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Krieg in der Ukraine: Der Praxistest für den Getreidedeal läuft

Krieg in der Ukraine

Der Praxistest für den Getreidedeal läuft

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    Der unter der Flagge Sierra Leones fahrende Frachter „Razoni“ hat Odessa verlassen.
    Der unter der Flagge Sierra Leones fahrende Frachter „Razoni“ hat Odessa verlassen. Foto: Michael Shtekel, dpa

    Laut und lange tönt das Schiffshorn der „Razoni“, als sie am Montagmorgen von der Kaimauer im Hafen von Odessa ablegt. Der Frachter unter der Flagge von Sierra Leone sei das erste Schiff, das seit Kriegsbeginn aus Odessa auslaufe, erklärte der ukrainische Infrastruktur-Minister Oleksandr Kubrakow, der ein Video von der Abfahrt auf Twitter veröffentlichte. Die Fahrt der „Razoni“ mit 26.000 Tonnen Mais für Abnehmer im Libanon ist die erste Bewährungsprobe der Istanbuler Getreide-Vereinbarung von Türkei, UNO, Russland und Ukraine. Mehr als ein Dutzend weitere Schiffe sollen in den kommenden Tagen folgen – wenn alles gut geht.

    Kubrakow, der den Istanbuler Vertrag am 22. Juli für die Ukraine unterzeichnet hatte, nannte die Reise der „Razoni“ einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Weil der Krieg bisher den Export von Getreide aus der Ukraine verhinderte und die Preise auf dem Weltmarkt in die Höhe trieb, kämpfen Länder wie der Libanon mit Versorgungsengpässen. Die Istanbuler Vereinbarung soll garantieren, dass genug Getreide zu den Abnehmern kommt. Die „Razoni“ nahm Kurs nach Süden in Richtung Istanbul, wo sie an diesem Dienstag erwartet wird. Vorher muss sie den Minengürtel passieren, mit dem sich die Ukraine vor Angriffen der russischen Marine auf die Küste bei Odessa schützt.

    Noch mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide liegen in den Lagern in der Ukraine

    Vertreter der vier Vertragsparteien, die in Istanbul in einem gemeinsamen Koordinierungszentrum zusammenarbeiten, sollen das Schiff vor der Einfahrt in den Bosporus überprüfen, bevor es ins Mittelmeer weiterfahren darf. Frachter, die in umgekehrter Richtung in die Ukraine unterwegs sind, um Ladung aufzunehmen, werden ebenfalls in Istanbul kontrolliert; Russland will damit sicherstellen, dass keine Waffen transportiert werden. Neben dem Hafen von Odessa sind die Häfen der Städte Tschornomorsk und Piwdennyj für die Transporte vorgesehen. Nach ukrainischen Angaben warten 17 Frachter mit zusammen mehr als einer halben Million Tonnen Ladung an Bord auf die Genehmigung zum Auslaufen.

    In der Ukraine, einem der wichtigsten Getreidelieferanten der Welt, lagern mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide der letztjährigen Ernte, die bisher nicht exportiert werden konnten. Außerdem haben ukrainische Bauern nach Angaben von Minister Kubrakow bereits mehr als sechs Millionen Tonnen der neuen Ernte eingebracht. Für die Ukraine sind die Exporte lebenswichtig. Kubrakow schätzt, dass sein Land mit Exporten per Schiff rund eine Milliarde Dollar an Devisen einnehmen kann.

    Russland setzt seine Angriffe auf Odessa fort

    Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte zur Abfahrt der „Razoni“, er hoffe über die Getreide-Vereinbarung hinaus auf einen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden zwischen Russland und der Ukraine. Auch die russische Regierung begrüßte den Beginn der ukrainischen Exporte als „sehr positiv“. Trotz der optimistischen Kommentare der Istanbuler Vertragspartner gibt es viele Unwägbarkeiten.

    Nur einen Tag nach Unterzeichnung des Abkommens hatte Russland den Hafen von Odessa angegriffen; am Sonntag hat der Stadtrat von Odessa unter Berufung auf das Kommando Süd der ukrainischen Armee neuen Beschuss gemeldet: Zwei russische Raketen vom Typ „Iskander“ seien von der von Russland annektierten Halbinsel Krim aus abgeschossen worden. Zu möglichen Opfern wurden keine Angaben gemacht. Moskau äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen. Ebenfalls am Sonntag trafen russische Raketen die Hafenstadt Mykolajiw. In der südukrainischen Stadt ist durch den russischen Beschuss auch der Besitzer eines der größten ukrainischen Unternehmen im Getreidehandel getötet worden. „In der Nacht kamen der Held der Ukraine und Generaldirektor von Nibulon, Olexij Wadaturskyj, und seine Frau Rajissa infolge von Beschuss tragisch ums Leben“, schrieb der Gebietsgouverneur, Witalij Kim, am Sonntag auf Telegram.

    Das Misstrauen gegen Russland bleibt

    Wadaturskyj wurde 74 Jahre alt. Sein Vermögen wurde zuletzt auf umgerechnet über 400 Millionen Euro geschätzt. Der Bürgermeister der Großstadt, Olexander Sjenkewytsch, bezeichnete den nächtlichen Beschuss bei Telegram als „wahrscheinlich den stärksten“ seit Kriegsausbruch. Drei weitere Zivilisten seien verletzt worden. In der Schiffsbauerstadt soll noch etwa die Hälfte der einst knapp 500.000 Einwohner ausharren.

    Wie verlässlich die Schiffspassage durch den Minengürtel funktioniert, wird vor diesem Hintergrund erst nach der Fahrt der „Razoni“ klar sein – wenn überhaupt. Die unsichere Lage verteuert die Versicherungsprämien für Frachter, die Getreide aus der Ukraine bringen. Die Reise der „Razoni“ ist also in vielerlei Hinsicht eine Testfahrt und wird mit Drohnen und Satelliten beobachtet. Der Erfolg der Istanbuler Vereinbarung hängt auch davon ab, ob Moskau seine Interessen gewahrt sieht. Russland hatte in Istanbul zusätzlich zu der Getreide-Vereinbarung ein eigenes Abkommen mit der UNO unterzeichnet. Es soll sicherstellen, dass der Seetransport von russischem Getreide, Dünger und Grundstoffen für die Dünger-Herstellung nicht durch indirekte Folgen westlicher Sanktionen aufgehalten wird. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar sagte dazu am Montag, sein Land sei bereit, auch beim Export der russischen Güter zu helfen.

    Zu hundert Prozent will sich die Ukraine nicht auf den Istanbuler Getreide-Deal verlassen. Russland habe „das letzte Wort“, sagte Minister Kubrakow der Zeitung Kyiv Post. Wenn es Probleme geben sollte, werde auf „Plan B“ umgestellt: Dann sollen Exporte über die Donau und per Eisenbahn verstärkt werden. Allerdings könnte die Ukraine damit bei weitem nicht so viel Getreide exportieren.

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