Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Krieg in der Ukraine: Menschenhändler wittern ein lukratives Geschäft mit jungen Frauen aus der Ukraine

Krieg in der Ukraine

Menschenhändler wittern ein lukratives Geschäft mit jungen Frauen aus der Ukraine

    • |
    Ukrainische Flüchtlinge besteigen am Bahnhof von Przemysl, Polen, einen Zug, der sie weiter nach Westen bringen soll.
    Ukrainische Flüchtlinge besteigen am Bahnhof von Przemysl, Polen, einen Zug, der sie weiter nach Westen bringen soll. Foto: Hector Adolfo Quintanar, ZUMA Press Wire/dpa (Symbolbild)

    Zwei junge Frauen stehen an einem Aufnahmezentrum an der ukrainisch-polnischen Grenze. Sie sind Schwestern, die ältere 21, ihre Schwester ein paar Jahre jünger. Sie haben einen kleinen Rucksack, mehr nicht. Ihr Ziel ist, mit dem Bus zur Mutter weiterzureisen, die in Polen lebt und arbeitet. Sie sehen erschöpft aus, müde und wirken verloren, wie sie da in einem Plastikordner voller Papieren nach dem richtigen Dokument kramen. Hinter ihnen stehen Männer mit Pappschildern in den Händen. Berlin, Köln, Estland steht auf ihnen. Wer sind diese Männer? Helfende oder Menschenhändler?

    Ninja Taprogge, Nothilfe-Sprecherin der Hilfsorganisation Care, weiß es nicht. Sie hat die Situation beobachtet, spricht die beiden Frauen an, fragt, ob sie helfen kann. Denn was die Care-Mitarbeiterin sicher weiß, ist: In Kriegen und Notsituationen sind Flüchtlinge für Menschenhändler und Schlepper leichte Opfer. „Sie haben Schreckliches erlebt, mussten Familienmitglieder zurücklassen, suchen Schutz und denken nicht an die Gefahr, die hinter der Grenze drohen kann.“ Im Donbass - der Osten der Ukraine, in dem seit 2015 Krieg herrscht - hätten polnische Hilfsorganisationen bereits Fälle von Ausbeutung dokumentiert.

    Aus der Ukraine flüchten bisher vor allem Frauen und Kinder

    Unter den rund 2,8 Millionen Flüchtlingen, die laut UNO bislang aus der Ukraine flüchten konnten, sind vorwiegend Frauen und Kinder. Männer zwischen 18 und 60 Jahren müssen in der Ukraine bleiben, das Land verteidigen, kämpfen. „Die Frauen sind ungeschützt, das macht die Situation besonders gefährlich“, sagt Irene Hirzel, Geschäftsführerin des Vereins Act212, einem Beratungs- und Schulungszentrum gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung mit Sitz in der Schweiz. „Viele Frauen sind im Panikmodus, erschöpft, müde, reisen oft schon seit Tagen, brauchen Windeln oder Nahrung für ihre Babys und Kinder – und nehmen dann vielleicht die erstbeste Gelegenheit wahr.“

    Besonders gefährdet sind die Frauen und Kinder, die keine Verwandten oder Bekannten im Ausland haben und aufs Geratewohl über die Grenze kommen. „Ich habe mit einer Frau gesprochen, die zwei Tage lang nicht geschlafen und nichts gegessen hat“, sagt Taprogge. Im Bus hörte sie aus der Ferne immer wieder die Bombeneinschläge.

    Die Frau war am Ende ihrer Kräfte, wollte nur noch schlafen. Doch dafür bleibt kaum Zeit. In dieser Situation geraten sie schnell in das Visier von Kriminellen. Schlepper bieten Mitfahrgelegenheiten zu horrenden Preisen an. Skrupellose Menschenhändler, halten gezielt Ausschau nach Frauen und Kindern. Das „Bordell Europa“ wartet schon auf seine nächsten Opfer. Die flüchtenden Menschen sind für sie nur eine Ware, mahnt Irene Hirzel, „sie kennen kein Erbarmen, kein Mitleid. Und ihnen kann momentan nicht viel entgegengestellt werden, weil alles so chaotisch ist.“

    Menschenhändler wittern durch den Krieg in der Ukraine das große Geld

    In Internetsuchmaschinen und auf Pornoportalen sei die Anfrage nach jungen Ukrainerinnen seit Beginn der russischen Invasion enorm gestiegen. „Die Menschenhändler wittern das große Geld und werden versuchen, diese ,Wünsche' zu erfüllen“, sagt Irene Hirzel. Für Betroffene sei es fast unmöglich, Gut von Böse zu unterscheiden. In der Republik Moldau, wo der Verein Partnerorganisationen vor Ort hat, sei die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung zwar hoch. Doch die rund 120.000 Flüchtlinge, die bislang ins Land geströmt sind, sind für ein kleines Land wie Moldau, in dem gerade mal 2,6 Millionen Menschen leben, eine gewaltige Herausforderung. „Jedes achte Kind im Land ist bereits ein Flüchtlingskind“, sagt Irene Hirzel. Es fehle an allem: Nahrung, Medikamente, Hygieneartikel. Das sei eine hochgradig gefährliche Situation für die Frauen und Mädchen, „die mir den Schlaf raubt.“ Der Profit für die Menschenhändler sei hoch, die Gefahr entdeckt zu werden, gering. Noch.

