Kein Gas mehr aus Russland. Die Nachricht schlug in Polen ein wie ein Blitz. Premier Mateusz Morawiecki erklärte am Mittwoch im Parlament: „Dies ist ein direkter Angriff auf Polen.“ Das Land habe sich aber auf diesen Moment vorbereitet. „Wir werden dieser Erpressung nicht nachgeben.“ Der Moskauer Gazprom-Konzern hatte erst am Vorabend angekündigt, die Lieferungen über die Jamal-Pipeline am Morgen einzustellen. Das über 4000 Kilometer lange Röhrensystem verbindet die Erdgasfelder Nordsibiriens über Belarus mit Polen. Der Energiestrom versiegte gegen vier Uhr nachts.
Der Bann trifft auch Bulgarien. Hintergrund ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine, auf den die EU mit Militärhilfe und harten Sanktionen reagiert hat. Vor allem Polen spielt bei Waffenlieferungen an das Nachbarland Ukraine eine zentrale Rolle. Präsident Wladimir Putin wolle das Land dafür „bestrafen“, erklärte Morawiecki. Der Angriff werde aber ins Leere laufen. „Unsere Gasspeicher sind zu 76 Prozent gefüllt.“ Hinzu kommt, dass die polnischen und bulgarischen Verträge mit Gazprom Ende 2022 ohnehin ausgelaufen wären. Eine Verlängerung war nicht geplant. Kurz zuvor habe Putin nun noch ein Zeichen setzen wollen, hieß es in Warschau und Sofia.
Polen arbeitet schon lange an der Gasunabhängigkeit
Polen, das nach dem Ende des Kalten Krieges fast vollständig von russischen Energielieferungen abhängig war, arbeitet seit langem konsequent an einer Neuausrichtung bei den Gas-, Öl- und Kohleimporten. Anders als Deutschland, dessen Abhängigkeit stetig zunahm, setzten die Regierungen in Warschau auf den Bau einer eigenen Infrastruktur.
Im Ostseehafen Swinemünde eröffnete 2015 ein hochmodernes LNG-Terminal für den Import von Flüssiggas aus Katar und Algerien. Die Kapazität wird derzeit um 50 Prozent auf 7,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr erhöht. Damit könnte Polen ein Drittel seines Bedarfs decken.
Polen: Putin schadet sich nur selbst
Weitere zehn Milliarden Kubikmeter norwegischen Erdgases sollen spätestens ab 2023 durch die „Baltic Pipe“ von Dänemark durch die Ostsee nach Polen strömen. Bulgarien wiederum kann auf Hilfe aus Griechenland hoffen. Auch viele Fachleute reagierten deshalb am Mittwoch gelassen. So erklärte der polnische Energieexperte Wojciech Jakobik, langfristig schade Putin mit seiner Politik nicht der EU, sondern den eigenen Staatskonzernen. „Das größte Opfer ist Gazprom“, schrieb Jakobik bei Twitter und nannte als Grund das sogenannte Gas-gegen-Rubel-Dekret des russischen Präsidenten vom 31. März.
Darin hatte Putin festgeschrieben, dass „unfreundliche Staaten“ Gaslieferungen künftig in Rubel zu bezahlen hätten. Ziel war es, die eigene Währung zu stabilisieren, die wegen der Sanktionen in Turbulenzen geraten war. Das Dekret steht allerdings in Widerspruch zu den Verträgen, die Zahlungen in Euro oder Dollar vorsehen. Dennoch beruft sich Gazprom auf das Putin-Dekret. Polen und Bulgarien seien der Anordnung, Gasimporte in Rubel zu bezahlen, nicht gefolgt.
Ist das eine Drohung an Deutschland?
Manche Beobachter sehen in dem Exportstopp vor allem eine letzte Warnung an Deutschland, Österreich und andere Premiumkunden von Gazprom. So sei es kaum ein Zufall gewesen, dass der Exportstopp am selben Tag verkündet wurde, an dem Berlin die Lieferung von Panzern an die Ukraine bekannt gab. Die Bundesrepublik ist der wichtigste Abnehmer russischen Erdgases. Nicht zuletzt für deutsche Großkunden hatte Putin im Gas-gegen-Rubel-Streit ein Schlupfloch geschaffen. Sie mussten bei der Gazprombank Konten einrichten, bei denen sie ihre Rechnungen in Euro bezahlen können, die dann als Rubel verrechnet werden.
Dieses Schlupfloch ließe sich zwar jederzeit stopfen. Allerdings wäre das mit dramatischen Problemen für die russische Energiewirtschaft verbunden. Denn durch die nun stillgelegte Jamal-Pipeline strömte zuletzt nur noch wenig Gas. Würde Russland auch andere Verbindungen kappen, müsste Gazprom auf seinen sibirischen Feldern in großem Stil Gas „abfackeln“. Rein technisch lassen sich die Quellen nicht von heute auf morgen schließen. Der Konzern würde also täglich auf mehr als eine halbe Milliarde Euro Einnahmen verzichten und zugleich Energie verbrennen.