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Krieg in der Ukraine: Eine Reise dorthin, wo der Krieg den Hunger bringt

Krieg in der Ukraine

Eine Reise dorthin, wo der Krieg den Hunger bringt

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    Immer noch ein Bild der Zerstörung: Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze lässt sich im Hafengebiet der libanesischen Hauptstadt Beirut völlig verwüstete Getreidesilos zeigen.
    Immer noch ein Bild der Zerstörung: Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze lässt sich im Hafengebiet der libanesischen Hauptstadt Beirut völlig verwüstete Getreidesilos zeigen. Foto: Thomas Koehler, picture alliance/photothek

    Der fünfjährige Hawal versucht, Süßigkeiten in den Einkaufskorb zu schmuggeln. Doch Hourya, seine Mutter, bemerkt es und nimmt sie wieder raus. Ihr Budget muss schließlich irgendwie reichen, um die Familie satt zu bekommen, zu der auch noch die achtjährige Rania gehört. Durch den Krieg in der Ukraine sind Millionen Menschen auf der ganzen Welt vom Hunger bedroht. Weil kein Weizen mehr aus diesem wichtigen Anbauland exportiert werden kann, werden Grundnahrungsmittel vielerorts knapp und immer teurer. Auch im Libanon. Und das bekommen, hier in dessen Hauptstadt Beirut, auch Hawal und Hourya zu spüren.

    In das Land mit seinen fünf Millionen Einwohnern im Nahen Osten war Hourya 2012 mit ihrem Mann vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet. Die Lage ist angespannt. Arbeit gibt es kaum und wenn doch, wird sie schlecht bezahlt. Houryas Mann hat einen Hilfsjob weit außerhalb Beiruts gefunden, wo seine Familie lebt. Was er verdient, reicht jedoch längst nicht zum Überleben. Dass Hourya und die Kinder in dem kleinen Supermarkt in einem quirligen Viertel der Stadt einkaufen können, verdanken sie der Unterstützung aus Ländern wie Deutschland.

    "Einen Kühlschrank haben wir nicht, wir könnten uns den Strom auch gar nicht leisten", sagt Hourya

    Ein Beutel mit Freekeh, geröstetem, unreifem Weizen, Tüten mit getrockneten Linsen, Bohnen und Erbsen wandern in ihren Plastikkorb. Dazu Hühnerbrühwürfel und Dosenfleisch. „Einen Kühlschrank haben wir nicht, wir könnten uns den Strom auch gar nicht leisten“, sagt Hourya. Für die Lebensmittel dagegen kann sie mit einer Plastikkarte bezahlen, auf die ihr das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) rund 130 US-Dollar im Monat überweist.

    Mit Hourya und ihren Kindern befindet sich an diesem Morgen eine aufmerksame Beobachterin aus Deutschland mit im Laden. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze ist gekommen, um sich über die Lage im Libanon zu informieren. Besonders interessiert sich die SPD-Politikerin für die Geldkarten, denn die könnten helfen, eines der größten Probleme der Entwicklungshilfe zu lösen, die Frage: Wie kann verhindert werden, dass Unterstützung in den Taschen korrupter Funktionäre statt bei Bedürftigen landet? Im Libanon sind Bestechlichkeit und Misswirtschaft weitverbreitet, mit Direktzahlungen an staatliche Stellen halten sich die Geber daher zurück.

    „Wie hat sich das System denn bewährt?“, will Schulze von Vertretern des WFP wissen, die mitgekommen sind. Sie ziehen eine positive Bilanz: Missbrauch sei fast ausgeschlossen, weil eine Barauszahlung nicht möglich sei. Nur Lebensmittel, nicht aber Alkohol oder Zigaretten seien bei den rund 400 Vertragsgeschäften zu erhalten. Über die Kontoauszüge würden Unregelmäßigkeiten schnell auffallen. Weil die Karten auf Basis von US-Dollars funktionierten, werde die galoppierende Inflation der Landeswährung umgangen. So viel zu den Vorteilen. Doch das WFP weist auch darauf hin, dass durch den Ukraine-Krieg für einen Dollar immer weniger Essen zu bekommen ist. Und: Um die Geldkarten zu befüllen, braucht das WFP Geld. Viele Geberländer allerdings denken angesichts der eigenen Probleme mit den Kriegsfolgen eher über Kürzungen nach.

