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Krieg in der Ukraine: Kommt die US-Hilfe zu spät für die Ukraine?

Krieg in der Ukraine

Kommt die US-Hilfe zu spät für die Ukraine?

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    Ukrainische Soldaten der Asow-Brigade ruhen in einem Schützengraben an der Frontlinie in Richtung Kreminna, Region Donezk, aus.
    Ukrainische Soldaten der Asow-Brigade ruhen in einem Schützengraben an der Frontlinie in Richtung Kreminna, Region Donezk, aus. Foto: Alex Babenko, dpa

    Man muss nicht lang zwischen den Zeilen lesen, um die Botschaft zu verstehen, die Wladimir Putin aus dem Moskauer Park Pobedy (Deutsch: Park des Sieges) in Richtung Westen sendet. Deutsche Leopard-2-Kampfpanzer stehen hier neben Marder-Schützenpanzern und amerikanischen Abrams-Panzern. Mehr als 30 "Exponate", unter anderem auch aus Großbritannien, Frankreich und Australien, sind in der Ausstellung zu sehen. Es sind Kriegstrophäen, die russische Einheiten in der Ukraine erbeutet haben. Westliche Militärtechnik, für deren Eroberung die Soldaten vom Kreml hohe Prämien erhalten. „Geschichte wiederholt sich. Unser Sieg ist unausweichlich“, ist die Schau überschrieben. Am 1. Mai wird sie eröffnet.

    Ein nach russischen Angaben in der Ukraine erbeuteter deutscher Leopard-2-Kampfpanzer steht bei einer Schau zu Kriegstrophäen im Park Pobedy (Park des Sieges).
    Ein nach russischen Angaben in der Ukraine erbeuteter deutscher Leopard-2-Kampfpanzer steht bei einer Schau zu Kriegstrophäen im Park Pobedy (Park des Sieges). Foto: Ulf Mauder, dpa

    Von einem Sieg ist Russland zwar auch zwei Jahre nach dem Einmarsch seiner Armee ins Nachbarland weit entfernt. Doch der Druck auf die ukrainischen Militärs nimmt wieder zu. Aus mehreren Dörfern mussten sich die Soldaten von Präsident Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Tagen zurückziehen. „Die Lage an der Front hat sich verschärft“, schrieb der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj am Sonntag auf Facebook. Der Feind greife in mehreren Stoßrichtungen an und habe sich ein Übergewicht an Menschen und Material verschafft. In einigen Bereichen erzielten die Russen „taktische Erfolge“.

    Der Ukraine mangelt es an Soldaten und an Material

    Kommt das in der vergangenen Woche von den USA zugesagte Milliardenpaket für die Ukraine also zu spät? Der Sicherheitsexperte Joachim Krause warnt vor voreiligen Schlüssen. „Der Rückschlag, den die viermonatige Unterbrechung der US-Hilfe mit sich gebracht hat, ist nach Einschätzung von Beobachtern groß, aber nicht so, dass dadurch die Lage der Ukrainer aussichtslos geworden ist“, sagt er. „Die Lage an der Front im Donbass sieht im Augenblick für die Ukraine allerdings nicht gut aus, weil es sowohl an Soldaten wie an Material mangelt.“ Durch die Wiederaufnahme der Waffenlieferungen aus den USA könne sich die Lage verbessern – auch was die Moral der ukrainischen Soldaten betreffe. 

    Schwieriger dürfte es werden, zusätzliche Soldaten zu rekrutieren. Freiwillige melden sich kaum noch für die Front. Erst vor zwei Wochen hat die ukrainische Regierung ein umstrittenes Gesetz erlassen, mit dem Männer im wehrfähigen Alter stärker davon abgehalten werden sollen, sich dem Dienst an der Waffe zu entziehen. Neben Geldstrafen für ignorierte Einberufungen und Musterungsbescheide droht zukünftig auch mit wenigen Ausnahmen der Entzug der Fahrerlaubnis. Bei der ukrainischen Staatsanwaltschaft sind seit Kriegsbeginn mit stark steigender Tendenz über 46.000 Verfahren wegen Desertion und unerlaubtem Entfernen von der Truppe eingeleitet worden. Mehr als ein Viertel davon entfällt auf das erste Quartal 2024. Mehr als 700.000 wehrpflichtige Ukrainer sind zudem allein in der EU als Flüchtlinge registriert. Der Bedarf an neuen Soldatinnen und Soldaten wird für dieses Jahr auf 300.000 Personen geschätzt. 

