Wird Olaf Scholz bei seinem wichtigsten Vorhaben von den eigenen Leuten böse blamiert? Das scheint nicht ausgeschlossen, wenn am Freitag der Bundestag über das Sondervermögen für die Bundeswehr abstimmt. Mit 100 Milliarden Euro die marode Truppe wieder flott machen: Das ist das Kernstück der "Zeitenwende", die der Bundeskanzler nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine verkündet hat. Doch ausgerechnet um die Unterstützung seiner SPD muss er nun bangen. Für den Plan ist nämlich eine Grundgesetzänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig. Dafür genügen die Stimmen der Regierung nicht.
Nach zähen Verhandlungen hatten nun CDU und CSU zugestimmt, die von Scholz geführte Ampel aus SPD, Grünen und FDP zu unterstützen. Umso peinlicher, dass Teile der SPD diese Einigung ablehnen. Denn sie sieht vor, dass die 100 Milliarden Euro ausschließlich für reine Verteidigungsprojekte ausgegeben werden, nicht aber etwa für die Cyberabwehr im zivilen Bereich. Außerdem soll das in der SPD heftig umstrittene Nato-Zwei-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben zumindest im Durchschnitt der kommenden fünf Jahre eingehalten werden.
Roloff: "Verteidigungsfähigkeit mit den Nato-Partnern gemeinsam denken"
Groß sind die Bedenken vor allem auf dem linken Parteiflügel und beim Parteinachwuchs. Sebastian Roloff, Vorsitzender des Forums Demokratische Linke 21, sagte unserer Redaktion: „Ich blicke weiter kritisch auf die Einrichtung des Sondervermögens." Dass die Bundeswehr "nach Jahren der Misswirtschaft nun anständig ausgestattet werden soll und eine Beschaffungsreform durchlaufen wird", sei zwar grundsätzlich richtig, doch: "Ich hätte mir eine breitere Definition der Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit gewünscht. Cyber- und Energiesicherheit sind nur zwei der Punkte, die genauso wichtig für die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Werte sind, wie die Ausrüstung der Bundeswehr."
Roloff, der auch Mitglied im Vorstand der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion ist, sagte weiter: "Vom Festhalten an starren Werten wie den ominösen zwei Prozent halte ich nichts – wichtiger ist doch, dass wir Verteidigungsfähigkeit mit den Nato-Partnern gemeinsam denken und gut zusammenarbeiten.“ Roloff ließ auf Nachfrage offen, ob er bei der Abstimmung am Freitag gegen den Kanzler aus der eigenen Partei stimmen will.
Juso-Chefin lehnt Kompromiss rundweg ab
Bei den Jusos fällt die Ablehnung noch deutlicher aus. Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal kündigte an: "Ich bin nicht bereit, für ein Sondervermögen der Bundeswehr am Grundgesetz herumzudoktern, obwohl der Fehler an ganz anderer Stelle liegt." In einem Gastbeitrag für den Spiegel schreibt sie, sie sei "nicht bereit, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen, weil der Mut für eine echte Reform unserer Haushaltspolitik fehlt".
Das Sondervermögen lehne sie nicht aus Prinzip ab, sondern weil die Umgehung der Schuldenbremse "eine zu kleine Lösung für ein viel größeres Problem" sei. Denn die Demokratie müsse nach außen, aber auch nach innen verteidigt werden, deshalb fordert sie zusätzliche Ausgaben auch in Bereichen wie Bildung, Pflege und Soziales. Finanzieren will Rosenthal das über neue Schulden und eine Erhöhung der Erbschaftssteuer.
Zoff in der SPD-Fraktionssitzung
Bei der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Montag hat das Thema nach übereinstimmender Aussage von Teilnehmerinnen und Teilnehmern hohe Wellen geschlagen. Gerade von jungen und linken Fraktionsmitgliedern sei heftiger Widerspruch gegen das Sondervermögen geäußert worden. Fraktionschef Rolf Mützenich, selbst ein erklärter Gegner von Aufrüstung und Zwei-Prozent-Ziel, habe sich sichtlich in einer Zwickmühle befunden. Gegen eigene Überzeugungen musste er um Unterstützung für den Kanzler trommeln, heißt es. Mützenich betonte, er werde den SPD-Abgeordneten nicht vorgeben, wie sie abzustimmen hätten. Allerdings hoffe er, die SPD werde weitgehend zustimmen.
Beim Ampel-Partner FDP sieht man die Absetzbewegungen vom Sondervermögen mit Sorge. Parteivize Wolfgang Kubicki sagte: "Ich warne die Sozialdemokraten dringend davor, das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Ausstattung der Bundeswehr nicht mit großer Geschlossenheit zu unterstützen." Wer glaube, bei dieser Frage nationaler Sicherheit "aus Gründen der Selbstbespiegelung dem eigenen Kanzler in den Rücken springen zu müssen", der lasse das nötige Verantwortungsbewusstsein einer Regierungspartei vermissen.
Bleibt es bei der Drohung von Friedrich Merz?
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte bereits vor Wochen angedroht, die Union werde dem Regierungslager nur exakt die für eine Zweidrittelmehrheit nötigen Stimmen geben. Abweichende Ampel-Stimmen werde man dagegen nicht kompensieren. Ob es dabei bleibt, ist unklar. Fraktionsvize Middelberg sagte nach der Einigung, die Unionsfraktion werde "mit großer Mehrheit für den Kompromiss" stimmen. Die frühere Drohung von Merz habe sich erübrigt. Merz selbst ließ die Frage offen. "Ich gehe davon aus, dass die Fraktionen SPD, Grüne und FDP geschlossen diesem Votum ihrer Parteiführungen und auch der Bundesregierung folgen. Und dann werden sich alle weiteren Fragen nicht stellen", sagte er.
Tenor in der Union ist allerdings, dass der Kompromiss die eigenen Forderungen weitgehend erfüllt und nun die Grundgesetzänderung auch gelingen müsse. Sollten taktische Manöver aus CDU oder CSU zu einem Scheitern auch nur beitragen, könnte dies das eigene Image beschädigen, fürchten manche. So scheint zwar fast ausgeschlossen, dass die Zweidrittelmehrheit auf der Zielgeraden noch scheitert – denn dafür müssten 150 Abgeordnete aus Ampel oder Union gegen die Grundgesetzänderung stimmen. Klar ist aber auch: Schon einzelne Nein-Stimmen aus der SPD könnten für Kanzler Olaf Scholz höchst peinlich werden. Ziemlich sicher würde ihm die Opposition dann vorwerfen, nicht einmal den eigenen Laden im Griff zu haben.