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Krieg in der Ukraine: Bröckelt der Moskauer Machtzirkel? Putins Fundament zeigt erste Risse

Krieg in der Ukraine

Bröckelt der Moskauer Machtzirkel? Putins Fundament zeigt erste Risse

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    Wladimir Putin während einer Sitzung des Sicherheitsrates.
    Wladimir Putin während einer Sitzung des Sicherheitsrates. Foto: Mikhail Klimentyev, Pool Sputnik Kremlin

    Man stelle sich vor, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie wäre der Gesundheitsminister abgetaucht. Zwei Wochen lang kein Interview, nicht einmal ein Foto. Undenkbar? Etwas Ähnliches geschah in Russland nach Beginn der Ukraine-Invasion mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu. Während die Armee unter hohen Verlusten versuchte, Kiew einzukesseln, verschwand der 66-Jährige von der politischen Bühne. Schnell kochten Gerüchte hoch. Der überforderte General habe einen Herzanfall erlitten, spekulierten die einen. Präsident Wladimir Putin habe seinen Vertrauten kaltgestellt, mutmaßten andere. Dann tauchte der General wieder auf. Die Hintergründe blieben bis heute ungeklärt.

    Sergej Schoigu ist Verteidigungsminister von Russland. Tagelang schien er verschwunden.
    Sergej Schoigu ist Verteidigungsminister von Russland. Tagelang schien er verschwunden. Foto: Alexander Zemlianichenko, dpa

    Die Episode wirft ein Schlaglicht auf die angespannte Lage im inneren Machtzirkel in Moskau. Britische und US-Geheimdienste berichten, in Putins engstem Kreis gebe es heftige Zerwürfnisse. Angeblich habe er enge Berater unter Hausarrest gestellt, heißt es aus Washington. Vor allem die Militärführung sei ins Visier des Präsidenten geraten. Aus Angst, dem übermächtigen Kremlchef die Wahrheit zu sagen, hätten seine Berater ihm „Informationen vorenthalten, wie schwach die russischen Truppen in der Ukraine agieren und wie stark die Wirtschaft unter den Sanktionen leidet“. Zugleich unterstreicht die US-Regierung: „Es ist Putins Krieg.“ Deshalb seien auch alle Fehler am Ende Putins Fehler. Mit anderen Worten: Scheitert die russische Armee, scheitert der Präsident.

    Expertin sagt: Die Elite steht hinter Putin

    Vor allem kremlkritische Fachleute in Russland warnen allerdings vor übereilten Schlüssen. Die Moskauer Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja etwa sieht „keine Anzeichen für eine Spaltung in der russischen Elite“. Über den Krieg und die Haltung gegenüber dem Westen herrsche an der Spitze von Politik, Wirtschaft und Armee „vollständiger Konsens“. Der Investigativjournalist Andrei Soldatow ergänzt, alle Umsturztheorien seien „vom Wunschdenken jener getrieben, die auf Veränderung hoffen“.

    Etwas anders sieht es Margarete Klein von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Schoigus Verschwinden sei „absolut untypisch“ gewesen, urteilt die Osteuropa-Expertin. Zumal der Verteidigungsminister sonst „ein Meister der eigenen PR“ sei. Mehr noch: Schoigu sei einer der wenigen Politiker im Land, die eine echte, von Putin unabhängige Popularität genießen. „Er ist eine Schlüsselfigur“, resümiert Klein und folgert: „Entweder gibt es ein Schwarzer-Peter-Spiel, wer die Verantwortung für die militärischen Probleme trägt.“ Oder Putin nutze die Lage, um seinen Apparat in der Balance zu halten.

    So funktioniert das System Putin

    Genau auf einem solchen Gleichgewicht der Kräfte beruht das „System Putin“, wie Langzeitanalysen zeigen. In der patriarchalisch geprägten Gesellschaft sind es fast nur Männer, die an den Schalthebeln von Politik und Medien, Wirtschaft und Sicherheitsapparat sitzen. Eine der wenigen Ausnahmen ist Zentralbankchefin Elwira Nabiullina. Die 58-Jährige gehört zum Kreis der engsten Vertrauten Putins. Stanowaja spricht von den „Superloyalisten“. Zu diesen Treuesten der Treuen zählen neben Schoigu der frühere „Platzhalter-Präsident“ Dmitri Medwedew, Außenminister Sergej Lawrow, Kremlsprecher

    Dass der Kremlchef entschlossen ist, im Zweifel jeden abzustrafen, stellte er Mitte März klar. „Das russische Volk wird die wahren Patrioten stets von den Verrätern unterscheiden, um diese auszuspucken wie eine Mücke, die in ihren Mund geflogen ist“, wütete Putin. Kurz zuvor hatte er zwei ranghohe Geheimdienstoffiziere und den Vizechef der Nationalgarde verhaften lassen. Entscheidend bleibt aber das Verhältnis zu den „Superloyalisten“. Nach Schoigu, so mutmaßen Beobachter, geraten nun Zentralbankerin Nabiullina sowie Miller und Setschin im Fokus, die Chefs von Gazprom und Rosneft. Denn das von Putin am Donnerstag unterzeichnete Dekret, demzufolge Unternehmen „unfreundlicher Staaten“ russisches Gas künftig in Rubel bezahlen müssen, prallt auf Widerstand im Westen. Bleibt die Frage, ob dem Präsidenten auch in dieser Frage wieder jemand allzu bittere Wahrheiten vorenthalten hat.

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