    Am Hafen von Beirut stehen die Reste gewaltiger Getreidesilos zwischen Schutt und Müll

    Wenige Kilometer entfernt, am Hafen von Beirut, stehen die Reste gewaltiger Getreidesilos zwischen Schutt und Müll. Hier waren 2020 gewaltige Massen unsachgemäß gelagerter Düngemittel explodiert, bei der Detonation kamen 218 Menschen ums Leben, hunderte wurden verletzt und weite Teile der angrenzenden Stadtteile verwüstet. Noch immer ist der Unglücksort von geborstenen Überseecontainern bedeckt, es riecht süßlich nach Verwesung.

    Vom Chef der Hafenbehörde erfährt Svenja Schulze, dass seit der Katastrophe die Möglichkeiten des Libanon, Getreide zu entladen und zu lagern, stark eingeschränkt sind. Die Vorräte gingen zur Neige. Beirut, einst als Paris des Nahen Ostens bekannt, ist nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs, der Unruhen und der politischen Instabilität ein Schatten seiner selbst.

    Nur noch stellenweise schimmern der alte Glanz und der neue, großteils aus den Golfstaaten stammende Reichtum durch. Im mondänen Jachthafen ankern viele Millionen Dollar teure Oligarchen-Boote. Luxuswohnungen in gläsernen Hochhäusern mit Meerblick werden auf Plakaten feilgeboten. Die feine Gesellschaft der Stadt fährt in deutschen Luxuslimousinen zu Restaurants an der Strandpromenade, wo bei Falafel, gerösteten Auberginen, Reis mit Rindfleisch und Teigtaschen mit Schafskäsefüllung Iftar gefeiert wird, das traditionelle Fastenbrechen nach Sonnenuntergang im Ramadan.

    Die Liebe zum Essen eint die zersplitterte libanesische Gesellschaft

    Die Liebe zum Essen zählt zu den wenigen Punkten, in denen sich die entlang religiöser, familiärer oder politischer Linien zersplitterte Gesellschaft einig ist. Doch die gehäuft auftretenden Krisen, von den Flüchtlingsströmen über Corona bis zum Ukraine-Krieg, verstärken einander in rasendem Tempo. Die Armut nimmt zu und für immer mehr Menschen bedeutet das laut WFP: weniger Mahlzeiten, kleinere Portionen, weniger Fleisch und frisches Gemüse. Am Ende besteht die Ernährung fast nur noch aus Brot, das staatlich subventioniert wird. Noch. Denn die Zuschüsse werden für die Regierung immer teurer. Fallen sie weg, könnten Hungeraufstände drohen, warnen Experten.

    Bei der Explosion am Hafen war auch die Bäckerei Banbaijan im christlichen Teil Beiruts zerstört worden, mit deutscher Hilfe konnte sie wieder instand gesetzt werden. Doch wie Chadija Banbaijan, die Chefin des seit mehr als 80 Jahren bestehenden Familienbetriebs berichtet, geht es jetzt abermals um die nackte Existenz: „Das Mehl wird täglich teurer, unsere Vorräte sind aufgebraucht und den Brennstoff für den Ofen können wir uns auch kaum mehr leisten.“ Die steigenden Rohstoffpreise könne sie nicht so einfach an die Kunden weitergeben, viele von ihnen, gerade ältere, könnten sich sonst gar nichts mehr kaufen, sagt sie. Verdienen tue sie schon lange nichts mehr.

    Irgendwann landet jedes Gespräch hier bei den „verrückten Lebensmittelpreisen“ und bei der Angst vor Unruhen, die nach den im Mai anstehenden Wahlen ausbrechen könnten. Svenja Schulze scheint beeindruckt von der Tatkraft der Bäckersfamilie. Sie verspricht, dass Deutschland weiter die Hilfsorganisationen und damit auch die Menschen im Libanon unterstützen werde.

