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Hamas-Chef Sinwar getötet: Wende im Gaza-Konflikt?

Krieg im Nahen Osten

Hoffnung auf ein Ende des Kriegs in Gaza

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    Sinwars Tod schürt die Hoffnung auf ein Ende des Kriegs in Gaza.
    Sinwars Tod schürt die Hoffnung auf ein Ende des Kriegs in Gaza. Foto: Mohammed Abed, AFP

    Die letzten Bilder, die ihn lebend zeigen, zeigen einen Mann, von Staub bedeckt, vermummt und offenbar verletzt. Er sitzt in einem Sessel in einem ausgebombten Gebäude. Er wirft einen Stock auf die Drohne, die das israelische Militär in diesen Minuten über ihn kreisen lässt. An dieser Stelle bricht das Video ab. Israelische Medien veröffentlichen später Fotos von einer zwischen Trümmern liegenden Leiche mit schwersten Kopfverletzungen. Hamas-Chefs Jihia al-Sinwar ist tot, seine Identität zweifelsfrei geklärt: Forensiker der israelischen Polizei stellten sie anhand von Zahnstellung und Fingerabdrücken fest, außerdem wurde ein DNA-Test vorgenommen - die Soldaten hatten ihm einen Finger abgeschnitten.

    Die ersten Gerüchte verbreiteten sich schnell in Israel. In einem Café im Zentrum Tel Avivs brach an mehreren Tischen fast zeitgleich Unruhe aus: Anrufe gingen ein, Handys mit Fotos von Sinwars angeblicher Leiche wurden von Tisch zu Tisch gereicht, Fremde diskutierten: Ist das etwa Sinwars Muttermal da an der linken Schläfe? Seine Lücke zwischen den Schneidezähnen? Der Tod des 61-jährigen Hamas-Chefs löste Erleichterung aus, mancherorts gar Euphorie. Videos in sozialen Medien zeigten Soldaten, die untergehakt tanzten und sangen. Am Strand von Tel Aviv verkündete ein Rettungsschwimmer per Lautsprecher: „Bye Bye, Sinwar“, worauf die Sonnenbadenden in Jubel und Applaus ausbrachen.

    Sinwar galt als Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober

    Zumindest psychologisch verschafft die Auslöschung des Chef-Terroristen der israelischen Gesellschaft einen echten Auftrieb. „Dieser Erfolg ist berauschend für die israelische Öffentlichkeit“, sagt der Militärexperte Danny Orbach von der Hebräischen Universität in Jerusalem unserer Redaktion. „Sinwar ist einer der schlimmsten Mörder von Juden und Israelis seit dem Holocaust. Für Israelis ist er beinahe gleichbedeutend mit Hitler.“ Der Palästinenser galt als Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober, bei dem Terroristen der Hamas an einem einzigen Tag rund 1200 Menschen ermordet und 250 weitere als Geiseln verschleppt hatten. Der wegen seiner Brutalität im Umgang mit politischen Gegnern bekannte Islamist war einst wegen des Mordes an vier mutmaßlichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. 2011 kam er als einer von mehr als 1.000 palästinensischen Häftlingen im Austausch für den in Gaza festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Schalit frei. Menschen, die in dieser Zeit mit ihm zu tun hatten, beschreiben ihn als intelligent, ideologisch und kühl kalkulierend - und vor allem als brutal.

    Doch was bedeutet sein Tod für den Krieg in Gaza? Viele Menschen in Israel hoffen, dass sich nun neue Gelegenheiten eröffnen werden – vor allem im Hinblick auf die rund 100 verbliebenen Geiseln. „Wir stehen an einem Wendepunkt, an dem alle erklärten Ziele für den Krieg in Gaza erreicht wurden – mit Ausnahme der Freilassung der Geiseln“, sagt Ronen Neutra, Vater des entführten Omer Neutra, in einer Videobotschaft. „Dieses Mal muss die Gelegenheit genutzt werden; alle Geiseln müssen sofort mit einem einzigen Deal befreit werden.“

    Ist die Hamas bereit für einen Waffenstillstand?

    Die Frage ist, wie die Hamas reagiert - und die Regierung von Benjamin Netanjahu. „Dies ist der Beginn des Tags nach Hamas“, sagte Netanjahu in einer Videobotschaft an die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen. Die Menschen in dem abgeriegelten und vom Krieg schwer gezeichneten Küstengebiet sollten sich endlich befreien von der seit Jahren währenden Unterdrückungsherrschaft der Hamas. Ein mögliches Ende des Krieges in Gaza spricht er hingegen nicht an. Auch seine radikalen Koalitionspartner, auf die er angewiesen ist, lassen keinerlei Anzeichen eines Rückzugs erkennen. Finanzminister Bezalel Smotrich sagte: „Nach Jahrzehnten beweisen wir, dass es eine militärische Lösung für Terrorismus gibt.“

    Und die Hamas selbst? Der stellvertretende Chef des Politbüros der Islamistenorganisation, Chalil al-Haja, lehnte Forderungen nach einer sofortigen Freilassung der israelischen Geiseln ab. Das könne nur geschehen, wenn Israel seine „Aggression“ gegen Gaza beende, sich vollständig daraus zurückziehe und palästinensische Gefangene entlasse. Militärexperte Orbach glaubt dennoch, dass Sinwars Tod die Ausgangsposition Israels erheblich verbessert hat. „Sinwars Führungsstil war ziemlich zentralisiert“, sagt er. „Und je zentralisierter eine Organisation ist, desto mehr leidet sie unter dem Verlust ihres Anführers.“

    Wer wird Nachfolger bei der Hamas von Sinwar?

    Für die Zukunft sieht Orbach drei mögliche Szenarien: Im Ausland lebende Hamas-Führer, die ein Interesse am Ende des Krieges haben, könnten sich mit Israel auf einen Deal einigen. Geiseln würden freigelassen und die überlebenden hochrangigen Hamas-Vertreter aus Gaza dürften ins Exil gehen. Die zweite Möglichkeit wäre, dass ein anderer hochrangiger Hamas-Kommandeur in Gaza die Nachfolge übernimmt und den Kampf gegen die israelischen Truppen fortführt - gehandelt wird unter anderem Sinwars jüngerer Bruder Mohammed. Er war einer seiner engsten Vertrauten und ebenfalls an der Planung des Oktober-Massakers beteiligt. Oder aber, drittens, die Hamas in Gaza könnte sich als Organisation auflösen. In diesem Fall könnte Israel die Gelegenheit nutzen und jenen Hamas-Mitglieder, die Geiseln festhalten, für deren Freilassung große Summen Geld oder Immunität anbieten. Tatsächlich hat Netanjahu ein solches Angebot bereits ausgesprochen: „Wer seine Waffen niederlegt und unsere Geiseln zurückbringt, dem werden wir es ermöglichen, (aus Gaza) rauszugehen und zu leben“, sagte er.

    „Sobald die Hierarchie in einer Organisation wie Hamas zerstört ist, wird vieles möglich“, sagt Orbach. Anders als zuvor müssten sich die Menschen, die die Geiseln hielten, nicht mehr vor Bestrafungen der Hamas-Führung fürchten, sollten sie das israelische Angebot annehmen. „Dieses Szenario wäre auch am besten für Israel.“ (mit dpa)

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