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Krieg in der Ukraine: Lambrecht will Deutschen den Pazifismus austreiben

Krieg in der Ukraine

Lambrecht will Deutschen den Pazifismus austreiben

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    Verteidigungsministerin Christine Lambrecht will das Militär vom Abseits in die Mitte der Gesellschaft holen.
    Verteidigungsministerin Christine Lambrecht will das Militär vom Abseits in die Mitte der Gesellschaft holen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    "Die eigentliche Zeitenwende findet in den Köpfen statt", sagt die Verteidigungsministerin. Und Christine Lambrecht hat vor, in diesen Köpfen einige liebgewordene Grundgedanken vergessen zu machen. Etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war es an der Zeit auszubuchstabieren, wie sie sich die Zeitenwende im Militärischen vorstellt. Sie tat es am Montag in einer Rede bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin-Mitte.

    Lambrechts Programm könnte die Überschrift tragen, die Armee aus dem gesellschaftlichen Abseits zu holen. Vor allem für das linke Lager ist das eine Zumutung: für den linken Flügel ihrer SPD, genau wie für die arg dezimierten Friedensbewegten bei den Grünen und für die Linkspartei sowieso. Es gilt dort, das Credo der Lehren aus der Nazi-Diktatur hochzuhalten, in dem man sich gemütlich eingerichtet hat: Frieden schaffen ohne Waffen.

    Einmal im Jahr soll die Bundeswehr beim Tag der nationalen Sicherheit in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.
    Einmal im Jahr soll die Bundeswehr beim Tag der nationalen Sicherheit in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Foto: Odd Andersen, dpa

    Lambrecht will aber keine weiteren Panzer an die Ukraine liefern

    Damit es nicht zu viele Zumutungen auf einen Schlag setzte, sperrt sich Lambrecht trotz der militärischen Erfolge weiter gegen die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzer an die Ukraine. "Wir haben uns verständigt, dass wir da keine deutschen Alleingänge machen", bekräftigte die Verteidigungsministerin ihre Position. Was sie zuvor angekündigt hat, genügt aber, um für schlechte Stimmung bei den eigenen Leuten zu sorgen. So schlägt sie einen Tag der nationalen Sicherheit vor, um die Streitkräfte zu ehren. "Für die allermeisten Menschen in diesem Land ist das viel weniger kontrovers, als wir in unserer Berliner Blase manchmal glauben." Gelernte DDR-Bürger erinnern sich noch an den Tag der Nationalen Volksarmee (NVA).

    Lambrecht will die Bundesrepublik außerdem zu einer militärischen Führungsmacht Europas machen. "Führung" und "Macht" – allein die Kombination dieser Worte hat in Deutschland achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer einen befremdlichen Klang. "Deutschlands Gewicht macht uns zur Führungsmacht", begründete Lambrecht. Dieses Gewicht werde automatisch größer, je mehr sich die Amerikaner der Rivalität mit China verschrieben. "Wir müssen Amerika entlasten."

    Die Sicherheitspolitik-Expertin Claudia Major fragte im Nachgang der Grundsatzrede ketzerisch, wer sich denn von Deutschland führen lassen wolle. "Mein Eindruck ist, dass wir in Mittel- und Osteuropa ziemlich viel Vertrauen verspielt haben", sagte die Forscherin von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie spielte damit auf die Enttäuschung der Ukrainer, Polen und Tschechen an, dass die Bundesrepublik aus deren Sicht viel zu zögerlich schweres Kriegsgerät liefert.