    Noch schwieriger als im Libanon ist die Lage in Afrika

    Noch schwieriger als im Libanon ist die Lage in Afrika, darum ist die Ministerin nach Addis Abeba weitergeflogen. In der äthiopischen Hauptstadt hat die

    „Wir haben vereinbart, dass wir sofort in weitere Gespräche über die Umsetzung gehen“, sagt sie später, und dass bei den Gesprächen deutlich geworden sei, dass Russland offenbar über seine Propaganda-Maschinerie in Afrika ein folgenschweres Gerücht gestreut habe: Das Gerücht, die gestiegenen Lebensmittelpreise seien eine direkte Folge der westlichen Sanktionen gegen das Putin-Regime. Nicht nur in den von Hunger bedrohten Bevölkerungen habe sich diese Mär schnell verbreitet, sie wirke bis in höchste Regierungskreise hinein.

    Dabei handelt es sich bei der Behauptung, die Sanktionen gegen Russland sorgten für Lebensmittelknappheit, um eine völlige Verdrehung der Tatsachen. „Nahrungsmittel, Medikamente und andere lebenswichtige Güter sind ausdrücklich von den Sanktionen ausgenommen“, betont Schulze.

    Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze: "Ziel muss sein, Millionen Menschen vor dem Hungertod zu bewahren."
    Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze: "Ziel muss sein, Millionen Menschen vor dem Hungertod zu bewahren." Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Unisono bestätigen Vertreter von Hilfsorganisationen: Nicht die Maßnahmen, mit denen viele Länder auf Putins Angriff auf die Ukraine reagierten, treiben die Preise hoch. Vielmehr seien bei den Attacken in der Ukraine gezielt Getreidelager, Traktoren, Verladestationen und Häfen beschossen worden, um einen Eckpfeiler der wirtschaftlichen Basis des Landes zu zerstören. Russische Kriegsschiffe und Atom-U-Boote im Schwarzen Meer verhindern zudem die Ausfuhr aus ukrainischen Häfen, so dass riesige Mengen an Getreide in den Silos zu verderben drohen.

    Der Krieg in der Ukraine zieht zerstörerische Kreise. Er gefährdet weltweit Menschen, die jetzt schon in elenden Verhältnissen leben. Wie die Familien, die in einer Art Schlucht in einer Armensiedlung von Addis Abeba hausen. Hütten aus Wellblech, Lehm und Plastikplanen drücken sich an einen Hang, unten verläuft ein Bach, dessen Ufer von Plastikmüll übersät ist. Auf der Ebene darüber vermodern die Skelette nie fertig gestellter Betonhochhäuser. Sie sollten einmal die neue Heimat der Slumbewohner werden, mit fließend Wasser und Toiletten. Doch der Regierung ging das Geld aus – oder es versickerte in dunklen Kanälen.

    Schulze: "Es gibt genügend Lebensmittel auf der Welt."

    Dennoch verwandelt sich die Schlucht allmählich in eine Art innerstädtischen Gemüsegarten. Auf kleinen, mit Bruchsteinen befestigten Terrassen wachsen Mangold, Salat und Kräuter. Frauen und Männer in gelben Signalwesten hacken die Beete. Sie werden mit internationaler Hilfe bezahlt. Fast eine Million Menschen, erklärt ein Vertreter des Bürgermeisters, befinden sich im ganzen Land in solchen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Weniger abhängig werden von Lebensmitteleinfuhren, das sei das Ziel. Gefördert werde, sagt er noch, auch der Anbau von traditionellem Getreide, das mit weniger Wasser auskomme. Es sei durch billige Weizenimporte fast verdrängt worden.

    Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze sagt: „Es gibt genügend Lebensmittel auf der Welt. Es geht darum, sie zu den Menschen zu bringen.“ Um die schlimmen, weltweiten Folgen von Putins Angriff abzumildern aber benötige sie die Unterstützung des Bundestags, der kommende Woche einer Erhöhung des Entwicklungsetats um eine Milliarde Euro zustimmen muss.

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