Fast drei Monate sind bereits vergangen, seit im Nahen Osten ein Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel ausgebrochen ist. Doch statt der Hoffnung auf einen baldigen Frieden wächst inzwischen erneut die Sorge vor einer Ausweitung der Kämpfe. Im Norden des Landes kommt es aktuell immer wieder zu Angriffen, die israelische Armee wurde in „sehr hohe“ Alarmbereitschaft versetzt. Immer wieder schrillen die Sirenen, um die Bevölkerung zu warnen. In der Grenzstadt Kiriat Schmona wurden mehrere Gebäude beschädigt, Verletzte gab es nicht – die Region ist weitgehend evakuiert. Die Hisbollah hat vom Libanon aus eine neue Front eröffnet, die militärische Kräfte der Israelis bindet. Vor allem die USA als Schutzmacht Israels sind alarmiert. Außenminister Antony Blinken wird in der kommenden Woche erneut in der Region erwartet.
„Ich sage unseren Freunden in der Welt: Die Lage an der Nordgrenze muss sich verändern“, sagte Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett. „Wenn die Welt und die libanesische Regierung nicht vorgehen, um den Beschuss der Orte im Norden (Israels) zu stoppen und die Hisbollah von der Grenze zu entfernen, wird die israelische Armee dies tun“, fügte er hinzu. Israel sei notfalls auch zu einer Offensive im Libanon bereit. Verteidigungsminister Joav Galant spricht gar von einem Krieg an sieben Fronten. Gemeint sind damit Gaza und das Westjordanland, Libanon, Syrien, Irak, Jemen und der Iran.
Hisbollah wird vom Iran unterstützt
Die Hisbollah gilt auch deshalb als große Gefahr, weil sie militärisch deutlich besser ausgerüstet ist als die Hamas. Finanziell unterstützt wird sie vom Iran. Die Miliz hat Zehntausende Anhänger, mit denen sie vor allem den Süden an der Grenze zu Israel, von Schiiten bewohnte Viertel von Beirut sowie die Bekaa-Ebene im Norden des Landes kontrolliert. Gleichzeitig gilt die Hisbollah als starke politische Macht im kurz vor dem Kollaps stehenden Libanon. Schon mit dem Angriff der Hamas auf Israel wuchs die Sorge, dass die Hisbollah ihren islamistischen Verbündeten beispringen und einen großen Nahost-Krieg provozieren könnte. Das erwies sich zunächst als unbegründet – nun allerdings mehren sich die Zeichen, dass sich die Lage ändern könnte. Die diplomatischen Drähte glühen.
„Israel und die USA haben in den vergangenen Wochen versucht, über Katar Einfluss auf Teheran und damit die Hisbollah zu gewinnen, um diese zu einem partiellen Rückzug aus dem Südlibanon zu veranlassen“, sagt Joachim Krause, Chef des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel. Seine Vermutung: „Diese Gespräche sind offenkundig gescheitert.“
Libanon-Krieg ist vielen Menschen in Erinnerung
Es ist nicht das erste Mal, dass es zwischen Israel und der Hisbollah kracht. 2006 war es im zweiten Libanon-Krieg zu heftigen Gefechten zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär gekommen, mehr als 1500 Zivilisten verloren ihr Leben – ein Großteil davon im Libanon. Die schiitischen Milizen gelten als dauerhaftes Sicherheitsrisiko für die israelische Bevölkerung. „In Israel wird schon seit Längerem ernsthaft darüber nachgedacht, wie man die Hisbollah im Südlibanon zerstören kann“, sagt Krause. Die Erfahrungen aus dem Gaza-Streifen könnten diese Überlegungen beflügeln. „Aber wir können nicht in die Köpfe der strategischen Planer hineinschauen“, sagt der Experte. „Noch sind die Streitkräfte nicht voll mobilisiert und lediglich ein kleiner Teil im Gaza-Streifen involviert.“ Es könnte durchaus sein, dass sich Israel genötigt sehe, die Hisbollah-Präsenz im Südlibanon ebenso zu zerstören wie diejenige der Hamas. „Der Zeitpunkt wäre gut und nachvollziehen kann man das auch“, sagt Krause. „Beschwichtigen lässt sich die Hisbollah nicht.“
Vieles dürfte an Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hängen. Schon Anfang November wandte er sich in einer Rede an seine Anhänger, gab aber kein Signal für einen Angriff. „Nasrallah möchte wohl gerne in den Krieg einsteigen, weiß aber um die Schwächen der eigenen Truppen und fürchtet den Einsatz amerikanischer Flugzeugträger für den Fall, dass er Israel massiv mit Raketen angreift“, vermutet Krause. „Es bleibt eine schwierige Situation, bei der alles möglich ist: von einer Boden- und Luftoffensive der Israelis bis hin zur Fortsetzung des Status-Quo.“
Strippenzieher hinter den Zündeleien dürfte der Iran sein. Teheran hat nicht nur maßgeblichen Einfluss auf die Hisbollah, sondern auch auf die Huthi-Rebellen im Jemen, die zuletzt durch Angriffe auf Schiffe im Roten Meer für Schlagzeilen gesorgt hatten. Sollte sich die Lage auch hier zuspitzen, hätte das massive Folgen für den Welthandel: Die Route gilt als eine der wichtigsten überhaupt für Handelsschiffe.