    Denn Hilfsorganisationen, Grenzschützer und Polizisten sind alarmiert. In Polen legen Hilfsorganisationen Flyer in die Pässe von Flüchtenden, in der sie vor den Gefahren warnen. Und auch in Deutschland werden die Warnungen lauter. Am Berliner Hauptbahnhof haben Helferinnen und Helfer, aber auch Angestellte von Sicherheitsfirmen die Bundespolizei alarmiert. „Seit Ende letzter Woche haben wir vermehrt Hinweise bekommen, dass Männer dubiose Unterkunftsangebote gegenüber alleinreisenden Frauen oder Frauen mit Kindern aus der Ukraine äußern“, sagt Alina Müller, Sprecherin der Bundespolizeidirektion Berlin. Insgesamt bewege sich die Zahl der Vorkommnisse im niedrigen zweistelligen Bereich. Es seien Gefährderansprachen erfolgt, Personalien aufgenommen und Platzverweise gegen die verdächtigen Personen ausgesprochen wurden. Oft fallen die Männer auf, „weil sie Frauen nicht nur Unterkünfte, sondern auch Geld anbieten.“ Andere stellen sich abseits von anderen Helfenden hin und sprechen gezielt Frauen an. Die Bundespolizei ist jetzt verstärkt am Bahnhof vor Ort, jederzeit ansprechbar. Wer etwas Suspektes beobachtet, soll sich direkt an die Polizei wenden, twittert die Bundespolizei Berlin.

    Die Berliner Polizei ist verstärkt im Einsatz. „Wir haben sowohl am Hauptbahnhof als auch am Zentralen Omnibusbahnhof nach wie vor eine dynamische Lage“, sagt Michael Gassen, Sprecher der Berliner Polizei. Neben uniformierten Kräften seien auch zivile Einsatzkräfte vor Ort. Mobile Wachen sollen als Schnittstellen zwischen Polizei, Senatsverwaltung und Hilfsorganisationen dienen.

    Am Donnerstagmorgen dann ein erster Vermisstenfall. Das Landeskriminalamt hat hierzu die Ermittlungen aufgenommen. Eine Ukrainerin und ihr fünfjähriger Sohn waren plötzlich verschwunden. Eine Freundin der Mutter schlug Alarm. Am Nachmittag dann die Entwarnung. „Die Frau und ihr Kind waren in Neumünster im Zug unterwegs. Beide sind wohlauf.“ Nun muss geprüft werden, ob sie Berlin freiwillig oder unter Zwang verlassen haben.

    Flüchtlinge im polnischen Medyka an der Grenze zur Ukraine. Sie sind dem Krieg in ihrer Heimat entkommen, doch vor skrupellosen Menschenhändlern müssen insbesondere Frauen und Mädchen geschützte werden.
    Flüchtlinge im polnischen Medyka an der Grenze zur Ukraine. Sie sind dem Krieg in ihrer Heimat entkommen, doch vor skrupellosen Menschenhändlern müssen insbesondere Frauen und Mädchen geschützte werden. Foto: Daniel Cole, AP/dpa

    Die mediale Aufmerksamkeit, Warnungen an die Flüchtenden und die Präsenz von Einsatzkräften und Helfenden tragen zum Schutz der Frauen und Kinder bei. Doch es muss noch mehr getan werden. In die Aufnahmezentren an der ukrainisch-polnischen Grenze könne beispielsweise jeder hineingehen, sagt Ninja Taprogge. „Dort müssen dringend, sichere Räume für Frauen und Kinder eingerichtet werden.“

    Flüchtlinge im polnischen Medyka an der Grenze zur Ukraine. Sie sind dem Krieg in ihrer Heimat entkommen, doch vor skrupellosen Menschenhändlern müssen insbesondere Frauen und Mädchen geschützte werden.
    Flüchtlinge im polnischen Medyka an der Grenze zur Ukraine. Sie sind dem Krieg in ihrer Heimat entkommen, doch vor skrupellosen Menschenhändlern müssen insbesondere Frauen und Mädchen geschützte werden. Foto: Daniel Cole, AP/dpa

    Safe Spaces, in denen sich die Menschen ausruhen und Kraft tanken können, für den weiten Weg, der noch vor ihnen liegt. Auch die medizinischen und gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen müssten stärker in den Fokus rücken. „An der Grenze und in den Aufnahmezentren gab es keine Hygienepakete, also keine Seife, keine Binden, die werden aber dringend gebraucht“, sagt die Nothilfe-Sprecherin. Privatpersonen rät sie dringend davon ab, mit dem Auto auf eigene Faust an die Grenzübergänge zu fahren. Lieber sollte man Hilfsorganisationen mit Sach- oder Geldspenden unterstützen. Einige Organisationen organisieren vor Ort sichere Transporte. „Wichtig wäre auch, dass die Behörden an den Grenzen eine erhöhte Alarmbereitschaft zeigen“, sagt Irene Hirzel. Jeder müsse hinschauen und im Notfall Hilfe rufen – damit die Flucht für die Millionen ukrainischen Frauen und Kinder nicht .

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden