Die Frage, wie viele schwere oder nicht schwere Waffen Deutschland nun wirklich bereits in die Ukraine geliefert hat, stellen sich auch Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion. So wollte der Frankfurter SPD-Abgeordnete Kaweh Mansoori Einblick in die Liste haben, die zur parlamentarischen Kontrolle in der sogenannten Geheimschutzstelle des Bundestages ausliegt. Doch die Lektüre wurde dem 33-jährigen Jungparlamentarier verwehrt. Zur Begründung hieß es, der Zutritt sei Mitgliedern der Ausschüsse für Wirtschaft, Außen und Verteidigung vorbehalten. Mansoori aber sitzt im Rechtsausschuss.
„Dass in einer solchen Lage nicht alle Bundestagsabgeordneten Einblick erhalten können, was an die Ukraine geliefert wird – das geht einfach nicht“, sagte der frühere hessische Juso-Vorsitzende dem Spiegel. „Ich kann die Fragen der Bürgerinnen und Bürger nicht guten Gewissens beantworten, wenn ich selbst keinen Einblick in die Lieferlisten habe.“
Vier Raketenwerfer vom Typ Mars II
Inzwischen konnte der Frankfurter SPD-Mann der Presse entnehmen, viele schwere Waffen Deutschland an die Ukraine bislang geliefert hat: keine. Die ersten sogenannten schweren Waffen aus Deutschland könnte die Ukraine vielleicht Ende dieses Monats erhalten: vier Raketenwerfer vom Typ Mars II aus Bundeswehrbeständen, so kündigte es Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Haushaltsdebatte im Bundestag an.
Was Scholz nicht sagte: Die Lieferung der in den USA hergestellten Waffen kam wohl auf massiven Druck der amerikanischen Regierung zustande. So zumindest schreibt es der Spiegel, der in seiner aktuellen Ausgabe akribisch den deutschen Waffenlieferungen auf den Grund ging. „Der Bremser“ überschrieb das Nachrichtenmagazin seine Recherche. Gemeint ist damit: SPD-Kanzler Scholz.
USA und Großbritannien machten nochmals Druck
Bereits vor knapp zwei Wochen in einer geheimen Videokonferenz der Ukraine-Geberländer habe US-Verteidigungsminister Lloyd Austin angekündigt, die USA wollten schnell Raketenwerfer liefern, anders könne die Ukraine den Widerstand nicht aufrechterhalten. Austin forderte andere Länder auf, mitzuziehen. Erst als die USA und Großbritannien nochmals in Berlin Druck gemacht hätten, habe Scholz nach hektischen Beratungen zugestimmt.
Auch das vom Kanzler im Bundestag zur Überraschung des Parlaments angekündigte Raketenabwehr-System Iris-T soll der Hersteller schon vor drei Monaten der Ukraine angeboten haben. Dem Magazin zufolge soll sich der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck seit langem stark gemacht haben, dass die Firma Diehl das Abwehrsystem liefern dürfe, das Norwegen und Schweden benutzen, nicht aber die die Bundeswehr. Die Zusage der bisher noch immer nicht gelieferten Gepard-Panzer sei ebenfalls auf Druck erfolgt. Überstürzt erst am Tag vor der von den USA initiierten Geberkonferenz auf US-Airbase Ramstein im April sei dazu die Order aus dem Kanzleramt gekommen. SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, wegen der undurchsichtigen Lieferpolitik ohnehin unter Druck, hatte tags zuvor noch die Forderung nach schweren Waffen mit den Worten zurückgewiesen, Panzer-Lieferungen würden das Risiko einer Esklation mit Russland erhöhen.
Die ersten Gepard-Panzer sollen frühestens im Juli an die Ukraine übergeben werden
Dann in Ramstein sagte Lambrecht überraschend zur Gepard-Lieferung in die Kameras der Weltpresse: „Das ist genau das, was die Ukraine jetzt braucht, um den Luftraum zu sichern.“ Doch schon damals war klar, dass es kaum Munition für das Flakgeschütz gab: Die Schweiz hatte Exportbitten Deutschlands längst abgelehnt. Auch sonst kann von „jetzt“ keine Rede sein: Die ersten Gepard- Panzer sollen frühestens im Juli an die Ukraine übergeben werden.
Offen ist bis heute, ob die Ukraine, die über zahlreiche russische Flakpanzer verfügt, den Gepard unbedingt benötigt. Die eigentliche Bitte der Ukraine an Deutschland ist seit Kriegsbeginn bekannt: Das Land will ausgemusterte Schützenpanzer vom Typ Marder und alte Kampfpanzer vom Typ Leopard I. Auch deutsche Rüstungsunternehmen wollen die auf Halde stehenden Gebrauchtkampffahrzeuge seit Kriegsbeginn gerne an die Ukraine verkaufen. Doch die Bundesregierung genehmigt das Geschäft nicht.
Scholz: "Wir machen das, was möglich ist"
Der Spiegel zitiert nun aus Regierungskreisen, der Kanzler wolle, dass Deutschland aus historischen Gründen nicht das erste Land sein dürfe, das Kampfpanzer liefere. Zugleich fürchte man, die Ukraine könne in einer Art Überlegenheitsrausch Russland auf dessen Territorium angreifen und deutsche Panzer stünden auf russischem Gebiet. Offen kommuniziert wird das nicht. Stattdessen sagte Kanzler Scholz im Bundestag: „Wir machen das, was möglich ist.“
Politiker von Grünen und FDP fordern dagegen eine schnellere Lieferung schwerer Waffen. Die Union, die gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen im Bundestag schnellere Lieferungen als Aufforderung an die Regierung mitbeschlossen hat, ist zunehmend verärgert. „Deutschland lässt die Ukraine jeden Tag, an dem dort keine schweren Waffen ankommen, im Stich“, sagt Unionsvizefraktionschef Johann Wadephul unserer Redaktion. „Die Ukraine droht den Kampf um den Donbass zu verlieren“, betont er mit Blick auf die Geländegewinne der russischen Armee. „Es geht um das Leben unschuldiger Menschen, aber auch um die Verteidigung Europas gegen einen imperialen Aggressor“, sagte der CDU-Politiker.
„Der Kanzler muss seine eigentliche Agenda endlich erklären: Lässt er sich von Putins Drohungen einschüchtern, oder will er bewusst dessen Teilerfolg?“, fordert Wadephul. „In Madrid hat man den Ernst der Lage klarer erkannt als in Berlin – eine niederschmetternde Erkenntnis“, fügt er mit Blick auf die spanischen Panzerlieferpläne hinzu. „Wenn Spanien Leopard 2 liefern will, muss die Bundesregierung das schnell ermöglichen“, sagte er. Auch die Koalitionspartner der SPD müssten endlich Flagge zeigen: „Grüne und FDP müssen wissen: Öffentliche Äußerungen in Talkshows ersetzen keine praktische Politik“, betont der CDU-Politiker. „Sie sind voll mitverantwortlich für die Zuschauerrolle, die Deutschland zurzeit faktisch einnimmt.“