    Liefert Deutschland doch noch Taurus-Marschflugkörper?

    Die US-Denkfabrik Institut for the Study of War (ISW) warnt auch wegen dieses Problems davor, dass die Russen in den kommenden Wochen bedeutende Gewinne erzielen könnten. An einen kompletten Durchmarsch an der Front glaubt aber auch das ISW vorerst nicht. „Es ist unwahrscheinlich, dass die russischen Streitkräfte in naher Zukunft ein tieferes, operativ bedeutsames Eindringen in das Gebiet erreichen werden“, schreiben die Experten in ihrer Analyse. Die ukrainischen Streitkräfte dürften ein „weiteres Vordringen der Russen nach Westen vorerst bremsen“. Dabei helfen soll ihnen die amerikanische Militärhilfe. Vor allem auf den ATACMS-Raketen ruhen große Hoffnungen. Bislang hatte das Weiße Haus nur ATACMS mit einer gedrosselten Reichweite von 165 Kilometern geliefert – zu groß war die Sorge, dass mit den Geschossen russisches Gebiet angegriffen werden könne. Nun wird gemutmaßt, dass es angesichts der sich zuspitzenden Lage ein taktisches Umdenken gegeben haben könnte und die USA ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern in Richtung Osten geschickt haben – eine offizielle Bestätigung gibt es hierfür nicht. „Die Biden-Administration hat offenkundig begriffen, dass man das Niveau der Rüstungslieferungen qualitativ und quantitativ erhöhen muss, um die russische Aggression zurückzuwerfen“, sagt Sicherheitsexperte Krause. „Das nennt man vorbedachte Eskalation, was beim Bundeskanzler und vielen SPD-Politikern ein Unwort ist.“ 

    Tatsächlich wächst durch das amerikanische Hilfsprogramm auch der Druck auf die Bundesregierung, doch noch Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Unter anderem der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski hatte am Wochenende den Kanzler aufgerufen, umzudenken und sie der Ukraine zu geben. Olaf Scholz betonte erneut, nicht von seiner Haltung abzurücken. Dass er vor der Europawahl im Juni daran rüttelt, gilt als ausgeschlossen. 

    Europa könnte Wegfall der US-Hilfen nicht kompensieren

    Wie wichtig die US-Unterstützung ist, zeigte zuletzt auch wieder der „Ukraine Support Tracker“, mit dem das Institut für Weltwirtschaft in Kiel regelmäßig die Hilfen für Kiew beziffert. „Europa war eindeutig nicht in der Lage, die schwindende US-Hilfe zu ersetzen“, sagt Christoph Trebesch, Leiter des Ukraine Support Trackers. Dies gelte insbesondere bei Munition, da der europäische Verteidigungssektor nur sehr langsam Produktionskapazitäten aufgebaut habe. „Sollten die USA Ende 2024 oder 2025 keine weiteren Unterstützungspakete verabschieden, wird die Ukraine im Jahr 2025 höchstwahrscheinlich mit dem gleichen Versorgungsengpass wie jetzt konfrontiert sein“, mahnt Trebesch. 

    Unterdessen versucht der Kreml die Zeit zu nutzen, bis das amerikanische Hilfsprogramm seine Wirkung entfaltet. „Derzeit versuchen die Russen den Mangel an Luftabwehrfähigkeiten der Ukrainer dazu zu nutzen, um so viel Zerstörung wie möglich bei der Energieversorgung und bei zivilen Zielen hervorzurufen, sodass die Ukrainer zermürbt werden und aufgeben“, sagt Joachim Krause. „Ich habe Probleme, das als Strategie zu bezeichnen. Es ist blanker Staatsterrorismus.“ (mit dpa)

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