Deutschland kauft bis zu 35 Exemplare des Kampfflugzeugs, das als modernstes der Welt gilt: Die F-35-Maschinen des US-amerikanischen Herstellers Lockheed Martin sollen die betagten Tornados ablösen und auch in der Lage sein, im Rahmen der "Nuklearen Teilhabe" Atombomben abzuwerfen. Wegen ihrer Form und speziellen Beschichtung können die Jets vom feindlichen Radar nur schwer geortet werden. Das sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Montag in Berlin. "Es war wichtig, dass die Lösung jetzt schnell getroffen wird", sagte sie. Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Entscheidung erzwungen. Zuvor war jahrelang über den Ersatz der Tornados gestritten worden.
Doch für die Bundeswehr gibt es viele weitere Baustellen. Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD), die an diesem Dienstag ihren Jahresbericht vorstellt, hatte kürzlich gegenüber unserer Redaktion gemahnt, dass es der Truppe selbst an warmer Unterwäsche und Winterjacken fehlt. Über Jahrzehnte war die Bundeswehr regelrecht kaputt- gespart worden. Nun, unter dem Eindruck der russischen Invasion in der Ukraine, hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein "Sondervermögen" von 100 Milliarden Euro für die Ertüchtigung der Bundeswehr angekündigt und deutlich höhere jährliche Verteidigungsausgaben in Aussicht gestellt.
Doch dass mangelnde Mittel nicht immer das größte Hindernis bei Rüstungsprojekten sind, zeigt sich exemplarisch bei der Kür des Tornado-Nachfolgers. Marcus Faber, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagte unserer Redaktion: "Diese Entscheidung ist erfreulich, ich fordere schon seit Jahren, dass Deutschland die F-35-Flugzeuge beschafft. Das ist ein lange, lange überfälliger Schritt." Der Wehrexperte weiter: "Zusammen mit dem Eurofighter wird diese Maschine einen wichtigen Beitrag für die künftige Verteidigungsfähigkeit unserer Republik leisten, für unsere Luftstreitkräfte ist das ein echter Meilenstein." Die F-35 garantiere zudem die "Interoperabilität", das heißt die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit den vielen Partnern, die sich ebenfalls für diese Maschine entschieden haben. Darunter sind laut Faber etwa die Briten, Italien, Belgien oder die Niederlande. Die Schweiz und Finnland als neutrale Staaten hatten sich zuletzt ebenfalls für die F-35 entschieden.
F-35 steht für Nukleare Teilhabe
Für die künftige Landesverteidigung spielt die F-35 eine herausragende Rolle. Denn sie steht für ein Konzept, das bis vor kurzem noch wirkte wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg, aus dem es ja auch stammt: Die Nukleare Teilhabe. Im Angesicht der Bedrohung durch die damalige Sowjetunion, wie das heutige Russland eine hochgerüstete Atommacht, sollten Nato-Partner ohne eigene Atomwaffen im Ernstfall Zugriff auf die US-amerikanischen Bomben bekommen. Anders als Frankreich und Großbritannien verfügt Deutschland selbst über keine eigenen Atomwaffen, ist aber dennoch in die nukleare Abschreckung des Bündnisses eingebunden. Ein möglicher Einsatz ist nur im Rahmen der Nato-Kommandostrukturen möglich, die US-Regierung allein verfügt über die Codes, um die Bomben scharfzustellen, die Partnerländer haben zudem ein Vetorecht gegen deren Verwendung.
Bestätigt wurde es zwar nie, doch als eine Art offenes Geheimnis gilt, dass auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel 20 thermonukleare B61-Gravitationsbomben der US-amerikanischen Armee lagern sollen. Für deren Transport im Ernstfall sind bislang die Tornados der Luftwaffe vorgesehen. Doch die nähern sich nach rund 40 Jahren ihrer Ausmusterung. Schon seit geraumer Zeit läuft die Suche nach einem Nachfolger, und die Auswahl hat nicht nur mit technischen Daten wie Reichweite und Fluggeschwindigkeit oder auch den Kosten zu tun. Sie ist auch politisch höchst brisant. Auf den ersten Blick naheliegend wäre, auf den Eurofighter zu setzen, den die Deutschen ja gemeinsam mit Briten, Italienern und Spaniern bauen. Doch der ist als Trägerflugzeug für die US-Bomben nicht zertifiziert und eine solche Zulassung gilt als schwierig, weil die gesamte Technik dem US-Verteidigungsministerium offengelegt werden müsste.
