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Krieg in der Ukraine: Putin erteilt Deutschland durch den Krieg in der Ukraine bittere Lektionen

Krieg in der Ukraine

Putin erteilt Deutschland durch den Krieg in der Ukraine bittere Lektionen

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    Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundeskanzleramt nach der Aufzeichnung seiner Fernsehansprache zum Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine.
    Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundeskanzleramt nach der Aufzeichnung seiner Fernsehansprache zum Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Foto: Markus Schreiber, AP/dpa

    Als der Krieg zurück nach Europa kommt, kann man der politischen Klasse Deutschlands beim Lernen zusehen. Es sind bittere Erkenntnisse. Die Gesichter zeigen es. In der Ukraine schlagen die Raketen aus russischen Rohren ein, Panzer rollen durch schneebedecktes Land. Die Mienen derjenigen, die in Deutschland die Macht haben, zeigen Ohnmacht. Bundeskanzler Olaf Scholz tut das, was Regierungschefs tun müssen, die nicht viel tun können. Er beklagt im dunklen Anzug in ernsten Worten den Bruch des Völkerrechts durch Wladimir Putin. „Das ist Putins Krieg“, sagt Scholz.

    Wenn Politiker wenig oder nichts tun können, dann schaffen sie meist symbolische Ersatzhandlungen. Für Sonntag beruft der Kanzler eine Sondersitzung des Bundestages ein. Das Sicherheitskabinett tagt. Mit den Staats- und Regierungschefs der reichen Industrieländer (G7) will er sich zu einer Konferenz zusammenschalten. Und neue, noch härtere Sanktionen kündigt der Kanzler an. „Putin hat mit seinem Krieg einen schweren Fehler begangen“, entgegnet Scholz dem Aggressor. Zum Abschluss seiner kurzen Ansprache im Kanzleramt verspricht er den Osteuropäern, dass Deutschland sie militärisch nicht hängen lassen werde.

    Inspekteur des Heeres: "Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da"

    Vielleicht weiß er zu diesem Zeitpunkt nicht, dass wenige Stunden zuvor sein oberster Soldat die eigene Armee für kampfunfähig erklärt hat. „Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, erklärte der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais. Niemand hatte ihn nach seiner Einschätzung gefragt. Er tat es von sich aus auf dem Internet-Karriereportal LinkedIn. Der Satz, den der General folgen lässt, wird in Osteuropa genau gelesen werden. „Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert.“

    Die Wehrbeauftragte des Bundestages hätte Scholz berichten können, dass die deutsche Rückversicherung für die Verbündeten nicht viel wert ist. Eva Högl ist Mitglied der SPD, der Partei des Kanzlers.

    Mit lieber Not kommandierte die Truppe weitere 350 Soldaten nach Osteuropa ab. Sie verstärken die 500 Männer und Frauen, die schon in Litauen stehen. Die Verstärkung hat aber keinen geeigneten Nässeschutz bekommen und friert. Außerdem gibt es in den Zelten keine gute Internetverbindung, beklagen die Kämpfer. „Wir werden euch zur Seite stehen“, verspricht Scholz dennoch den Litauern, den Polen, den Esten und Letten.

    Putin hat Scholz über seinen langen Tisch gezogen

    Für den Kanzler ist die russische Invasion auch eine persönliche Niederlage. Vergangene Woche saß er noch am langen Tisch im Kreml dem russischen Präsidenten gegenüber. Just am Tage des Besuchs zog Putin einige Truppen von der Grenze ab, weshalb SPD-Chefin Saskia Esken jubelte, das sei Scholz’ Notdiplomatie zu verdanken. Es war ein Bluff Putins. Er hat Scholz über den langen Tisch gezogen.

