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Krieg in der Ukraine: Energie aus Russland – seit Adenauer ein unmoralisches Geschäft

Krieg in der Ukraine

Energie aus Russland – seit Adenauer ein unmoralisches Geschäft

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    Zwei Kanzler, die den Öl- und Gashandel mit Russland wesentlich prägten: Konrad Adenauer (2. v. l.) und Willy Brandt.
    Zwei Kanzler, die den Öl- und Gashandel mit Russland wesentlich prägten: Konrad Adenauer (2. v. l.) und Willy Brandt. Foto: Kurt Rohwedder, dpa

    Das Gas aus Russland fließt zu uns, während die Bomben auf die Ukraine fallen. Die Bundesnetzagentur meldet leicht steigende Speicherstände. „Die Gasversorgung ist stabil“, erklärte die Behörde, nachdem es ein rhetorisches Gefecht über die Zahlung in Rubel oder Euro gegeben hatte. Auch die deutschen Raffinerien verarbeiten weiter russisches Öl zu Benzin und Diesel, während die Gewehre rattern. Es kommt über die „Freundschafts-Pipeline“ aus dem Osten, auf Russisch „Druschba“.

    Der Krieg in der Ukraine ist nicht der erste Feldzug, die erste weltpolitische Krise, die das deutsche Energiegeschäft übersteht. Im Jahr 1958 erpresste Sowjetführer Nikita Chruschtschow in der zweiten Berlin-Krise die West-Alliierten und forderte den Abzug der amerikanischen, britischen und französischen Soldaten aus der Frontstadt des Kalten Krieges. Dennoch begannen quasi zeitgleich Unternehmen wie Mannesmann, Ferrostaal und Hoechst Röhren an die Sowjetunion zu liefern. Das rote Imperium setzte an, seine Öl- und Gasvorkommen in Sibirien auszubeuten.

    Historiker Bösch: "Erhard war stark dafür, Adenauer auch"

    Zunächst sollte damit der Ostblock versorgt werden - auch die Brüder und Schwestern in der DDR -, später auch Westdeutschland. Es ging natürlich ums Geschäft. Es ging aber auch darum, über wirtschaftliche Kontakte die noch zarten diplomatischen Beziehungen zu stärken – anderthalb Jahrzehnte nach der deutschen Barbarei in der Sowjetunion und mitten im Ost-West-Konflikt. „Wirtschaftsminister Erhard war stark dafür, Adenauer auch, wenngleich er mehr Rücksicht auf die Amerikaner nahm“, sagt der Historiker Frank Bösch. Er ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und arbeitet zur deutschen Energiepolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Vier Jahre später musste der Alte aus Bonn dem großen Bruder von der anderen Seite des Atlantiks nachgeben. Wegen der Kuba-Krise verlangten die Amerikaner den Stopp des Röhrengeschäfts.

    Seit knapp 60 Jahren sprudelt russisches Öl durch die "Druschba-Röhre".
    Seit knapp 60 Jahren sprudelt russisches Öl durch die "Druschba-Röhre". Foto: Patrick Pleul, dpa

    60 Jahre später muss der Nachfolger Adenauers ebenfalls eine Röhre stoppen. Bundeskanzler Olaf Scholz legte die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis. Lange hatte er sich dagegen gesträubt, der US-Präsident hatte Druck gemacht, die Osteuropäer hatten gefleht. Zwei Tage vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine rang sich Scholz schließlich durch und erklärte die fertige Leitung für tot.

    In den 60er Jahren dauerte es vier Jahre, bis die Nato-Staaten das Röhren-Embargo aufhoben. Außenminister und Kanzler in Lauerstellung Willy Brandt erwärmte sich sehr für die Idee, der Sowjetunion Pipelines nach Sibirien vorzufinanzieren, die dann durch Öl- und Gaslieferungen abgestottert wurden. 1968 walzten sowjetische Panzer den Frühling in Prag nieder. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Westdeutschland störte das nicht nachhaltig.

