Gedrängt wird er von allen Seiten. Experten betonen immer wieder, dass die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern für die Ukraine ein deutlicher militärischer Fortschritt wären. Mitglieder der eigenen Koalition appellieren immer wieder, das weitreichende Waffensystem an Kiew zu übergeben. Und die Opposition setzt Kanzler Olaf Scholz mit wiederkehrenden Abstimmungen unter Druck. Doch der bleibt bei seiner Haltung: einem kategorischen Nein. „Ich bin der Kanzler und deshalb gilt das“, sagte er jüngst. Doch ist das wirklich so? Hat der Kanzler wirklich das letzte Wort? Was wäre, wenn er vom Bundestag überstimmt würde?
Tatsächlich ist eine Abstimmung, wie sie von der Union erzwungen wird, im Fall der Taurus-Raketen wirkungslos und eher ein Instrument, um die Gräben in der Ampelkoalition offenzulegen. Kritiker nennen das Prozedere deshalb „Politiktheater.“ Denn über die Lieferung von Waffen an andere Länder entscheidet nicht der Bundestag, sondern die Bundesregierung. „Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden“, heißt es in Artikel 26 Absatz 2. Dafür wurde eigens der Bundessicherheitsrat eingerichtet, ihm gehören neben dem Kanzler noch die wichtigsten Minister an. Doch das letzte Wort hat der Kanzler.
Der Kanzler hat die sogenannte Richtlinienkompetenz
In Paragraf eins der Geschäftsordnung der Bundesregierung heißt es: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der inneren und äußeren Politik.“ Im Sprachgebrauch ist deshalb von Richtlinienkompetenz die Rede. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in diesem Zusammenhang einmal klargestellt, dass der Kanzler durchaus Einzelfälle bestimmen kann, wenn die „eine derartige politische Bedeutung besitzen, dass sie einer Richtungsentscheidung gleichkommen“. Für die Bundesministerien seien die Richtlinien „grundsätzlich rechtlich verbindlich“.
Ohnehin wäre es unwahrscheinlich, dass ihn wichtige Minister wie Boris Pistorius (Verteidigung) oder Annalena Baerbock (Außenministerium) überstimmen. Die Autorität des Kanzlers wäre so schwer beschädigt, dass die Regierung kaum mehr handlungsfähig sein würde – und auch das eigene Amt gefährdet. Druck machen können sie ihm im Grunde nur, indem sie öffentlich Argumente vortragen, oder besser: vortragen lassen von anderen Parteimitgliedern.
Im Alltag setzt der Kanzler sein Machtwort eher selten ein. Doch auch für Olaf Scholz ist es nicht das erste Mal, dass er von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht. Zuletzt bestimmte er, dass die drei damals noch laufenden deutschen Atomkraftwerke länger in Betrieb sein sollen als eigentlich vorgesehen.