Deutschland hatte sich zunächst gegen die F-35 entschieden
Zusammen mit Frankreich plant Deutschland zudem einen Kampfjet der nächsten Generation – das Future Combat Air System (FCAS), doch erst 2027 soll erstmals ein Prototyp abheben. Das Projekt käme also wohl zu spät, denn für den Tornado soll spätestens 2030 Schluss sein. Wohl auch auf Druck der Franzosen, die angeblich eine Gefährdung des gemeinsamen FCAS-Fliegers fürchteten, hatte Deutschland sich zunächst gegen die F-35 entschieden. Lambrecht betonte nun, dass Deutschland weiter zusammen mit Frankreich den FCAS entwickeln werde. Der Eurofighter solle zudem für die elektronische Verteidigung ertüchtigt werden. Vom Tisch ist dagegen ein anderer Plan: Als eine Art Brückenlösung für die nukleare Teilhabe favorisierte das Bundesverteidigungsministerium zwischenzeitlich das Kampfflugzeug F/A-18 des US-Herstellers Boeing. Die "Super Hornet" gilt aber als weniger modern, verfügt etwa nicht über die Tarnkappen-Technologie der F-35 und wurde bislang ebenfalls noch nicht für die Atomwaffen-Flüge freigegeben.
Der Druck der Ereignisse in der Ukraine hat die Entscheidung nun massiv beschleunigt. Ausschlag für den F-35 gibt neben seinen wehrtechnischen Vorzügen schlicht auch seine Verfügbarkeit auf dem Markt. Er muss nicht erst entwickelt werden, sondern ist je nach Ausstattung ab etwa 100 Millionen Euro pro Stück zu haben. Lambrecht hat angekündigt, bei der Modernisierung der Truppe auf Tempo zu setzen, auf überteuerte "Goldrand-Lösungen" zu verzichten, die zu teuer sind und zu lange dauern. Zudem solle das Beschaffungswesen gründlich entschlackt werden.
Airbus: Gehen davon aus, dass Großteil der Tornados durch Eurofighter ersetzt wird
Was die F-35-Entscheidung der Bundesregierung für Airbus und den Standort in Manching bedeutet, blieb am Montag Interpretationssache. Vor den Toren Ingolstadts werden unter anderem die Eurofighter gewartet und endmontiert.
Airbus deutete auf Anfrage die Nachricht mit Blick auf die 15 Eurofighter, die zunächst und auch gekauft werden sollen, nach Angaben eines Sprechers so: "Eine solche Entscheidung wäre für die technische Weiterentwicklung des Eurofighter, der bis 2060 das Hauptwaffensystem der Luftwaffe bildet, von hoher Bedeutung." Denn es geht in der Summe ja um 90 zu ersetzende Tornados. Entsprechend sieht man bei Airbus, dass der Eurofighter weiter als deutsche Haupt-Technologiebrücke zum multinationalen Luftkampfsystem der Zukunft (FCAS) dient, "um auf Augenhöhe mit den zukünftigen Partnern zu sein". Ein Sprecher sagte: "Deshalb gehen wir davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Tornadoflotte, die derzeit hauptsächlich als Jagdbomber eingesetzt wird, mit technologisch weiterentwickelten Eurofightern ersetzt wird. Aus operationeller, technologischer und finanzieller Perspektive wäre eine solche Entscheidung langfristig die beste Wahl für die Wahrung deutscher Interessen."
Der Ingolstädter Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl (CSU), seit Jahren Mitglied im Verteidigungsausschuss, glaubt nicht, dass der Kauf von amerikanischen F-35 Flugzeugen im deutschen und europäischen Interesse ist. Brandl begründet das so: "Wir dürfen die Fähigkeit, souverän Kampfflugzeuge in Europa zu bauen, nicht verlieren. Wir haben uns in der Großen Koalition deshalb bewusst gegen die F-35 entschieden und stattdessen gemeinsam mit Frankreich das Vorhaben FCAS auf den Weg gebracht." Die Ampel, so seine Einschätzung entgegen der Aussage der Verteidigungsministerin, verabschiede sich gerade still und leise davon. Im Koalitionsvertrag werde es mit keiner Silbe mehr erwähnt.
Würde der am Standort Manching mit großen Hoffnungen verbundene Superflieger FCAS doch Realität, könnte man sich ein bemanntes Mehrzweckkampfflugzeug vorstellen, das von einem Drohnenschwarm begleitet wird, sogenannten "remote carriers". Sogar Satelliten kann FCAS steuern. Wichtigstes Element des gesamten Systems ist eine "Air Combat Cloud", die mit Künstlicher Intelligenz sehr viele Daten sehr schnell verarbeiten kann. Ein künftiger Missionskommandeur bekommt dabei alle Informationen in Echtzeit zur Verfügung gestellt.
Ob es so weit kommt, muss nun abgewartet werden. Mit Blick auf den für Manching ebenfalls so wichtigen Eurofighter sagt Brandl: "Die Ankündigung, den Eurofighter für den elektronischen Kampf auszurüsten, ist nicht neu, sondern war bereits fest geplant. Viel entscheidender ist die Frage, ob die Ampel noch zu unserem Plan steht, nicht nur die 15, sondern insgesamt 55 weitere Eurofighter zu beschaffen. Davon höre und lese ich nichts. Das macht mir, auch mit Blick auf Manching, große Sorgen."
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