    Als Brandt schließlich Kanzler wurde und seine heute legendäre Ost-Politik unter dem Rubrum „Wandel durch Annäherung“ erfand, machte der Handel mit der Sowjetunion einen Sprung. „Diese Geschäfte flankierten die Ostpolitik, stützten sie und nahmen natürlich zu, weil die Ostpolitik erfolgreich war“, sagt Frank Bösch. Und dann kam der Ölpreisschock 1973. Die Golfmonarchien drehten dem Westen den Hahn ab. Brandts Strategie, auf Russland zu setzen, erschien goldrichtig. Wie heute lautet das Zauberwort „Diversifizierung“. Weg von den Scheichs, hin zu Großbritannien, Norwegen und der Sowjetunion.

    Kanzler Schmidt waren Arbeitsplätze wichtiger

    Der nächste Prüfstein dieser Wirtschaftsbeziehung zur UdSSR war deren Besetzung Afghanistans Ende der 70er Jahre. Wieder forderten die Amerikaner Sanktionen. Doch die zweite Ölkrise rüttelte gerade die Weltwirtschaft durch und Bundeskanzler Helmut Schmidt waren Arbeitsplätze wichtiger als das Völkerrecht. Westdeutschland begnügte sich mit dem symbolischen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau.

    Leere Autobahnen: Der autofreie Sonntag war eine Reaktion auf die Ölkrise.
    Leere Autobahnen: Der autofreie Sonntag war eine Reaktion auf die Ölkrise. Foto: Klaus Heirler, dpa (Archiv)

    Der östliche Teil Deutschlands hing bei der Versorgung mit Öl und Gas schwer von der Vormacht im eigenen Block ab. 10.000 Arbeiter aus der DDR und einige Studenten bauten in der Ukraine ab Mitte der 70er Jahre eine Erdgastrasse, auch sie hört auf den Namen Druschba. Das Unternehmen hat im Osten heute noch einen legendären Klang. Doch in den 80er Jahren brauchte Moskau dringend Geld, erhöhte die Preise für die sozialistischen Bruderstaaten und lieferte mehr Brennstoffe an die Kapitalisten gegen harte Devisen. Ostberlin war deshalb gezwungen, noch stärker auf die dreckige Braunkohle auszuweichen – mit desaströsen Folgen für die Umwelt in den Revieren. Der Umweltschutz war eine Keimzelle der DDR-Opposition, die schließlich das SED-Regime hinwegfegte.

    Geblieben ist die enge Verflechtung Ost- und Westdeutschlands mit der russischen Erdölindustrie. Der Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine leuchtet die Abhängigkeit in grellem Licht aus. Der Krieg um Kiew hat eine längere Vorgeschichte. Im Jahre 2014 besetzte der russische Präsident die Krim, ließ im Donbass die Kontrolle durch Abspalter übernehmen. Im Jahr danach wurde der Vertrag über den Bau von Nord Stream 2 geschlossen. Die Partei Willy Brandts – die SPD – war Garant und Herold des Projekts, die CDU-Kanzlerin Angela Merkel kämpfte es gegen die Widerstände der Amerikaner und Osteuropäer durch.

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei Scheich Al Thani, Minister für Handel und Industrie  des Emirats Katar.
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei Scheich Al Thani, Minister für Handel und Industrie des Emirats Katar. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

    Und heute, im schalen Gefühl des Erwachens, will Deutschland nur noch weg von Öl, Gas und Kohle aus Russland. Das Zauberwort heißt wieder „Diversifizierung“. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist deshalb nach Norwegen gereist. Und an den Golf zum Emir von Katar. „Die Bundesrepublik hat immer einen regen Handel mit Diktaturen und Autokratien getrieben“, sagt Frank Bösch, wenn er auf die vergangenen Jahrzehnte schaut. Jetzt, mit der von Scholz ausgerufenen Zeitenwende, soll das anders werden. Energiesparen ist Bürgerpflicht und Windräder auf jedem Hügel liefern Freiheitsenergie. Der Historiker aus Potsdam fragt sich, wie lange diese Phase anhält.

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