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Krieg in der Ukraine: Olexander, der Minensucher von Mykolajiw

Krieg in der Ukraine

Olexander, der Minensucher von Mykolajiw

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    Olexander, Minenräumer der Firma Nibulon, ein ukrainischer Landwirtschafts-, Schiffbau- und Transportkonzern, steht auf dem Firmengelände.
    Olexander, Minenräumer der Firma Nibulon, ein ukrainischer Landwirtschafts-, Schiffbau- und Transportkonzern, steht auf dem Firmengelände. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Olexander hat einen eher nervenaufreibenden Job. Der 37-Jährige sucht in der Südukraine im Gelände nach Minen und nicht explodierten Raketen. Das macht er auf Ackerflächen, für den Agrarkonzern Nibulon. Im ehemals besetzten Gelände liegen noch Tausende Sprengkörper im Boden, von russischen Soldaten versteckt - um ukrainische Panzer und Soldaten zu stoppen. Olexander, der seinen Nachnamen nicht nennen will, hilft dabei in schwerer Schutzausrüstung, die explosiven Gegenstände aus den Feldern zu holen. Damit die Bauern wieder Getreide anbauen können.

    Weite Teile der Ukraine sind vermint. Nach Informationen des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind 174.000 Quadratkilometer in der Ukraine "potenziell mit Minen und Kampfmittelresten belastete Gebiete". Das ist fast ein Drittel des Staatsgebiets der Ukraine oder knapp die Hälfte Deutschlands. An manchen Teilen der Front lägen bis zu fünf Minen pro Quadratmeter, sagte der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow erst im August.

    Trotz massiver Schutzausrüstung ist Olexanders Aufgabe lebensgefährlich

    Die Minen sind nicht nur ein Problem für die Gegenoffensive der Ukraine, sondern auch für die Wirtschaft. Viele Anbauflächen sind betroffen. Der Konzern Nibulon, einer der größten Getreideexporteure der Ukraine, investiert nun in die Minensuche, in Maschinen und Equipment - mit Hilfe der Bundesregierung. Das knapp neun Millionen Euro teure Projekt wird vom Entwicklungsministerium zur Hälfte finanziert. Damit sollen ukrainische Kleinbauern in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Felder zu entminen, heißt es aus dem Ministerium. Bei Nibulon soll dafür zentral die Expertise aufgebaut werden. Tausende Hektar Acker müssen entmint werden.

    Olexander sucht nun mit neuen Metalldetektoren nach Minen und Raketenresten. Trotz massiver Schutzausrüstung inspiziert er den Boden unter Lebensgefahr. Angst hat er aber nicht. "Dumme und verrückte Leute haben keine Angst", sagt er mit etwas Galgenhumor. Manchmal mache er zehn Funde am Tag, berichtet er. Dann stecke er einen farbig markierten Holzstecken in den Boden und gebe die GPS-Koordinaten an seine Kollegen durch, damit die die Stelle wiederfinden und den Fund unter die Lupe nehmen können.

    Olexanders Schutzausrüstung ändert nichts daran, dass seine Aufgabe lebensgefährlich ist.
    Olexanders Schutzausrüstung ändert nichts daran, dass seine Aufgabe lebensgefährlich ist. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Die Minen werden Industrie und Landwirtschaft in der Ukraine auf Jahre beeinträchtigen

    Bereits vor Kriegsbeginn im Jahr 2022 sei die Ukraine eines der am stärksten mit Minen verseuchten Länder der Welt gewesen, berichtet die Organisation Handicap International. Blindgänger verhinderten oder verzögerten zumindest den Wiederaufbau der Infrastruktur. "Insbesondere für Landwirte sind die Auswirkungen enorm, denn ein vermintes Feld bleibt unbestellbar beziehungsweise lebensgefährlich - egal, ob dort eine oder 1000 Minen liegen", teilte die Geschäftsführerin von Handicap International Deutschland, Inez Kipfer-Didavi, mit.

    Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP forderte im Sommer bereits eine Art Marshall-Plan zur Minenräumung in der Ukraine. Industrie und Landwirtschaft seien durch Unmengen von Landminen auf Jahre hinaus schwer beeinträchtigt. Die Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, Iryna Tybinka, sprach im September von Minen als einer der größten Katastrophen für die Ukraine. Russische Soldaten hinterließen überall Sprengstoff - in Klavieren, in Kühlschränken, an Leichen. Jedes Haus, jedes Feld, jeder Wald müsse deshalb überprüft werden.

    Olexander meldete sich nach dem russischen Angriff freiwillig beim Militär

    Vor nicht allzu langer Zeit hat Olexander selbst Minen im Gelände platziert - für die ukrainische Seite. Direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine meldete er sich freiwillig beim Militär. Als ausgebildeter Ingenieur sei er prädestiniert gewesen für die Arbeit mit den Sprengkörpern, sagt er. Er schlich sich nach eigenen Worten in den Wäldern um Kiew zehn bis 15 Kilometer hinter die feindlichen Linien, platzierte Minen an strategisch wichtigen Stellen, etwa Brücken oder Kreuzungen, vergrub sie unter Straßen.

    Nach neun Monaten im Einsatz sei dann ein Mörsergeschoss explodiert, Kaliber 88 Millimeter, direkt neben ihm, erzählt er. Olexander wird dabei schwer am Kopf verletzt, muss die Armee verlassen. Der Veteran geht daraufhin in die Privatwirtschaft. Ist es besser, Minen zu suchen als zu verstecken? Für Olexander macht das moralisch keinen Unterschied. An erster Stelle sieht er die Hersteller in der Verantwortung: "Nicht die, die Minen verstecken, töten Menschen. Die, die Minen bauen, töten Menschen." (Nico Pointner, dpa)

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