    Europa soll für die Entwicklung neuer Panzer stärker zusammenarbeiten

    Apropos Kriegsgerät. Damit die Bundeswehr künftig mehr Rumms für den Euro bekommt, soll Europa bei der Entwicklung neuer Panzer, Flugzeuge und Drohnen stärker zusammenarbeiten. Die europäischen Partner wären dazu bereit, aber derzeit stören die strengen Regeln für den Waffenexport. Wenn die Lieferung von Waffen an Erdölpotentaten nicht möglich ist, dann hat ein europäischer Panzer weniger Chancen, wirtschaftlich ein Erfolg zu werden. Wegen der Exportkontrolle gab es in den vergangenen Jahren Knatsch mit Frankreich bei der gemeinsamen Entwicklung eines neuen Kampfpanzers. "Mit unserem Wertevorbehalt stellen wir uns über unsere europäischen Partner", beklagte die Ministerin. "Wir müssen an die deutschen Exportregeln ran."

    Ein Leopard-2-Panzer der Bundeswehr. Die Ministerin will Exportbeschränkungen abbauen.
    Ein Leopard-2-Panzer der Bundeswehr. Die Ministerin will Exportbeschränkungen abbauen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Genau das steht auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition, allerdings war es bei dessen Formulierung anders gemeint. Annalena Baerbock von den Grünen hatte dafür gekämpft, die Ausfuhr von Waffen und Munition von noch strengeren Prüfungen abhängig zu machen. Durch den Krieg in der Ukraine ist der Koalitionsvertrag an dieser Stelle nach der Einschätzung Lambrechts Makulatur.

    Etwas mehr als sechs Monate nach dem russischen Überfall ist bei der Truppe noch nicht viel Zeitenwende angekommen, wie in der Diskussion über die Vorschläge der Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt deutlich wurde. "Ja, wir sind blank in Teilbereichen. Wir haben das Maximum herausgeholt, was geht", gestand Generalinspekteur Eberhard Zorn in schnörkellosen Sätzen eines Militärs. Zorn ist der oberste Soldat der Bundeswehr. Die Verlegung einiger hundert Soldaten nach Osteuropa bringt die Armee mit 180.000 Männern und Frauen an ihre Grenzen. "In dem Augenblick, in dem eine externe Herausforderung da ist, zeigen wir, dass wir nicht in der Lage sind zu liefern", stellte der Militärexperte Christian Mölling ernüchtert fest. Mölling ist Forschungsdirektor der DGAP, die die Ministerin eingeladen hatte.

    Opposition ätzt über "Erklärbär" Lambrecht

    Die Opposition sparte ebenfalls nicht mit Kritik: "Selbstherrlich tritt Frau Lambrecht als Erklärbär auf. Wieder vage Aussagen, statt Lösungen", schimpfte der verteidigungspolitische Sprecher von CDU und CSU, Florian Hahn. Er verlangte klare Konzepte für die schnelle Verlegefähigkeit robuster Verbände und das Aufbrechen des verkrusteten Beschaffungswesens der Armee. Die Verteidigungsministerin hat bislang verfügt, dass die Truppe Aufträge bis zu 5000 Euro freihändig vergeben kann, ohne Ausschreibung. Vorher lag das Limit bei 1000 Euro.

    Geld jedenfalls hat die 57-Jährige anders als ihre Vorgänger der vergangenen Jahre im großen Stil zur Verfügung. 100 Milliarden kann sie in die Truppe stecken. Zwei Entwicklungen könnten den Batzen schmelzen wie eine Kugel Eis in der Sonne. Die Inflation macht auch vor der Sicherheitspolitik nicht halt und in der neuen Welt des Krieges könnte das Nato-Ausgabenziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung jährlich bald zu klein sein. Auf dem nächsten Nato-Gipfel werde es um zwei Prozent plus gehen, erwartet Claudia Major.

    Zum Abschluss der Diskussion über ihre Neuausrichtung des deutschen Militärs wird Christine Lambrecht gefragt, woran sie vor der nächsten Wahl gemessen werden will. Jedenfalls nicht an ihren Schuhen, antwortet sie. Lambrecht trägt einen weißen Hosenanzug. Analogien zu einem weißen Blatt Papier drängen sich auf, das es zu beschreiben gilt.

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