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Foto: Marcus Brandt, dpa
Foto: Marcus Brandt, dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz auf einem Gepard-Panzer, den die Ukraine bekommt und die Bundeswehr gerne wieder hätte.

Krieg in der Ukraine
25.08.2022

Bei der Bundeswehr ist die Zeitenwende noch nicht angekommen

Von Christian Grimm

Ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine kämpft die deutsche Armee mit einer fremdelnden Verteidigungsministerin, verprellt Verbündete und weiß in Afrika nicht weiter.

Ein halbes Jahr nach der Ausrufung der Zeitenwende steht der Kanzler auf einem Flugabwehrpanzer Gepard. An dem schlammgrün lackierten Stahlkoloss mit seinen Maschinenkanonen werden ukrainische Soldaten auf dem Truppenübungsplatz Putlos in der Nähe von Kiel ausgebildet. Die Geparden aus alten Industriebeständen sollen ukrainische Städte und ukrainische Stellungen vor russischen Luftangriffen schützen. Seine große Bewunderung gelte denjenigen, die ihr Land und ihre Familien verteidigen wollen, sagte Scholz. Zur Lage der eigenen Streitkräfte äußerte er sich nicht.

Die Bundeswehr mehr oder weniger blank

Die Bundeswehr hat den Flak-Panzer einst aussortiert, der einst den Kern der Heeresflugabwehr bildete. Brauchen wir nicht mehr, lautete die Devise. Das Beispiel sagt viel aus über die Bundeswehr insgesamt. Die Ukraine bekommt eine hochwirksame Waffe, über die deutsche Soldaten nicht mehr verfügen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa
Foto: Kay Nietfeld, dpa

Das Transportflugzeug Airbus A400M geriet zum milliardenteuren Pannenprojekt.

Das soll sich ändern, hatte Scholz drei Tage nach dem Überfall der Ukraine in seiner historischen Zeitenwende-Rede im Bundestag verkündet. „Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind“, sagte der Kanzler. Zuvor hatte der oberste Soldat des deutschen Heeres die weiße Fahne gehisst, als Putin seine Streitmacht in Marsch gegen Kiew setzte. General Alfons Mais erklärte die Bundeswehr für kampfuntauglich. „Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da“, hatte er geschrieben.

Sechs Monate Zeitenwende: Kaum Verbesserungen bei der Bundeswehr

Sechs Monate später hat sich bei der deutschen Armee nicht viel verbessert. Das ist das Ergebnis, wenn man mit Leuten spricht, die sich bei der Truppe auskennen – Politiker, Soldaten, Wissenschaftler. Bestätigt wird das Bild durch den desolaten Eindruck, den die Bundesregierung in zwei sehr konkreten Fällen der Sicherheitspolitik erweckt. Der vor Monaten beschlossene Ringtausch mit den Ost-Europäern bleibt stecken. Die Slowakei soll jetzt als erstes Land 15 Panzer bekommen. Die slowakische Armee hatte der Ukraine Schützenpanzer sowjetischer Bauart geliefert. Polen ist derart enttäuscht von der deutschen Langsamkeit, dass es neue Panzer in Südkorea bestellt.

Ähnlich schlecht sieht die Bundesrepublik in Afrika aus. Der Einsatz in Mali ist gefährdet, weil Frankreich seine Kampfhubschrauber abgezogen hat und es die Bundeswehr nicht schafft, eigene Helikopter in das Krisenland zu schaffen.

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Lambrecht hat noch keinen Plan vorgelegt

„Von Olaf Scholz' Zeitenwende ist in der Truppe noch nicht viel angekommen“, erzählt der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn. Es verstreiche wertvolle Zeit, die Deutschland nicht habe. Hahn zählt auf, was seiner Einschätzung nach schief läuft. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sei noch immer nicht im Amt angekommen. Sie habe bislang kaum neue Verträge für Waffen, Munition und Ausrüstung abgeschlossen und arbeite nicht energisch an einer höheren Einsatzbereitschaft. Aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr werden in diesem Jahr laut Verteidigungsministerium nur 90 Millionen Euro genutzt, um dem Mangel zu begegnen. Große Bestellungen sind bei der Rüstungsindustrie noch nicht eingegangen.

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Foto: Christophe Gateau
Foto: Christophe Gateau

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat Mühe, bei den Soldaten anzukommen. Ohne Vorerfahrung auf dem Gebiet muss sie den großen Umbau der Armee gestalten.

Lambrecht hatte einen schweren Start als Ministerin, fremdelte sichtbar mit dem Militär. Zuletzt machte sie negative Schlagzeilen mit einem Helikopterflug Richtung Osterurlaub, bei dem sie auch noch ihren Sohn mitnahm. Seitdem ist Lambrecht abgetaucht. Auf ein Konzept zur Reform des verkrusteten Beschaffungswesens und einer Entschlackung der lähmenden Militär-Bürokratie warten die Soldaten bisher vergebens.

Dabei war der Kauf neuer Panzer, Flugzeuge und Gewehre in den vergangenen Jahren ein einziger Schildbürgerstreich. Viel teurer als geplant, zu spät, dem Einsatz nicht gewachsen. Der Schützenpanzer Puma und die Transportmaschine A400M gehören in das Lehrbuch für Steuergeldverschwendung. Statt sich für ausgereifte Modelle von Verbündeten zu entscheiden, ließ die Bundeswehr teuer selbst entwickeln.

"Die Devise lautet mehr Heer"

Der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, fordert deshalb einen klaren Fokus bei der Wieder-Aufrüstung, damit kein Geld verschwendet wird. „Was die Nato von uns erwartet, ist die Stärkung unserer schweren Landstreitkräfte hier in der Mitte Europas. Nur was präsent ist, wirkt in Zeiten der Krise abschreckend“, sagte er unserer Redaktion. „Mehr Heer lautet deshalb die Devise“.

Von den 100 Milliarden sind aber nach vorläufigen Planungen nur rund 20 Milliarden für die Landstreitkräfte vorgesehen. Die bisher zwei Divisionen sollen um eine dritte verstärkt werden. Solch ein Großverband zählt mindestens 10.000 Soldaten und besteht aus Panzereinheiten, Aufklärern, Artillerie, Funkern und Sanitätern.

Allerdings gibt es selbst die zwei Divisionen bislang nur auf dem Papier. Rechnerisch bringt das Heer höchstens anderthalb zusammen. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Divisionen nun aufgestellt und verstärkt werden. Erst im Jahr 2031 werden die drei den Plänen zufolge einsatzbereit sein. Für die Nato-Verbündeten in Osteuropa ist das viel Zeit, bis Deutschland seine Armee nach der Zeitenwende auf Vordermann gebracht hat.

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