    Nach diesem Treffen war die Euphorie groß. Doch Putin hatte geblufft.
    Nach diesem Treffen war die Euphorie groß. Doch Putin hatte geblufft. Foto: Mikhail Klimentyev, Russian President Press Office/Sputnik/dpa

    Apropos Lernprozess: In der Partei des Kanzlers geht es ans Eingemachte. Seit Übervater Willy Brandt seine legendäre Ostpolitik entwarf, waren die Verbindungen bei den Sozialdemokraten nach Moskau besonders tief. Für Alt-Kanzler Gerhard Schröder waren sie auch besonders lukrativ. „Gas-Gerd“ installierte überall alte Vertraute, die für russisches Gas die Strippen zogen. In Ostdeutschland gehörten die SPD-Ministerpräsidenten Manuela Schwesig und Dietmar Woidke zu den emsigsten Russlandfreunden. Unter dem Donner der russischen Kampfflugzeuge geben sie nun zu, dass sie falsch lagen mit ihren Beschwichtigungen, ihre alte, früher nutzbringende Rechnung nicht mehr aufgeht: Handel führt zu Wandel und schließlich zu mehr Sicherheit. Das, wovor die Amerikaner seit Jahren warnen, hat sich bewahrheitet: Mit den Gas-Milliarden aus

    Eine, die genau weiß, wie es um die deutsche Sicherheit steht, ist Ex-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU. Sie hat eine späte, schmerzende Erkenntnis und teilt sie aus dem politischen Ruhestand mit. „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben“, schreibt sie schonungslos auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte.“

    Ihre Einschätzung ist neben der des Generals, der ihr bis vor kurzem noch unterstellt war, so schonungslos offen und ehrlich, wie es in der hohen Politik höchst selten vorkommt. Kramp-Karrenbauers frühere Chefin, Alt-Kanzlerin Angela Merkel, traute Putin nicht über den Weg. Schröders Männer-Kumpanei mit dem Kremlherren war ihr zuwider, seine Politik setzte sie fort. Merkel verhandelte mit Putin über den Frieden, während er im selben Moment der Ukraine Gebiet entriss. So erzählte sie es einmal. Sie machte sich keine Illusionen über den ehemaligen KGB-Mann, der in Dresden den für ihn traumatischen Untergang der Sowjetunion erlebte.

    Sie brachte trotzdem Radeberger Bier mit, wenn sie zu ihm reiste. Sie stellte sich auch hinter die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2, die jetzt eiligst auf Eis gelegt wurde. Die schweren Bedenken der Osteuropäer ignorierte sie. Den desolaten Zustand der Bundeswehr akzeptierte sie. Sie wusste von all dem, aber sie wollte dennoch an die Geschichte von Handel und Annäherung glauben. Das bedeutet: Nicht nur die SPD muss lernen, auch die CDU als zweite bestimmende, lange regierende Partei Deutschlands muss es.

    Der Preis für die Invasion wird Putin erst spät treffen

    Der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck tut es für seine Partei, die sich als dritte politische Kraft etabliert hat. „Wir haben einen Landkrieg in Europa, von dem wir dachten, er sei nur noch in Geschichtsbüchern zu finden“, sagte der Grünen-Politiker. Er muss es irgendwie hinbekommen, dass in den nächsten Wochen und Monaten schnell mehr Gas und Öl aus anderen Quellen nach Deutschland gelangt, ohne dass die Preise dafür noch weiter explodieren.

    Habeck stellt sich den Fragen der Presse, formuliert frei, hat aber sichtbar Mühe, flüssige Sätze zusammenzubringen. Das Ziel der Sanktionen ist es demnach, dass Russland an den Verhandlungstisch zurückkehrt und die Diplomatie wieder eine Chance hat. Das Manko dieser Antwort ist, dass die Strafmaßnahmen erst mit einiger Verzögerung wirken. Die Wirtschaftskrise, die sie in Russland auslösen sollen, beginnt vielleicht in einigen Monaten spürbar zu werden.

    Der Preis, den Putin zahlen soll, wird erst später fällig. Das, was der Ukraine vielleicht in den letzten Monaten geholfen hätte, schließt Habeck weiter aus. Waffenlieferungen wird es keine geben. An diesem Tag der von den Augen fallenden Schuppen ist es nicht klar, ob das Deutschland nicht will oder nicht kann. Es reicht, wenn Putin in die Gesichter von Scholz und seinen Ministern schaut, um zu wissen, wie hilflos das mächtigste Land der Europäischen Union ist.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Ukraine-Konflikt.

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