Vor fast einem Jahr ist der Flughafen Tegel endgültig vom Netz gegangen – doch von Dornröschenschlaf keine Spur. In der Krise werden seine Gebäude zum Zufluchtsort für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Am Sonntag wurde hier ein Ankunftszentrum für Flüchtlinge eröffnet, hier sollen die Menschen registriert und dann weitergeleitet werden. Bis zu 10.000 Flüchtlinge aus der Ukraine können hier täglich versorgt werden. Unterdessen wird die Debatte darüber, wie Deutschland den Zustrom bewältigen will, immer dringlicher.
Der Deutsche Städtetag appelliert an den Bund, dass die Kommunen, die sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hätten, dringend Entlastung bräuchten. Dies sei, so Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy, nur zu erreichen „durch eine wirksame Steuerung, die Bund und Ländern immer noch nicht gelungen ist“.
Es dürfe nicht sein, dass Großstädte an Verkehrsknotenpunkten eine ganz außergewöhnliche Herausforderung zu stemmen hätten, während in anderen Kommunen Kapazitäten frei seien oder geschaffen werden könnten. „Wir müssen solche Schieflagen schnell beheben, um den Flüchtlingen überall wirksam helfen zu können“, fordert Dedy. So sieht das auch die Opposition im Bundestag. „Die Bundesregierung hat das offensichtlich unterschätzt. Wir müssen doch wissen, wer kommt“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz in einem Interview mit dem Tagesspiegel.
Tatsächliche Zahl der Flüchtlinge ist nicht bekannt
Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine wurden 218.301 Kriegsflüchtlinge von der Bundespolizei registriert – das ist allerdings nur ein Teil der tatsächlich eingereisten Menschen, da sich Ukrainerinnen und Ukrainer 90 Tage frei in Deutschland bewegen können, ohne sich bei den Behörden zu melden. Erfasst werden nur Geflüchtete, die von der Bundespolizei angetroffen werden, etwa an der österreichisch-bayerischen Grenze, an Bahnhöfen oder in Zügen. Gleichwohl sind Länder wie Polen weit stärker unter Druck. Von 1,9 Millionen Flüchtlingen ist dort die Rede.
Bundesfinanzminister Christian Lindner will sich daher auch für eine europäische Lösung starkmachen. „Unser nordrhein-westfälischer Flüchtlingsminister Joachim Stamp hat ja bereits vorgeschlagen, dass wir uns direkt beteiligen an der Evakuierung von Flüchtlingen aus Polen“, sagt er unserer Redaktion. „Wir tragen unseren Teil der Verantwortung und werden Menschen Schutz bieten. Ich halte das für richtig.“ Auch in Ländern wie Italien, Spanien, Kanada oder Israel lebten schon jetzt viele Ukrainer. „Hier können wir helfen, Menschen zusammenzuführen, wenn sie das wollen“, sagt der Minister.
Frauen, die aus der Ukraine fliehen, haben Schlimmes erlebt
Entwicklungsministerin Svenja Schulze will vor allem die vielen ankommenden Frauen und Kinder besser schützen. „Diese Frauen haben oft Schlimmes erlebt und stehen jetzt in einem fremden Land vor Fragen, auf die sich keine von ihnen vorbereiten konnte“, sagt Schulze unserer Redaktion. Niemand wisse, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln werden. „Aber ich kann mir gut vorstellen, dass eine Vernetzung dieser Frauen auf der Flucht und eine gezielte Unterstützung ihnen auch langfristig helfen können“, sagt die Ministerin. „Darum werden wir das Aktionsnetzwerk Frauen auf der Flucht auch für Frauen und Mädchen aus der Ukraine öffnen und Fördermittel für Hilfsprojekte von Frauenorganisationen bereitstellen.“
Die Idee sei, sich gegenseitig beizustehen, gemeinsam zu lernen und den Interessen der Frauen auf der Flucht Gehör zu verschaffen. 500.000 Euro werden im Rahmen des Netzwerkes kurzfristig bereitgestellt und finanzieren Nothilfemaßnahmen lokaler Fraueninitiativen.
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