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Krieg in der Ukraine ist nicht nur ein Krieg von Putin

Kommentar

Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur Putins Krieg

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    Ein Schild bei einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine. Zum Gesicht von Wladimir Putin steht dort "Bloody Killer".
    Ein Schild bei einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine. Zum Gesicht von Wladimir Putin steht dort "Bloody Killer". Foto: Mohssen Assanimoghaddam, dpa

    Der Bundeskanzler sagt es. Die EU-Kommissionschefin und der französische Präsident sagen es auch: „Dies ist Wladimir Putins Krieg.“ Der US-Präsident ergänzt: „Putin ist ein mörderischer Diktator.“ Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die Menschen in Russland aus dem Spiel sind. Sie tragen in westlicher Lesart keine Verantwortung für das Gemetzel.

    Die Idee hinter der Formel ist nicht dumm. Der Westen will einen Keil zwischen Putin und seine Gefolgschaft treiben. Wenn sich die gesamte Kriegsschuld im Zweifel dem einen Mann an der Spitze zuweisen lässt, dann erleichtert das jede Form von Widerstand. Dann können sich Generäle oder Geheimdienstler gegen Putin stellen, ohne Mithaftung fürchten zu müssen. Vor allem aber weist das Wort von „Putins Krieg“ in die Zukunft. Es soll den Neuanfang erleichtern, nach dem ersehnten Sturz des Tyrannen. Leider ist die Wahrheit komplizierter.

    Wir haben es mit einem russischen Angriffskrieg zu tun, nicht mit dem Werk eines Einzelnen. Natürlich ist Putin der Mann, der diesen Krieg auf Teufel komm raus erzwungen hat. Aber er handelt nicht im luftleeren Raum. Und es sind auch keineswegs nur Generäle und Geheimdienstler, die ihn unterstützen. Verantwortlich sind alle, die Putins Apparat dienen.

    Krieg in der Ukraine: Wladimir Putin handelt nicht im luftleeren Raum

    Zu den willigen Helfern zählen die Propagandisten in den Staatsmedien, die Hacker und Trolle, Abgeordnete, Gouverneure und Bürgermeisterinnen, Managerinnen und Wissenschaftler, willfährige Richter und Staatsanwältinnen, prügelnde Polizisten und die Folterknechte in den Straflagern.

    Aber auch eine Mehrheit der systemfernen Menschen in Russland unterstützt diesen Krieg. Laut Umfragen liegt die Zustimmung bei mehr als 70 Prozent. Man mag die Zahlen im Detail hinterfragen, aber die Tendenz ist eindeutig. Selbstverständlich spielt dabei die jahrelange Gehirnwäsche der Putinschen Propagandamaschine eine Rolle. Aber gerade in Deutschland sollte bekannt sein, dass dies als Entschuldigung nicht reicht.

    Die Menschen in Russland können wissen

    Wer zur Zeit der NS-Diktatur vom Holocaust und vom Vernichtungskrieg wissen wollte, der konnte wissen, ja der musste wissen. Erst recht gilt das heute, im Internetzeitalter. Trotz aller russischen Twitter- und Facebook-Blockaden. Unter dem Strich erreichen genug Nachrichten die Menschen in Russland, um sie zum Nachdenken und Nachfragen zu zwingen. Sie können wissen. Zumal Putin den Krieg mit martialischen Worten öffentlich erklärt hat. Zuletzt hat er vor Zehntausenden im Luschniki-Stadion einen Sieg versprochen.

    Und dann sind da noch all die Informationen, die Verwandte und Bekannte aus dem „Bruderland“ Ukraine direkt übermitteln. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Landsleute soeben noch einmal eindringlich aufgefordert, alle Kontakte nach Russland zu nutzen, um dort die Wahrheit über diesen Krieg zu verbreiten. Er selbst hat sich mehrfach auf Russisch an die Menschen im Nachbarland gewandt. Und es gibt ja nicht nur eine Bringschuld für Informationen, sondern auch eine Holschuld. Es ist die moralische Pflicht jeder und jedes Einzelnen in Russland, hinzusehen und zu handeln.

    Menschen müssen sich ihrer Verantwortung für den Krieg stellen

    Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es soll hier ausdrücklich nicht einem Russenhass oder idiotischen Cancel-Angriffen auf die russische Kultur das Wort geredet werden. Gerade jetzt sollten wir mit Russen reden, wo immer sich eine Gelegenheit bietet, statt Hassparolen zu verbreiten. Wir sollten erst recht Tolstoi und Dostojewski lesen, auch wenn das Putin-Regime diese und andere grandiose Künstler für seinen menschenverachtenden Chauvinismus missbraucht. Die Werke sprechen doch für sich. Man denke nur an Dostojewskis Mörder Raskolnikow, der sich für ein Genie hält und in seinem Größenwahn glaubt, dass ihm alles erlaubt sei. Er ist ein früher Putin – allerdings mit einem Gewissen.

    Nein, es geht nicht darum, Russland und seine Menschen zu hassen. Es geht darum, sie in die Pflicht zu nehmen. Sie haben es in der Hand, diesen Krieg zu stoppen, und früher oder später werden sie sich dieser Verantwortung für dieses Jahrhundertverbrechen stellen müssen. So wie wir auch, im Westen.

    Alle Informationen zum Konflikt erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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