Am Mittwoch hatte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius grünes Licht gegeben, nun wurde ein erstes Transportflugzeug der deutschen Luftwaffe für den Abwurf von Hilfsgütern über dem Gazastreifen nach Jordanien verlegt. "Die erste Maschine ist gut in Jordanien gelandet. Wir laden das mitgebrachte Material aus und bereiten uns auf die kommenden Flüge vor", schrieb die Luftwaffe am Donnerstag auf der Plattform X. Die Hilfsgüter sollen in Jordanien eingeladen werden, die Abwürfe schnellstmöglich beginnen. Am Samstagmittag meldete die Luftwaffe dann, dass die ersten Hilfsgüter über Gaza abgeworfen wurde.
Zugleich bringt das Hilfsschiff "Open Arms" 200 Tonnen Nahrung von Zypern nach Gaza, es soll der Startschuss für einen Seekorridor sein. Das Ziel: die Not im Gazastreifen lindern. Organisationen zufolge ist die Lage der Menschen dort zunehmend verzweifelt. Nach UN-Angaben droht eine Hungerkrise, wenn die Hilfslieferungen nicht ausgeweitet werden.
Doch der Umfang der direkten westlichen Hilfe ist im Vergleich zum Engagement islamischer Staaten im Nahen Osten verschwindend gering. Muslimische Anrainer des Konfliktgebietes haben nach israelischen Angaben seit Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel im Oktober 2023 etwa 150.000 Tonnen Hilfsgüter nach Gaza geschickt – das entspricht rund 80 Prozent aller direkten staatlichen Hilfen. Ebenso wie die westlichen Staaten verfolgen muslimische Länder mit ihrer Hilfe nicht nur humanitäre, sondern auch politische Ziele.
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind größter staatlicher Spender für Gaza-Hilfe
Seit Oktober haben mehr als 310.000 Tonnen an Nahrung, Medikamenten und Material für Notunterkünfte aus dem Ausland den Gazastreifen erreicht, wie die zuständige israelische Regierungsstelle Cogat jetzt mitteilte. UN-Organisationen und regierungsunabhängige Hilfswerke transportierten rund die Hälfte davon. Die andere Hälfte setzte sich aus direkten Hilfslieferungen einzelner Staaten zusammen – 80 Prozent davon kam laut Cogat aus islamischen Nachbarstaaten des Krisengebietes: Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind mit einem Anteil von 26 Prozent der größte Spender staatlicher Direkthilfe, gefolgt von Saudi-Arabien mit 19 Prozent, der Türkei mit 17 Prozent und Katar mit acht Prozent. Sieben der zehn größten Geberländer auf der Liste von Cogat sind islamische Staaten in der Region. Sie betreiben zudem Feldlazarette und Entsalzungsanlagen in Gaza.
Die Führungsrolle der Vereinigten Arabischen Emirate bei den staatlichen Hilfslieferungen entspricht dem Selbstverständnis der Emirate als Regionalmacht. Der reiche Golfstaat schloss vor vier Jahren Frieden mit Israel und befürwortet eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Ländern und dem jüdischen Staat. Die Hilfe für Gaza stärkt zudem die Partnerschaft zwischen den VAE und Europa: Die Emirate beteiligen sich als einziges arabisches Land am EU-Seekorridor für Gaza.
Die Türkei sieht sich als Unterstützer der Hamas
Für die Regierung der Türkei geht es um andere politische Ziele. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich als Fürsprecher der Hamas im Krieg gegen Israel positioniert und streicht in seinen Reden das Leid der Zivilisten in Gaza heraus, um seinen Vorwurf des „Völkermordes“ durch Israel zu belegen. Flugzeuge der türkischen Luftwaffe bringen Hilfsgüter nach Ägypten, um sie von dort aus nach Gaza fahren zu lassen. Krebskranke Zivilisten aus Gaza werden in türkischen Krankenhäusern behandelt.
Politisch heikel sind Hilfsangebote aus dem Iran. Israel will keine Lieferungen aus der Islamischen Republik nach Gaza durchlassen, doch Teheran hat seit Beginn des Krieges nach Regierungsangaben trotzdem mehr als 10.000 Tonnen an Hilfsgütern zum Weitertransport für Gaza nach Ägypten geschickt.
Irans Außenamtssprecher Nasser Kanaani wirft dem Westen Heuchelei vor
Irans Außenamtssprecher Nasser Kanaani sagte vor wenigen Tagen, die Beteiligung der USA am Abwurf von Hilfsgütern über Gaza sei heuchlerisch. Auf der einen Seite verhindere Washington per Veto im UN-Sicherheitsrat ein Ende des Krieges, sagte Kanaani. Auf der anderen Seite versuchten die Amerikaner, ihr Image durch „symbolische und lächerliche“ Aktionen zu verbessern. Kanaani sprach damit einen wunden Punkt in der westlichen Gazapolitik an: Der Westen wolle keinen Druck auf Israel machen und vermeide alles, was als antiisraelisch ausgelegt werden könne, sagte der Nahostexperte Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc unserer Redaktion. Allerdings gehe es auch den Staaten im Nahen Osten nicht in erster Linie um grundsätzliche Lösungen für Gaza, meint Dincer. „Sie behaupten immer, sie seien die Freunde Palästinas, doch sie versuchen bei jeder Gelegenheit, das Palästinenser-Problem für ihre eigenen politischen Zwecke zu nutzen.“