.“

    Lech Kaczynski starb 2010 bei der Flugzeugkatastrophe im westrussischen Smolensk auf einer Reise nach Katyn. Dort wollte er an zehntausende polnische Opfer der Sowjetdiktatur erinnern – und noch einmal die anhaltende Bedrohung durch Russland ins Gedächtnis rufen. Nun also tut dies Jaroslaw Kaczynski, wenn er in Kiew eine Nato-Mission fordert, um Putin Einhalt zu gebieten. Da fährt der Schreck auch vielen polnischen Kommentatoren in die Glieder. Zwar sind sich am Mittwoch fast alle Medien in Warschau einig, dass die Regierungschefs aus dem Osten, die am Mittag wohlbehalten wieder in Polen eintreffen, den Westeuropäern gezeigt haben, „wie Mut geht“. Aber nicht nur für die renommierte Polityka ist Kaczynskis Vorstoß „eine ganz andere Nummer“.

    Der Vizepremier spiele mit dem Feuer eines Dritten Weltkriegs. Manch einem scheinen da ein kühler Kanzlerkopf und französisches Feingefühl doch lieber zu sein als Kaczynskis „Kamikazediplomatie“, von der ein polnischer Twitternutzer schreibt. Scholz selbst kommentiert die Reise so: „Alle in der EU helfen auf unterschiedliche Weise, und das ist auch gut so.“ Ein militärisches Eingreifen der Nato in der Ukraine schließt er weiterhin aus: „Wir werden keine Flugverbotszone einrichten.“ Punkt. Punkt? Fortsetzung folgt, spätestens beim Besuch von US-Präsident Biden in Brüssel in der kommenden Woche.

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