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Krieg im Nahen Osten: In Israel brodelt es weiter

Krieg im Nahen Osten

In Israel brodelt es weiter

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    Rauch steigt nach israelischen Luftangriffen in der Nähe von Rafah auf. Nach Angaben der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) hat das israelische Militär die Kontrolle über die palästinensische Seite des Grenzübergangs Rafah übernommen.
    Rauch steigt nach israelischen Luftangriffen in der Nähe von Rafah auf. Nach Angaben der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) hat das israelische Militär die Kontrolle über die palästinensische Seite des Grenzübergangs Rafah übernommen. Foto: Abed Rahim Khatib, dpa

    Es waren ungewohnte Szenen in Gaza inmitten des Krieges: Videos aus der Stadt Rafah zeigen eine Menschenmenge auf der Straße, pfeifend und jubelnd. Ein Lkw bahnt sich im Schritttempo seinen Weg durch die Massen, auf seiner Ladefläche Kinder und Jugendliche, die triumphierend die Arme in die Höhe strecken. Sie alle feiern die Nachricht, die am Montagabend eingetroffen ist: Die Hamas hat einen ägyptisch-katarischen Vorschlag für eine Waffenruhe akzeptiert.

    Doch die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Kämpfe war von kurzer Dauer. Noch in derselben Nacht rückte Israels Armee, die IDF, in Rafah in Richtung der ägyptischen Grenze vor; am Morgen hatten die Truppen die Kontrolle über den dortigen Grenzübergang übernommen. Auf Videoaufnahmen der Armee war zu sehen, wie Panzer in den Grenzbereich von Rafah einrollten. Auf einem der Panzer wehte eine große israelische Nationalflagge. Die meisten Zivilisten und Vertreter internationaler Hilfsorganisationen hätten nach Evakuierungsaufrufen der Armee am Montag das Gebiet bereits verlassen. 

    Offensive in Rafah soll in mehreren Phasen verlaufen

    Zwar teilte ein Militärsprecher mit, geplant sei lediglich ein „präziser Anti-Terror-Einsatz in sehr begrenztem Umfang“. Doch viele Beobachter gehen davon aus, dass es sich um den Auftakt einer größeren Militäroffensive handeln könnte – eine Offensive, vor der unter anderem die US-Regierung immer wieder gewarnt hat. Das Nachrichtenportal Axios berichtete unter Berufung auf israelische Regierungsbeamte, der Einsatz von Panzern und Bodeneinheiten östlich von Rafah sei als erste Phase der Offensive zu verstehen. Die Übernahme des Grenzübergangs Rafah solle nicht nur den Machtverlust der Hamas im Gazastreifen demonstrieren. Anschließend sollten Palästinenser ohne Verbindung zu den Islamisten an der Verteilung von Hilfsgütern beteiligt werden, die aus Ägypten in das abgeschottete Küstengebiet kommen.

    Der Vorschlag, den die Hamas akzeptiert habe, sei „weit entfernt davon, Israels Kernforderungen zu erfüllen“, teilte das Büro des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit. Das Kriegskabinett habe deshalb auch einstimmig beschlossen, die Operation in Rafah fortzuführen, „um militärischen Druck auf die Hamas auszuüben und auf diese Weise auf die Befreiung unserer Geiseln hinzuwirken und die anderen Ziele des Krieges zu erreichen“.

    So sehen die Details einer möglichen Feuerpause aus

    Der Sender CNN berichtete, die von der Hamas akzeptierte Fassung enthalte drei jeweils 42-tägige Phasen. Die erste sehe unter anderem die Freilassung von 33 Geiseln im Austausch für hunderte palästinensische Häftlinge, einen schrittweisen Teilabzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen und Bewegungsfreiheit für unbewaffnete Palästinenser in dem Küstengebiet vor. Die zweite Phase sei nicht detailliert ausgearbeitet, laufe aber auf die Freilassung aller restlichen Geiseln, den Komplettabzug der israelischen Armee aus Gaza und eine dauerhafte Kampfpause hinaus. In der dritten Phase soll demnach ein auf drei bis fünf Jahre angelegter Prozess zum Wiederaufbau Gazas beginnen.

    Seit Beginn des Krieges, den die Hamas mit ihrem Massaker am 7. Oktober ausgelöst hatte, verfolgt Israels Armee offiziell zwei Ziele: die Befreiung der Geiseln und die militärische Zerschlagung der Hamas. Viele Familien der Verschleppten fürchten jedoch, dass beide Ziele in Wahrheit im Widerspruch stehen und das Vorgehen der Armee die Geiseln gefährdet. Die Hamas behauptet, mehrere Geiseln seien bereits bei israelischen Luftangriffen ums Leben gekommen. Israels Armee bezeichnet solche Verlautbarungen als psychologische Kriegsführung. Doch die Gefahr, dass Geiseln bei Militäraktionen sterben, ist real. Der Hamas-Chef im Gazastreifen, Yahya Sinwar, soll sich manchen Berichten zufolge zu jeder Zeit mit Geiseln umgeben, um sich auf diese Weise vor israelischen Angriffen zu schützen.

    Geisel-Angehörige erheben schwere Vorwürfe gegenüber Netanjahu

    Deshalb erhöhen die verzweifelten Angehörigen der Geiseln und deren Unterstützer den Druck auf die Regierung, sich mit der Hamas zu einigen. Immer wieder organisieren sie Proteste, zuletzt am Montagabend in Tel Aviv: Hunderte Menschen blockierten zum wiederholten Mal die Ayalon-Schnellstraße. Und vor dem Verteidigungsministerium hielten Demonstranten ein Schild mit der Aufschrift: „1976: Yoni wird getötet bei der Befreiung von Geiseln. 2024: Bibi tötet sie für seinen Sitz.“ Netanjahus Bruder Yonatan war bei der Befreiung israelischer Geiseln in Entebbe, Uganda, ums Leben gekommen. Dem Regierungschef, dessen Spitzname „Bibi“ lautet, werfen die Demonstranten vor, ein Abkommen zur Geiselbefreiung aus politischem Eigeninteresse zu vermeiden – weil ein solches womöglich ein Ende des Krieges und damit Neuwahlen bringen könnte, die ihm Umfragen zufolge die Macht kosten dürften. (mit dpa)

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