Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wünschte zwar allen Abgeordneten im Plenarsaal „einen wunderschönen Tag“, doch für den Kanzler traf das erkennbar nicht zu. Mit ernster Miene trat Olaf Scholz an das Mikrofon, um in seiner ersten öffentlichen Reaktion zu erklären, warum Deutschland nun doch Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefert. Leicht ist ihm, das wurde in der folgenden Regierungsbefragung deutlich, die Entscheidung nicht gefallen.
Bevor er das Reichstagsgebäude betrat, hatte Scholz zunächst das Kabinett informiert. Zwei Bataillone mit Leopard-2-Panzern will er „rasch“ für die Ukraine zusammenstellen. Deutschland liefert dazu aus Bundeswehrbeständen zunächst 14 Leopard-2-A6-Panzer. In drei bis vier Monaten könnte es soweit sein. Andere Nato-Staaten steuern weitere Leopard-2-Panzer bei. Die Ausbildung der ukrainischen Besatzungen soll in Deutschland zügig beginnen. Zu dem Paket werden neben der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland auch Logistik, Munition und Wartung der Systeme. Seine Entscheidung teilte Scholz anschließend in einem Telefonat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit.
Scholz verweist auf Absprachen mit Verbündeten
Als sich Scholz im Bundestag erklärt, verweist er immer wieder darauf, dass die Regierung nicht im politischen Vakuum agiert. „Alle diese Entscheidungen haben wir im Einklang und in enger Kooperation mit unseren Verbündeten getroffen“, sagt der SPD-Politiker. Er wiederholt das in anderen Worten immer wieder, es soll dies auch ein Signal an Moskau sein, dass Russland es nicht mit einem, sondern mit vielen Gegner zu tun hat.
Das Ringen um die Panzer-Entscheidung, sagen Leute, die mit den Vorgängen vertraut sind, hat Scholz keineswegs einsam mit sich selbst an seinem Schreibtisch im Kanzleramt ausgetragen. Zwar zeichnete sich bereits seit Wochen ab, dass der Druck auf Dauer zu groß sein würde, um der Ukraine den Leopard 2 zu verweigern. Bereits die Entscheidung zur Lieferung des Schützenpanzers Marder hatte den Weg ja vorgezeichnet: Aus wehrtechnisch-taktischer Sicht machen beide Waffensysteme nur gemeinsam Sinn. Doch der Leo, das Glanzstück der deutschen Rüstungsindustrie, ist buchstäblich von anderem Kaliber. Auch symbolisch bedeutet seine Lieferung für viele in der SPD eine rote Linie.
Wie Fraktionschef Rolf Mützenich, der immer wieder pazifistische Positionen in die Debatte einbrachte, denken viele in der Partei: Eine Lieferung schwerer Waffen, die gegen Soldaten aus Russland eingesetzt werden, bedroht ihrer Meinung nach als das Erbe von Willy Brandt, der für eine Politik der Entspannung gegenüber der Sowjetunion eingetreten war. Wobei andere, etwa Parteichef Lars Klingbeil oder Außenpolitiker Michael Roth, immer wieder daran erinnerten, dass Brandt eben nur eine Hand zum Dialog ausgestreckt hatte. Die andere hielt er, wohlweislich abwehrbereit zur Faust geballt. Es war Brandt, unter dem die Bundesrepublik den Anteil der Rüstungsausgaben an der Wirtschaftsleistung erhöhte, der die Einbettung in das Nato-Bündnis stärkte und seine Ostpolitik eng mit den USA als wichtigstem Partner abstimmte. In dieser Tradition stand auch Helmut Schmidt, der auch gegen den Widerstand aus seiner SPD den Nato-Doppelbeschluss durchsetzte, der die Aufstellung neuer US-Atomraketen nach sich zog.
Die SPD bricht mit bisherigen Dogmen
Die Haltung, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs praktisch zum Dogma wurde, spiegelt sich noch im Programm zur Bundestagswahl 2021 in dem Satz „Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“ Der russische Einmarsch in der Ukraine hat auch die außenpolitischen Gewissheiten der SPD in Trümmer gelegt, nach denen von Russland keine Gefahr mehr ausgehe und mehr Handel auch einen Wandel hin zu demokratischer Rechtsstaatlichkeit fördern werde. An der sogenannten "Russland-Connection" um Putin-Freund und Ex-Kanzler Gerhard Schröder führte lange Zeit kein Weg vorbei. Und nicht allen in der Partei fiel die gedankliche "Zeitenwende" so leicht wie dem Kanzler. Während der konservative Seeheimer Kreis mehrheitlich zur Lieferung schwerer Panzer neigte, mauerte die noch immer mächtige Parteilinke. In deren Zirkeln wird die Stärkung der Bundeswehr durch das von Scholz verkündete Sondervermögen von 100 Milliarden Euro als "Aufrüstung" geschmäht.
Um die Partei nicht vor den Kopf zu stoßen, musste vor der Panzer-Entscheidung eine programmatische Grundlage geschaffen werden. Am Montag präsentierte Lars Klingbeil die neuen außenpolitischen Leitplanken, um deren Formulierungen in den vergangenen Wochen hektisch gerungen wurde: Deutschland solle in Fragen der europäischen Verteidigung eine Führungsrolle einnehmen. Nicht mehr von Sicherheit mit Russland ist die Rede, sondern von Sicherheit vor Russland. Damit war der Ton für die Panzer-Entscheidung gesetzt.
Scholz bittet um Vertrauen in Regierung
Gleichwohl ist Scholz im Bundestag angespannt. Als der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt ihm einerseits zum Entschluss gratuliert, ihm andererseits unnötiges Zaudern vorwirft, verliert Scholz die Contenance. „Es wäre ein schlimmer Fehler, in dieser Frage allein voranzugehen, allein zu marschieren“, sagt er und hält der Union vor: „Wenn wir ihren Ratschlägen folgen würden, wäre das eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands.“ Der Vorwurf dürfte auch an die Regierungskoalition gerichtet sei. Vor ihm sitzt etwa die FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann, die ihn in den letzten Monaten heftig kritisiert hatte. Nicht „die nächste Pressemitteilung“ sei der Maßstab für sein Handeln, sondern „die eng abgestimmte Kommunikation mit den Verbündeten“, bekräftigt der Regierungschef.
Scholz kennt die entsprechenden Umfragen, er weiß, dass sich „viele Bürgerinnen und Bürger Sorgen machen“. Es ist die Angst, dass die Lieferung von Kampfpanzern den russischen Präsidenten Wladimir Putin herausfordert und das Geschehen eskaliert. „Vertrauen Sie mir, vertrauen Sie der Bundesregierung“, sagt er. Man werde weiterhin die Unterstützung für die Ukraine sicherstellen, „ohne dass die Risiken für unser Land darüber in eine falsche Richtung wachsen“.