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Krieg in der Ukraine: Lassen die grausamen Spuren des Kriegs den Kanzler umdenken?

Krieg in der Ukraine

Lassen die grausamen Spuren des Kriegs den Kanzler umdenken?

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    Ein Blick auf teilweise nicht identifizierte Gräber von Zivilisten und ukrainischen Soldaten in der befreiten Stadt Isjum.
    Ein Blick auf teilweise nicht identifizierte Gräber von Zivilisten und ukrainischen Soldaten in der befreiten Stadt Isjum. Foto: Evgeniy Maloletka, AP/dpa

    In den Jubel über die Befreiung ukrainischer Dörfer und Städte von den russischen Besatzern mischt sich Entsetzen. Die feindlichen Truppen sind weg, doch sie haben Spuren hinterlassen. In den zurückeroberten Regionen im Osten der Ukraine werden Gräber, Leichen mit Stricken um Hals und Hände und Folterstätten gefunden, die erahnen lassen, welche Grausamkeiten dort passiert sein müssen, seit Russland im Februar das Land überfallen hat. Die Bundesregierung, die immer noch zögert, Panzer an die Ukraine zu liefern, gerät dadurch gleich doppelt unter Zugzwang.

    Ausgerechnet eine Deutsche spricht aus, was von Deutschland erwartet wird

    Zum einen belegen die jüngsten Erfolge der ukrainischen Streitkräfte, was mithilfe von Waffen und schwerem militärischen Gerät aus dem Westen möglich ist. Zum anderen erhöht die sichtbar werdende Brutalität des Krieges den Druck, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf noch stärker zu unterstützen. Ausgerechnet eine Deutsche spricht das offen aus.

    EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich während eines Besuchs in Kiew dafür stark-gemacht, den Bitten der ukrainischen Führung um Präsident Wolodymyr Selenskyj nachzugeben. „Wenn sie sagen, sie brauchen Kampfpanzer, dann sollten wir das ernst nehmen und sollten ihnen das liefern“, sagte von der Leyen der Bild und fügte hinzu: „Die Ukrainer beweisen ja, dass sie, wenn sie die richtigen militärischen Mittel haben, sich verteidigen können.“

    Olaf Scholz lehnt die Lieferung von Kampfanzern weiterhin ab

    Tatsächlich wurden in den vergangenen Tagen all jene widerlegt, die jegliche Gegenwehr als aussichtslos abgetan hatten. Für die frühere Bundesverteidigungsministerin von der Leyen steht fest: „Die Ukrainer kämpfen für ganz Europa. Deshalb ist es so wichtig, dass sie tatsächlich all die militärischen Mittel bekommen, die sie brauchen.“ Sie bezog sich damit auf die Europäische Union, meinte aber wohl vor allem Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt es nach wie vor ab, die deutschen Waffenlieferungen auszuweiten. Er betont immer wieder, die Bundesrepublik dürfe nicht zur Kriegspartei werden, und warnt vor Alleingängen. Der SPD-Politiker warb am Freitag auf einer Bundeswehrtagung in Berlin für eine engere europäische Zusammenarbeit in Rüstungsfragen. Damit entwarf er einen Plan für die Zukunft. CDU und CSU setzen den Regierungschef allerdings in der Gegenwart immer stärker unter Druck.

    Nach Informationen des Spiegel will die Union in der kommenden Woche im Bundestag einen Antrag einbringen, Kiew auch Kampf-, Schützen- und Transportpanzer zur Verfügung zu stellen. „Als wirtschaftlich stärkste Nation muss Deutschland jetzt Führungsverantwortung übernehmen und schwere Waffensysteme – auch aus Beständen der Bundeswehr – an die Ukraine liefern und die notwendige Ausbildung durchführen“, heißt es in dem Papier. Und selbst in den Reihen seiner Koalition wächst das Unbehagen über die Position des Kanzlers.

    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock würde weiter gehen als der Kanzler

    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kann nur noch mit Mühe verbergen, dass sie mehr wagen würde als ihr Chef. Die Grünen-Politikerin war erst vor wenigen Tagen in Kiew – schon zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn. Sie will verhindern, dass die Deutschen als Bremser dastehen. Nun, da ukrainische Truppen nennenswerte Geländegewinne erzielen, sieht sie sich bestätigt. Auch die FDP würde sich kaum querstellen, wenn es um weitere Waffenlieferungen geht.

    Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth versuchte seinem Kanzler am Freitag eine Brücke zu bauen und brachte eine gemeinsame Kampfpanzer-Lieferung mehrerer europäischer Staaten ins Gespräch. Er schlug vor, ein internationales Kontingent von Leopard-2-Panzern zusammenzustellen, um es rasch der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Damit unternehme Deutschland keinen nationalen Alleingang, betonte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

    Doch die Richtlinien der Politik bestimmt nun mal der Kanzler und der lässt seine Leute immer wieder darauf hinweisen, dass andere Länder bislang eben auch keine modernen westlichen Kampfpanzer an die Ukraine liefern. Aus Regierungskreisen werden auch Berichte dementiert, nach denen das Weiße Haus von Berlin mehr Einsatz erwarte. Anlass zu Spekulationen hatte die deutsche US-Botschafterin gegeben. „So sehr ich die deutschen Bestrebungen begrüße und bewundere, meine Erwartungen sind noch höher“, sagte Amy Gutmann in einem Interview.

    Manche Holzkreuze in Isjum tragen Namen, andere nur Nummern

    In den inzwischen befreiten Gebieten im Osten der Ukraine dürfte man das ähnlich sehen. Dort suchen die Menschen nun nach Spuren und Hinweise auf Freunde und Verwandte, in Häusern, in Kellern – und auf den Gräberfeldern.

    Oleg Kotenko, der Beauftragte für Vermisstenangelegenheiten unter besonderen Umständen, betrachtet die nicht identifizierten Gräber bei Isjum.
    Oleg Kotenko, der Beauftragte für Vermisstenangelegenheiten unter besonderen Umständen, betrachtet die nicht identifizierten Gräber bei Isjum. Foto: Evgeniy Maloletka, AP/dpa

    Allein in der Kleinstadt Isjum wurden mehr als 400 Leichen gefunden. Laut Augenzeugen fast ausnahmslos Zivilisten. Auf ihren Gräbern waren Holzkreuze aufgestellt worden. Auf einigen stehen Namen, auf anderen nur Nummern.

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