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Krieg in der Ukraine: Auf dem EU-Gipfel gibt es warme Worte statt neuer Zusagen für die Ukraine

Krieg in der Ukraine

Auf dem EU-Gipfel gibt es warme Worte statt neuer Zusagen für die Ukraine

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    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Europäischen Parlament.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Europäischen Parlament. Foto: Olivier Matthys/AP

    Es war ein Moment, wie ihn das Europäische Parlament lange nicht erlebt hat. Als Wolodymyr Selenskyj in den Plenarsaal tritt, bricht tosender Applaus unter den EU-Abgeordneten aus. Ovationen, Jubel. Einige halten „Wir-stehen-an-der-Seite-der-Ukraine“-Schilder in die Höhe, andere rufen „Bravo“ wie nach einer Opernaufführung. 

    Der ukrainische Präsident im Herzen der Gemeinschaft, das lud geradezu zu Pathos ein. Man erlebe „einen außergewöhnlichen Moment in einer außergewöhnlichen Zeit“, sagte denn auch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und an den Gast gewandt: „Die Zukunft Ihrer Nation liegt in der Europäischen Union.“ Selenskyj nickte.

    Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei einer Pressekonferenz im Rahmen eines EU-Gipfels im Gebäude des Europäischen Rates.
    Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei einer Pressekonferenz im Rahmen eines EU-Gipfels im Gebäude des Europäischen Rates. Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP, dpa

    Die Ukraine will so schnell wie möglich in die EU

    Der Beitritt in die Gemeinschaft ist der große Wunsch der Ukrainer, den der 45-Jährige in seiner anschließenden Rede nochmals unterstrich: Es wäre „ein Weg, um nach Hause zurückzukehren“. Man teile „eine gemeinsame Geschichte und Kultur“ und Mitglied in der EU zu werden sei „eine Vision, die uns ermutigt hat, stark zu bleiben“, sagte der Präsident, der in schwarzem Pullover und olivgrüner Hose so erschöpft wie emotional wirkte. „Nur unser unweigerlicher Sieg wird die gemeinsamen europäischen Werte wahren.“

    Seine Ansprache war bewegend, teils flammender Appell, teils Dankesreigen. Und er schloss die europäischen Bürger im Kampf gegen Russland mit ein: „Dieser Beifall“, sagte er mit Blick auf die Abgeordneten im Plenarsaal, „richtet sich nicht an mich, sondern an alle in den Städten und Dörfern, die die Ukraine in dieser historischen Schlacht unterstützen.“ Das Wort „Djakuju“ war auch gegenüber den Mitgliedstaaten oft zu hören, deren 27 Vertreter er kurz nach seinem Auftritt im Hohen Abgeordnetenhaus traf. „Ich danke Ihnen, Freunde“, sagte er – für die militärische und finanzielle Hilfe, für die Aufnahme von Millionen ukrainischer Flüchtlinge, für die Solidarität. 

    Punkt 12 Uhr war er im Ratsgebäude nur wenige Fahrtminuten vom Parlament entfernt angekommen. Dort hatten sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs bereits versammelt. Eigentlich war ihr Treffen als Sondergipfel zum Thema Migration und Wirtschaft geplant, doch der hohe Besuch aus dem kriegsgebeutelten Land zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Protokollabteilung stand vor massiven logistischen und sicherheitstechnischen Anforderungen. Die Folge: Im Europaviertel der belgischen Hauptstadt herrschte Ausnahmezustand.

    Die EU-Staaten geben dem Druck aus Kiew nicht nach

    Politisch ging es während der Visite vor allem um warme Worte und viel Symbolik. Man wolle „ein Zeichen der Solidarität und Einigkeit“ setzen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das sandten die Staatenlenker nicht nur nach Kiew, sondern auch in Richtung Wladimir Putin in Moskau. Hier präsentierte sich die Gemeinschaft Seite an Seite mit dem Angegriffenen.

    Ob der ukrainische Präsident am Donnerstagnachmittag aber zufrieden zurück ins Kriegsgebiet reiste, bezweifelten Beobachter. Zumindest öffentlich gaben die Mitgliedstaaten dem Druck aus Kiew nicht nach. Neben neuen Sanktionen gegen Russland forderte Selenskyj etwa, dass die EU-Beitrittsgespräche noch in diesem Jahr beginnen sollten. Die Europäer halten sich aber weiter mit konkreten Versprechen oder Zeitplänen in Sachen Verhandlungen zurück. Diplomaten sprechen von einem weiten Weg. Einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Frankreich, pochen darauf, dass die Aufnahme nach dem strengen Regelwerk erfolgt. Die Ukraine, so wird betont, müsse zuvor eine Reihe von Bedingungen erfüllen, besonders bei der Bekämpfung von Korruption. 

    Selenskyj fordert wieder Kampfjets

    Bei der Bitte um moderne Jets sah Selenskyj dagegen Fortschritte. Sein Besuch in London habe die Entscheidungen über die Lieferung weitreichender Waffen und die Ausbildung von Piloten näher gebracht, sagte er bei einer Pressekonferenz am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Das sei „wirklich ein gewisser Schritt zur Lieferung von Kampfflugzeugen“. 

    Er war am Mittwoch nach einem Überraschungsbesuch in Großbritannien kurz vor 22 Uhr in Paris gelandet. Beim Abendessen im Élysée-Palast mit Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte der ukrainische Präsident angesichts der befürchteten Frühjahrsoffensive Russlands als nächsten Schritt Unterstützung durch die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert. Der Kanzler wollte sich dazu nicht äußern. Stattdessen wies Scholz den Eindruck zurück, die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine verzögere sich. „Wir sind sehr schnell“, sagte der SPD-Politiker. Und als ob man dem Pomp und Prunk in London nicht allzu sehr nachstehen wollte, verlieh Macron dem Gast aus Kiew noch das Große Kreuz der französischen Ehrenlegion, die höchste Auszeichnung für ausländische Staatschefs. 

    "Lächerlicher Konkurrenzkampf" zwischen von der Leyen und Michel

    Am Ende blieben Fragezeichen, warum Selenskyj für seine Tour d’Europe – die zweitägige Auslandsreise war erst die zweite seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar vergangenen Jahres – ausgerechnet den jetzigen Zeitpunkt gewählt hatte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel waren erst vergangene Woche in Kiew gewesen und hatten da alles angekündigt, was anzukündigen war: mehr Geld, mehr Generatoren, mehr Glühbirnen. 

    Zyniker erklärten die Visite mit dem „lächerlichen Konkurrenzkampf“, wie ein Diplomat es nannte, zwischen von der Leyen und Michel, der als Vertreter der 27 Mitgliedstaaten Selenskyj nach Brüssel eingeladen hatte. Die Deutsche pflegt ein gutes und enges Verhältnis zu Selenskyj, Michel, so heißt es, hat damit seine Probleme – und dürfte deshalb auch an die Bilder gedacht haben, die um die Welt gehen würden vom ukrainischen Präsidenten an der Seite des Gastgebers. In Brüssel rollen sie hinter den Kulissen mittlerweile genervt die Augen über „das Theater um Michels Ego“. 

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